Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Peter Füssl · 11. Okt 2022 · CD-Tipp

Julian Lage: View With A Room

„View With A Room“ ist nach dem Cover-Album „Love Hurts“ (2019) und seinem erfolgreichen Blue Note-Debüt „Squint“ (2021) schon das dritte Album, dass der 34-jährige Julian Lage mit seinem Langzeitpartner Jorge Roeder am Kontrabass und Ex-The Bad Plus-Drummer Dave King im Trio einspielt. Diese Produktionen wollten natürlich auch auf ausgiebigen Konzertreisen präsentiert werden, und so ist es in Anbetracht der vielen gemeinsamen musikalischen Erfahrungen wenig verwunderlich, dass man längst zu einem perfekten Band-Sound und zu bewährten musikalischen Kommunikationsformen, die aber auch noch Platz für Überraschendes lassen, gefunden hat.

Mit den vorliegenden zehn neuen Eigenkompositionen hätte Lage wahrscheinlich auch ein perfektes Trio-Album einspielen können, aber sein Wunsch nach üppigerer Orchestrierung bei gleichzeitiger Beibehaltung organisch wirkender Improvisationen und der Flexibilität und Beweglichkeit einer kleinen Besetzung brachte ihn auf die geniale Idee, einfach nur einen weiteren Gitarristen einzuladen. So ist nun kein geringerer als Bill Frisell auf zwei Dritteln der Titel zum eloquenten Gesprächspartner geworden, dem die starken Melodiefindungen und die sein Faible für Americana-Variationen bedienende stilistische Offenheit Julian Lages natürlich sehr entgegenkommen. Da sich die beiden Saitenzauberer auch schon von diversen – vermutlich etwas experimenteller angelegten – Projekten des Avantgarde-Papstes John Zorn kannten und beide bekanntermaßen nicht zu den Lautstärkefetischisten und Hochgeschwindigkeitsfanatikern unter den Stargitarristen zählen, dürfte man schnell zu jenen traumhaft verschlungenen Dialogen und stimmungsvollen Sounderkundungen gefunden haben, die „View With A Room“ kennzeichnen. Dass Julian Lage nach Duo-Projekten mit den Gitarristen Chris Eldridge, Gyan Riley und Nels Cline über reichlich Erfahrung im 20-Finger-Picking-Business verfügt, dürfte da sicher kein Nachteil gewesen sein, und das Genre, in das sich Bill Frisell nicht gewinnbringend einbringen kann, muss ohnehin erst noch erfunden werden.      

(Blue Note/Universal)