Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Peter Füssl · 19. Sep 2022 · CD-Tipp

Sudden Infant: Lunatic Asylum

Am 1965 geborenen Schweizer Performance-Künstler und Aktionisten, Elektro-Industrial-Punk-Noise-Musiker und Turntablisten Joke Lanz scheiden sich die Geister: Was die einen als zeitgemäßen Dada bejubeln, empfinden andere schlicht als gaga. Lanz ist das vermutlich egal, nur ignorieren sollte man ihn nicht, denn er steckt extrem viel Herzblut in die Errichtung und Inszenierung seines ganz persönlichen musikalischen Irrenhauses, das er zumeist im Sprechgesang mit hintergründig-banalen Aufzählungen, Aneinanderreihungen von Tautologien oder Gegensatzpaaren, aber auch bitterbösen Beobachtungen aus der Welt des Big Business, des Überflusses und Wohlstandsverdrusses, der Verlogenheit und falscher Versprechungen befüllt.

Wen wundert’s, dass da sogar noch „Happiness-to-go“ angeboten wird? Von 1989 bis 2014 betrieb Lanz Sudden Infant als Solo-Projekt, seither im Trio mit dem Bassisten Christian Weber und dem Drummer Alexandre Babel – zwei gesuchten Schweizer Jazzern und freien Improvisatoren, die seine Vorliebe für gewagte Experimente teilen. Mit oft knüppelharten Beats, einem düster grundierenden Bass und mit den von Lanz elektronisch beigesteuerten Noise-Attacken, Loops und gesampelten Alltagsaufnahmen werden die Hörgewohnheiten mit zumeist schnörkellosen, minimalistischen Mitteln attackiert. Wie es sich beispielsweise bei den Bezau Beatz zeigte, kann das live noch weit heftiger klingen als auf der auch feine Nuancierungen preisgebenden Tonkonserve. Dieser Prozedur wird auch der einzige Fremdtext, das bekannte Schweizer Schlaflied „I ghöre es Glöggli“ (was ein deutscher Rezensent lustigerweise mit „Die Göre ist glücklich“ übersetzt) des aus Einsiedeln stammenden Liederkomponisten Artur Beul, unterzogen. Die vierzehn Stücke sind in ihrer Gesamtheit ein extrem emotionales, radikales und hochenergetisches Ereignis, live peitscht Joke Lanz seine Worte gerne auf der Stelle hüpfend ins Mikro, weil es ihn nicht mehr am Boden hält. Text und Musik erlangen auch eine körperliche Dringlichkeit. Das geht durch Mark und Bein und aktiviert bestenfalls Unmengen von Synapsen, die sonst gerne friedlich vor sich hinschlummern würden. Sympathischerweise kommt das aber weder missionarisch, noch übertrieben aggressiv oder machomäßig daher, vielmehr wird rasch klar, dass Joke Lanz seinen irritierenden Kraftakt auch mit großer Sensibilität und dadaistischer Verspieltheit betreibt.

(Fourth Dimension Records/Cargo)