Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Peter Füssl · 01. Jun 2022 · CD-Tipp

John Scofield: John Scofield

Wo „John Scofield“ draufsteht, ist „John Scofield“ drinnen – denn er hat längst über Genregrenzen hinweg einen unverwechselbaren, leicht verzerrten und verhallten, aber zumeist gelassenen und entspannt wirkenden Ton und Stil entwickelt, der ihn zu den einflussreichsten und meistbeschäftigten Jazz-Gitarristen der Gegenwart werden ließ. Das gilt für die knapp fünfzig unter seinem Namen erschienenen Alben in einer ebenso viele Jahre umspannenden Musikerkarriere, aber auch für die unzähligen Kollaborationen mit prominenten Zeitgenossen: von Gerry Mulligan und Chet Baker, über Gary Burton, Billy Cobham und George Duke zu Herbie Hancock, Steve Swallow und Joe Henderson, von Miles Davis und McCoy Tyner, über Marc Johnson und Bill Frisell zu Joe Lovano – die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Da erscheint es doch einigermaßen verwunderlich, dass John Scofield nun erst im Alter von 70 Jahren sein erstes Soloalbum herausbringt.

Dieses dürfte auch der Corona-Pandemie zu verdanken sein, die das Musizieren in Bands doch erheblich erschwerte. Scofield spielte vermehrt zu Hause und allein, mit seiner Loopmaschine als einzigem „Partner“ für harmonische und rhythmische Ausschmückungen, wodurch er laut eigenen Aussagen „ein gewisses Feingefühl entwickeln konnte“ und „eine delikatere Herangehensweise, um die Anmut der Saiten zu betonen“. Zugleich geben die dreizehn Titel, die Scofield im Booklet mit witzigen und aufschlussreichen Kurzkommentaren beschreibt, auch einen schönen Überblick über prägende Einflüsse und wichtige Stationen seines Musikerlebens. Da schwelgt er mit großer Wärme und gleichzeitiger Coolness in Kindheitserinnerungen an Rock’n’Roll und Country-Music in Gestalt von Buddy Hollys „Not Fade Away“ und Hank Williams‘ „You Win Again“. Er taucht mit Traditionals wie dem „Junco Partner“ in den sophisticated Blues ein und mit „Danny Boy“ (auch als „Londondarry Air“ bekannt) in den Folk. Die Standards sind mit „My Old Flame“, das er gerne im Duo mit Charlie Haden spielte, und mit „There Will Never Be Another You“ vertreten. Letzteres wurde auch schon 1974 mit ihm als Gitarrist von Gerry Mulligan und Chet Baker live in der Carnegie Hall aufgenommen – John Scofields allererste Aufnahme überhaupt. Auf Scofields prägende Zeit am Berklee College of Music in Boston Anfang der 1970-er Jahre verweist seine eigenwillige Interpretation von Keith Jarretts „Coral“, das ihm damals sein Lehrer Gary Burton näherbrachte. Fünf Eigenkompositionen, die sein Händchen für starke Melodien beweisen, wurden großteils schon in diversen Band-Formaten veröffentlicht, erfahren hier aber zu Solo-Zwecken ein durchwegs gelungenes Recycling. „Honest I Do“ vom 1991-er Album „Grace Under Pressure“ funkelt als farbenreiche und experimentierfreudige Ballade, „Elder Dance“ nimmt als flotter Blues ordentlich an Fahrt auf, anschließend lädt der wundervoll verhallte „Mrs. Scofield’s Waltz“ zum Schwelgen ein. Das ursprünglich 1990 mit Joe Lovano aufgenommene „Since You Asked“, ein wahrer Dauerbrenner, habe er seither „ungefähr eine Million Mal auf Gigs gespielt“, witzelt Scofield, während das hochenergetische „Trance Du Jour“ „mehr ein Gefühl als eine eigentliche Komposition“ sei und seine „Version des Jazz der 60-er Jahre à la Coltrane“ abbilde. John Scofield ist es gelungen, jedes der mehr oder weniger bekannten Stück in seiner kunstvollen, aber keineswegs prätentiösen solistischen Ausformung zur Trouvaille zu machen. Lässig swingende Grooves, entspanntes Laid-Back-Feeling, atmosphärisch stimmig aufgefrischt durch Energie-Schübe und reizvolle kleine Experimente – der ideale Soundtrack für diesen hoffentlich entspannten Sommer und alles, was danach noch kommen wird.

(ECM/Universal)