Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Füssl · 28. Aug 2017 · CD-Tipp

Vijay Iyer Sextet: Far From Over

Egal, welche Ensemblegröße oder -zusammensetzung der indischstämmige amerikanische Pianist und Komponist Vijay Iyer wählt, mit welchem Kapitel der Jazzgeschichte oder der indischen Musiktradition er sich gerade besonders intensiv beschäftigt, welche philosophischen, musiktheoretischen, gesellschaftlichen oder spirituellen Gedanken sein musikalisches Schaffen hintergründig beeinflussen – sein musikalischer Output mag mal sperriger, mal leichter zugänglich sein, aber er ist nie nur Mittelmaß. Dies trifft auf seine Produktionen mit dem Altsaxophonisten Rudresh Mahanthappa ebenso zu wie auf seine Solo-Platten, Trio-Aufnahmen mit Stephan Crump und Marcus Gilmore oder sein letztjähriges Duo-Album mit Wadada Leo Smith. Vijay Iyers mittlerweile fünftes Album für ECM ist aber sicher ein ganz besonderer Meilenstein innerhalb seiner bislang 23 Veröffentlichungen.

Denn die zehn Stücke auf „Far From Over“ sind zwar durch die unkonventionelle Kreativität und Komplexität im kompositorischen Schaffen des 45-jährigen Universalgenies und serienmäßigen Downbeat-Poll-Siegers geprägt und mit allerlei rhythmischen, melodischen und harmonischen Raffinessen gespickt, werden aber vom neuen Sextett mit einer Leidenschaft und Begeisterung musiziert, die absolut ansteckend wirkt. Sie halten Ecken und Kanten, atmosphärische Brüche und unvorhersehbare Überraschungsmomente bereit – und nehmen einen von der ersten Sekunde an total gefangen. Stephan Crump am Kontrabass und Drummer Tyshawn Sorey zählen zu Iyers Wegbegleitern seit frühesten Tagen und sorgen im vielschichtigen musikalischen Geschehen auf höchst einfallsreiche Weise für eine grundsolide rhythmische Basis. Eine ideale Startrampe für den genialen Bläsersatz mit Graham Haynes an Kornett und Flügelhorn, Steve Lehman am Altsaxophon und Mark Shim am Tenorsaxophon, um in mitreißenden Tutti-Passagen abzuheben oder nuancenreiche solistische Glanzlichter zu setzen. Selbstverständlich überzeugt auch Iyer an Piano und Fender Rhodes mit seinen ausgefinkelten Soli, vor allem begeistert er aber als unbeirrbarer Steuermann, der seine erstklassige Crew voller Forscherdrang, Abenteuerlust und Risikobereitschaft durch diesen musikalischen Mahlstrom navigiert – ohne vorgefertigte Routen und sichere Häfen. Phantastisch! 

(ECM/www.lotusrecords.at)