Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Füssl · 28. Aug 2019 · CD-Tipp

„Den Wiedererkennungswert nützen und dann mein eigenes Ding damit machen“ - David Helbock spielt berühmte Filmmusik-Melodien von John Williams

„Tour d’Horizon“, das im Mai 2018 erschienene Album von David Helbock’s Random/Control mit Andreas Broger und Johannes Bär ist bei Jazz-Fans und internationaler Kritik auf großes Interesse und ein äußerst positives Echo gestoßen und wurde auf einer ausgedehnten Tournee rund um die Welt ausgiebig präsentiert. Am 30. August erscheint nun die dritte Produktion des 1984 in Koblach geborenen Pianisten beim renommierten Münchner Jazz-Label ACT: ein Soloalbum mit Kompositionen des legendären Filmmusik-Komponisten John Williams, von dem er auch schon auf dem Label-Debüt „Into The Mystic“ einzelne Titel eingespielt hatte. Der mittlerweile 87-jährige New Yorker hat zu weit mehr als hundert bekannten Filmen die Musik geschrieben, besonders legendär ist seine Zusammenarbeit mit den Regisseuren Steven Spielberg und George Lucas. Unter anderem gewann John Williams fünf Oscars und war 51-mal nominiert, vier Golden Globes bei 25 Nominierungen und 24 Grammys bei 68 Nominierungen.

Gute Melodien, tolle Arrangements

Peter Füßl: Wenn man an die unzähligen Millionen von Kinobesuchern denkt, die Filme wie „Der weiße Hai“, „Schindlers Liste“, „Superman“, „E.T. – Der Außerirdische“, „Der Soldat James Ryan“, „Jurassic Park“, die „Star Wars“, „Indiana Jones“- oder die „Harry Potter“-Reihe gesehen haben, dann ist John Williams mit Sicherheit einer der meist gehörten Komponisten der Gegenwart. Worin, glaubst Du, besteht das Geheimnis seines riesigen Erfolges?

David Helbock: Ich weiß nicht, ob es „ein“ Geheimnis gibt. Er ist ein großartiger Komponist, ein toller Arrangeur und versteht es, einfache, gute Melodien groß mit Orchester zu inszenieren. Sicher ist, dass John Williams gute und eingängige Melodien schreiben kann. Die bleiben im Ohr und wirken trotzdem nie einfältig. Das gepaart mit seiner Freundschaft und langen Verbundenheit mit Steven Spielberg, die ja quasi zusammen bekannt wurden, ist sicher ein Grund für seinen großen Erfolg.

Musik löst immer Bilder im Kopf aus

Füßl: In Deinem Fall muss nun die Filmmusik sozusagen ganz ohne Bilder funktionieren – zumindest bei jenen, die die Filme nicht so gut kennen. Nach welchen Gesichtspunkten hast Du die 13 Titel ausgesucht und inwiefern spielten da Vorlieben für bestimmte Filme eine Rolle?

Helbock: Unabhängig von Filmen löst Musik immer Bilder aus, Bilder im Kopf. Mir war wichtig mit den Erinnerungen des Publikums, aber auch mit meinen eigenen Erinnerungen zu spielen. „E.T.“ ist zum Beispiel der Film, den ich als Kind am öftesten gesehen habe - unzählige Male - und die ganzen Emotionen, die da bei mir ausgelöst werden, hängen natürlich direkt mit der Filmmusik zusammen - bzw. sie sind sofort wieder da, wenn ich die Melodie höre. Also habe ich mich ganz bewusst an die sehr bekannten Melodien gewagt, ich wollte diesen Wiedererkennungseffekt nützen und dann doch mein eigenes Ding damit machen. Ich habe dann zwar später Jazzmusik studiert – John Williams hat übrigens auch als Jazzpianist angefangen –, aber trotzdem ist mir diese Musik näher als beispielsweise ein Jazzstandard aus dem Realbook, einfach weil ich noch viel direkter damit aufgewachsen bin.

