Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Füssl · 26. Sep 2021 · CD-Tipp

Little Simz: Sometimes I Might Be Introvert

„Pressure makes diamonds“ lautet eine der Kernaussagen im umwerfenden, neuen Hip-Hop-Epos von Simbiatu Abisola Abiola Ajikawo, die als Little Simz seit rund zehn Jahren von London aus das Rap-Genre auf höchstem Niveau an ständig erweiterte Grenzen treibt. Pressure, also Druck, war von klein auf ein ständiger Begleiter der Tochter nigerianischer Einwanderer, die in einem Sozialbau im Nordlondoner Stadtteil Islington aufgewachsen ist. Soziale Unterdrückung und gesellschaftliche Missachtung gleich im Doppelpack – als Schwarze und als Frau. Mittlerweile hat die wortgewaltige Rapperin, Musikerin und Schauspielerin, ohne jegliche Abstriche an Glaubwürdigkeit oder irgendwelche Konzessionen an einen musikalischen Massengeschmack einen Status erreicht, wo sie sich nach vier Alben, doppelt so vielen EPs und Hauptrollen in erfolgreichen Fernsehserien als „diamond“ fühlen kann. „I’m a black woman, and I’m a proud one“ tönt sie selbstbewusst, „I get what I want when I want it” oder “Know it’s in my DNA to only be great”.

Aber dieses Selbstbewusstsein ist das Ergebnis mühevoller Selbstermächtigung in einer ausbeuterisch und feindlich gesinnten Gesellschaft: „They told us: no. We said: yes ... and we keep pushin‘ on“. Und im Gegensatz zu vielen Macho-Großmäulern ihrer Zunft steht die mittlerweile 27-jährige Little Simz auch zu ihrer Verletzlichkeit, zu ihren Selbstzweifeln, hat sie nicht vergessen, woher sie kommt, und es ist ihr glaubwürdig ernst damit, wenn sie ihre Geschlechtsgenossinnen mit Sätzen wie „Be your best friend, not your worst enemy“ oder „Strong women bounce back!” zu Solidarität und Widerständigkeit aufruft. Es geht nicht um Mitleid (schon gar nicht mit sich selber), sondern um Mitgefühl, nicht um Hass, sondern um Veränderung. Persönliches, Familiäres und allgemein Politisches, innere und äußere Kämpfe vermischen und entfalten sich in faszinierenden Flows: „How much fighting must we do? We’ve been fearless enough. All we see is broken homes here and poverty. Corrupt government officials, lies and atrocities.“ Setzt man die jeweils ersten Buchstaben der Wörter des Albumtitels „Sometimes I Might Be Introvert“ zusammen, ergibt das ihren Spitznamen „Simbi“, ein weiterer Hinweis auf die persönliche Betroffenheit. Aber sobald Little Simz ein Mikro in der Hand hält, rappt sie, was Sache ist, und es ist schnell vorbei mit jeglicher Introvertiertheit.

Mindestens ebenso beeindruckend wie die sprachliche Ebene ist auch die musikalische Entwicklung, die Little Simz seit ihrem 2019 erschienenen, für den renommierten Mercury Prize nominierten Album „Grey Area“ gemacht hat. War jenes noch sehr puristisch und reduziert angelegt, setzt sie nun ebenso erfolgreich und voller Überraschungen auf Opulenz. So startet gleich der erste Song „Introvert“ mit dramatischen Bläserfanfaren, Streichern, rollenden Marschtrommeln und sphärisch-dramatischen Chören, um dann mit einem groovenden Beat an Fahrt aufzunehmen und fortan soundtrackartig mit soulig betörenden Backgroundchören zu fesseln. Jedes der 15 Stücke und vier Zwischenspiele spannt einen perfekt zu den Texten passenden eigenen musikalischen Kosmos auf. Gemeinsam mit ihrem Jugendfreund, dem einfallsreichen Produzenten und als Mastermind hinter dem gerade ebenfalls besonders angesagten, anonym agierenden britischen Musiker-Kollektiv Sault vermuteten Inflo (bürgerlich Dean Josiah Cover) schöpft sie wild entschlossen und unglaublich experimentierfreudig aus den unterschiedlichsten Genres – Neo-Soul, Funk, R’n’B, Ennio Morricone, Thriller-Soundtracks, Spoken-Word, Broadway-Glamour, A-Cappella-Gesang, Harfenklänge, Grime, Trap, Post-Punk-Artiges. Und als speziellen Hinweis auf ihre Herkunft integriert Little Simz in die Songs „Fear No Man“ und „Point And Kill“ Afro-Beats und -Chants. Wen wundert’s, dass Kendrick Lamar – die HipHop-Lichtgestalt auf der anderen Seite des großen Teiches – die scharfzüngige und experimentierfreudige Little Simz in einem BBC-Interview als „the illest doing it right now“ bezeichnet hat – durchaus als Kompliment gemeint. Dem schließen wir uns gerne an. Absolut faszinierend!

(AGE 101/Rough Trade)