Sigrid: Sucker Punch
Sigrid Solbakk Raabe ist gerade mal 22 Jahre alt und auf dem besten Weg, von der norwegischen Kleinstadt Ålesund aus die Pop-Welt zu erobern. Lorde, Adele oder Robyn fallen einem spontan ein, wenn man die zwölf Titel von Sigrids Debütalbum „Sucker Punch“ zum ersten Mal hört, und dennoch verfügt sie über mehr als genug Eigenständigkeit, Unverwechselbarkeit und vor allem Talent, um sich in der Riege starker junger Sängerinnen behaupten zu können. Zuerst haben das wohl die Briten erkannt, die BBC hat Sigrid zur „Sound of 2018“-Siegerin gekürt, so ihre Karriere maßgeblich angeschoben, was zu zahlreichen Festival-Auftritten, Dauer-Rotation ihrer EP „Don’t Kill My Vibe“, Gold-Status und lukrativen Werbeaufträgen führte.
Mittlerweile kann die sich völlig natürlich gebende, sich gerne in Jeans und T-Shirt präsentierende Norwegerin auf 400 Millionen Streams und monatlich drei Millionen Spotify-HörerInnen verweisen. Dass das alles mehr als ein kurzlebiger Hype sein wird, hat mehrere Gründe: Einmal liegt die agile junge Frau mit ihren euphorischen Love-Songs, den ironisch-selbstbewussten Trennungs-/Abrechnungsdramen, vor allem aber auch mit ihren von Selbstzweifeln durchzogenen und dennoch kaltschnäuzig-optimistischen Selbstermächtigungstexten direkt am Puls der Zeit. Mindestens ebenso perfekt trifft dies aber auch auf den Musik-Mix und die ausgeklügelt-effektiven Arrangements zu, an denen sich die größten Könner in den Sound-Laboren Bergens ausgetobt haben, das sich immer mehr zur hippen nordischen Pop-Metropole entwickelt. Elektronischer Dance-Pop mit eingängigen Melodien, mitreißenden Beats und unwiderstehlichen Hooks, wenn passend wird die Synth-Dominanz mit Hip-Hop-Elementen, Reggae-Anklängen oder R’n’B-Feeling aufgelockert, macht das Gros des musikalischen Outputs aus. So finden der Titelsong „Sucker Punch“, das mit einem Werbe-Clip des Mobilfunk-Anbieters Vodafone via Funk und Fernsehen millionenfach in die Haushalte infiltrierte „Strangers“, aber auch Songs wie „Basic“, „Don’t Feel Like Crying“, „Never Mine“ oder das erwähnte „Don’t Kill My Vibe“ rasch den Weg in die Gehörgänge. Mindestens ebenso spannend wird es aber, wenn sich Sigrid von einer sanfteren Seite zeigt und zur (halb-)akustischen Gitarre („In Vain“) oder zum unbegleiteten Piano („Dynamite“) singt. Trotz allem massentauglichen Pop-Appeal bleibt immer auch Platz für Überraschendes und kleine Experimente, was einen nicht zu unterschätzenden weiteren Pluspunkt in dieser Welt charts-tauglicher, musikalischer Instant-Einheitsbreis darstellt. Sigrids größtes Kapital liegt aber natürlich in ihrer ungemein wandelbaren, ausdrucksstarken Stimme, die sie jungmädchenhaft glockenklar, oder auch rauchig verrucht klingen lassen kann und die immer genau im richtigen Moment so ungemein wirkungsvoll bricht. Und last but not least, die Dame hat auch Witz! So schleudert sie einem Verflossenen folgende Worte nach: „Oh, you’re as safe as a mountain / But know that I‘m dynamite.“
(Vertigo/Universal)