Sehr frei mit dem Material umgegangen

Füßl: Wie bist Du an diese großartigen Melodien herangegangen, die viele Menschen ja doch irgendwie im Ohr haben, vielleicht ohne zu wissen, dass sie von John Williams stammen? Nach ersten Höreindrücken würde ich meinen, dass Du jedenfalls nicht vor Ehrfurcht erstarrt bist, sondern durchaus frische Zugänge gesucht hast.

Helbock: Ich denke, es geht genau darum. Diese großartigen Melodien haben all die Emotionen, die jeder einzelne mit diesen Filmen verbindet, gespeichert, und ich habe großen Respekt vor John Williams als Melodienschreiber. Es war also klar, dass ich die Melodie nicht groß verändern darf, sonst verliere ich das Stück. Bei allem anderen bin ich aber sehr frei mit dem Material umgegangen. So habe ich Rhythmen geändert - ein Marsch wird zu einem südafrikanischen Groove oder andere Taktarten verwendet. Ich habe Melodien reharmonisiert und so meine harmonische Sprache mit einfließen lassen, und manchmal wird es ganz abstrakt, und man hört nur noch die Melodie und darunter was ganz anderes.

Reduktion, um sich selbst einbringen zu können

Füßl: Williams schwelgt ja nicht selten in opulenten Orchestersphären, kommt man sich da solo am Piano nicht manchmal ein bisschen einsam vor?

Helbock: Auch schon auf meiner letzten Soloplatte „Purple“ aus dem Jahr 2013 habe ich so was Ähnliches gemacht. Damals habe ich die Musik von Prince aufs Solopiano reduziert. Ich habe auch damals immer gesagt, dass ich so meine eigene Stimme in die Musik hineinbringen kann und ich die Musik von Prince nie mit einer großen Band spielen möchte - das wäre zu nahe am Original, das schon zu gut ist. Ähnlich ist es nun hier. Genau diese Reduktion ist eben wichtig, damit ich mich auch einbringen kann - es würde wenig Sinn machen, diese Orchestermusik für eine Band von mir, vielleicht sogar noch mit Streichern, zu arrangieren - dazu sind die Originale zu gut. Aber am Solopiano kann ich die Essenz des Stückes bewahren und mich trotzdem kreativ und eigenständig austoben.

Den Hörgewohnheiten der Leute etwas entgegenhalten

Füßl: „Hedwig’s Theme“ aus „Harry Potter“ zieht sich in vier Varianten wie ein roter Faden durch das Album. Warum gerade dieses Stück?

Helbock: Ich mag solche roten Fäden auf einem Album. Man muss ja den Hörgewohnheiten der meisten Leute etwas entgegenhalten. Heute stellt man sich oft auf iTunes oder Spotify sein eigenes Album zusammen und springt von einem Künstler zum nächsten. Das hat sicher seinen Reiz, aber die Idee eines Albums, bei dem sich der Künstler die Reihenfolge, die Stimmungswechsel und eben eventuell immer wiederkehrende Elemente überlegt hat, ist etwas ganz Besonderes. Da muss man dann aber auch 50 Minuten Zeit haben und das Album am Stück hören. „Hedwigs Theme“ ist so eine tolle, ganz einfache, nicht einfältige aber unglaublich starke Melodie und die hat mich inspiriert, daraus ganz unterschiedliche Versionen zu machen, die der CD eben diesen Album-Charakter verleihen.

Füßl: Der Vielschreiber John Williams hat auch jenseits der Filmmusik eine Menge „klassischer“ Orchesterwerke, Hymnen und Fanfaren zu historischen Anlässen oder z.B. Solo-Stücke für Cello geschrieben. Findet sich darunter auch Bemerkenswertes?

Helbock: Da gibt es einiges. Ich hatte mir bei meinen Recherchen auch überlegt, die Musik, die John Williams für die Olympischen Spiele 1984 geschrieben hat, ebenso zu bearbeiten. Das hätte mich auch angesprochen, weil es ja mein Geburtsjahr ist. Aber irgendwie hat mir dann eben für mein Projekt der Wiedererkennungseffekt gefehlt und so habe ich mich mehr auf die bekannten Melodien konzentriert.

Das vollständige Interview mit David Helbock finden Sie in der KULTUR-Zeitschrift vom September 2019.