Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Füssl · 30. Okt 2019 · CD-Tipp

Shake Stew: Gris Gris

Wenn man es beim intensiven Spielen schafft, ganz im Moment zu sein, „dann kann man einen Weg beschreiten, der zu einer Intensität an musikalischer Energie führt, die über dem ‚Herkömmlichen‘ steht und bei der man absolut nicht weiß, worin sie mündet und wohin sie einen bringt. Solche Wege zu finden, ist für mich eine zutiefst körperliche Erfahrung, und ich bin regelrecht süchtig danach geworden. Es geht darum, das Feuer und die Hitze und den Druck, der in einem aufsteigt, zu umarmen und einzuatmen, und dann erst so richtig loszulegen.“ Diese Worte Lukas Kranzelbinders sind Programm für seine Erfolgsband Shake Stew, die von Österreich aus innerhalb von zwei, drei Jahren die wichtigsten internationalen Festivalbühnen, die renommiertesten Feuilletonseiten und jede Menge begeisterter Fans erobert hat.

Runde 90 Minuten, auf zwei CDs bzw. LPs verteilt, lässt er den entfesselten Energien freien Lauf, die das gewohnte Team mit den beiden Drummern Nikolaus Dolp und Mathias Koch, den beiden Bassisten Kranzelbinder und Oliver Potratz, Clemens Salesny am Altsaxophon, Johannes Schleiermacher an Tenorsaxophon und Flöte, Mario Rom an der Trompete und als Gast Tobias Hoffmann an der Gitarre freisetzen. Die Stücke brauchen zwischen acht und dreizehn Minuten, um ihre Energiefelder aufzubauen und ihre magische Sogwirkung zu entfalten. Hier werden hochenergetische, afrikanisch inspirierte, farbenreiche, rhythmische Orgien abgefeiert, die den äußerst expressiven Bläsern den idealen Boden für gleichermaßen energie- wie seelenvolle Improvisationen bereiten. So wuchtig und ungezügelt vieles davon wirkt, so ist es doch melodisch, harmonisch, dynamisch und rhythmisch wohl dosiert und ausgeklügelt konstruiert – es bleibt keinerlei Platz für sinnentleerte Ausschweifungen, was natürlich die Gefahr wäre, die solch ein Konzept beinhalten könnte. In den überbordenden musikalischen Mahlstrom sind auch geschickt Ruheinseln integriert, die zwar Erholung, aber nicht unbedingt Spannungsabfall bedeuten – man genießt die Ruhe eines Guembri-Solos in Erwartung dessen, was da unaufhaltsam kommen wird. Nicht nur Fans von Dr. Johns Debütalbum von 1968 wissen, dass Gris-Gris die kreolische Bezeichnung für ein glücksbringendes Amulett oder einen magischen Gegenstand ist, der seinen Besitzer mit einer ganz besonderen, einzigartigen Energie ausstattet. In Anbetracht dieses faszinierenden Mammutprojekts ist klar, dass Lukas Kranzelbinder und seine kongenialen Mitstreiter ihre Gris-Gris offensichtlich längst gefunden haben. (Traumton)    

Konzert-Tipps: Shake Stew gehen im November und Jänner ausgiebig auf Tour, für uns relevant sind Unterfahrt München (5.11.), Porgy&Bess Wien (6.11.) und Moods Zürich (16.1.20)