Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Füssl · 03. Feb 2021 · CD-Tipp

Goat Girl: On All Fours

Vor zwei Jahren erregten vier junge Südlondonerinnen aus dem Umfeld des für die Alternativ-Szene äußerst einflussreichen The Windmill-Clubs – Sängerin Clottie Cream (bürgerlich: Lottie Pendlebury), Gitarristin L.E.D. (Ellie Rose Davies), Bassistin Naima Jelly (Naima Redina-Bock) und Drummerin Rosy Bones (Rosy Jones) – mit ihrem erfrischend unkonventionellen Debütalbum großes Aufsehen. Jetzt sind sie alle Anfang zwanzig, Holly Hole (Holly Mullineaux) hat anstelle von Bones den Bass übernommen, und im Gegensatz zum Erstling mit 19 Songs auf 40 Minuten enthält das Nachfolgealbum 13 Songs auf 50 Minuten, was auf ein etwas elaborierteres Songwriting schließen lässt.

Manche der zwischen Postpunk, Psychedelic-Rock, Grunge, Indie-Pop und vermehrt eingesetzten Synthesizern und Drum-Machine-Loops angesiedelten Stücke sind aus Jam-Sessions entstanden, für die meisten brachte aber jemand eine zündende Idee mit, die dann kollektiv weiterbearbeitet wurde. Enstanden ist ein witzig-schräges Feuerwerk an kreativen Ideen, mit Überraschungen gespickt – leichtfüßig melodiös, melodramatisch, nachdenklich. Und wenn die großteils musikalisch ausgebildeten Protagonistinnen einmal befürchten, sie könnten zu gefällig klingen, tauschen sie einfach untereinander die Instrumente aus und schon ist für den gewünschten dissonanten Touch gesorgt. Clottie Creams lässig unterkühlt klingender, angenehmer Alt nimmt gefangen, zumal die Texte nicht weniger wichtig sind als die Musik. Ganz im Gegenteil, Goat Girl verstehen sich als eine bewusst politische, links gerichtete Band und befassen sich zwar nicht explizit deklamierend, aber unmissverständlich mit Themen wie Brexit-Wahnsinn, Gentrifizierung, Rassismus, White Supremacy, Turbokapitalismus, Umweltzerstörung oder Transphobie. Die Heimat ist ihnen entfremdet, in ihren Videos – aktuell „The Crack“ und „Sad Cowboy“ – spielen sie gerne mit surrealen, mystisch verbrämten, postapokalyptisch wirkenden Szenarien. Goat Girl beschränken sich aber nicht auf Gesellschaftspolitisches, sondern verpacken auch ungeschminkt ganz Persönliches wie Gewalterfahrungen, Depressionen und Angststörungen in Songs, die mitunter eigenartig beschwingt starten können, um dann ins Düstere umzuschlagen und umso mehr unter die Haut zu gehen. Goat Girl sind einmal mehr am Puls der Zeit – diese Band lassen wir uns auch vom Brexit nicht nehmen!

(Rough Trade/Beggars)