Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Füssl · 09. Aug 2011 · CD-Tipp

Wiener U-Bahn-Kunst: reformARTorchestra

Ende der 50er Jahre, Anfang der 60er Jahre formierte sich in Wien, das jazzmäßig von Mainstream-Musikern wie Fatty George oder Erich Kleinschuster dominiert wurde, ein kleines aber höchst aktives Trüppchen von Avantgardisten, das anfangs vor allem im Kunst- und Akademienbereich seine Vorstellungen von improvisierter Musik ausleben konnte.

Oft auch gegen große Widerstände, denn massentauglich waren die Experimente des Saxophonisten Fritz Novotny, des Trompeters Sepp Mitterbauer, von Karl Wilhelm Krbavac (Viola da Gamba, Piano), Walter Malli (Sopransax), Johannes Groysbeck (Bass)oder Paul Fields (Violine), um nur einige der Kombatanten zu nennen, nie. Umso erfreulicher ist es, dass sich mehr als 40 Jahre später der Betreiber eines Massentransportmittels, die Wiener Linien, dazu entschlossen hat, mit diesen Musikern des reformARTorchestra und ihrer mittlerweile durchaus auch verjüngten Familie aus musikalisch Gleichgesinnten  ein spannendes Kunstprojekt durchzuführen.

So unterschiedliche Künstler wie Adolf Frohner, Ken Lum, Rudi Wach, Ingeborg Strobl, Nam June Paik, Anton Lehmden, Oswald Oberhuber oder Gottfried Kumpf wurden mit Kunstwerken für die „Kulturbahnlinie U3“ beauftragt – und zwar schon bei der Bauplanung, nicht erst im Nachhinein als künstlerische Behübschung. Zum 20 Jahre-Jubiläum der Eröffnung der „Kunstlinie U3“ wurde nun ein fast 300 Seiten starker Bildband herausgegeben, in dem 22 Kunstwerke ausführlich beschrieben und fotografisch dokumentiert sind. In das Buch inkludiert sind, neben einem kurzen Film über die Wiener U-Bahn-Kunst von Elisabeth Bartosch, zwei CDs des reformARTorchesters. Insgesamt 20 MusikerInnen haben im Auftrag der Wiener Linien zu einzelnen Kunstwerken musikalische Entsprechungen geliefert. Die 25 Tracks basieren stets auf freien Improvisationen und entwickeln sich in stilistisch sehr unterschiedliche Richtungen – Elemente aus der Zwölftonmusik scheinen ebenso auf wie Spoken-word-Passagen, Rockiges, folkloristisch Angehauchtes, Noise-Fragmente oder Elektronik-Experimente. Ein durch und durch außergewöhnliches und spannendes Unterfangen, das hörbar zu einem wahren musikalischen Ideenrausch geführt hat. Sich die musikalischen Experimente in Zusammenhang mit den U-Bahn-Kunstwerken zu Gemüte zu führen, das hat natürlich einen ganz besonderen Reiz, diese Musik kann aber selbstverständlich ohne jegliches Problem auch ganz für sich allein bestehen.
(Herausgeber: Wiener Linien, Wien 2011, ISBN 978-3-200-02173-0)