Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Peter Füssl · 02. Nov 2022 · CD-Tipp

Charles Lloyd Trios: Ocean

Ich versuche einen schönen Sound zu kreieren, denn wenn ich an all die großen Meister denke, die uns vorangingen, entdeckt der Junge in mir immer noch Bereiche, in denen ich schlecht wegkomme und ich fahre damit fort, daran zu arbeiten.“ Diese Worte aus dem Munde eines 84-jährigen Großmeisters, der seit mehr als 65 Jahren auf den Bühnen dieser Welt zuhause ist und ziemlich genau 50 Alben unter eigenem Namen herausgebracht hat, sagen nicht nur unglaublich viel über dessen Bescheidenheit und Ansprüche an sich selbst aus, sondern auch über die Ernsthaftigkeit und emotionale Tiefe, mit der er ans Werk geht. Die Rede ist natürlich von Charles Lloyd, der auch in fortgeschrittenem Alter beinahe jährlich großartige Produktionen veröffentlicht – heuer sogar einen „Trio of Trios“ genannten Dreierpack. Nach dem im Juni präsentierten „Trio: Chapel“ mit Gitarrist Bill Frisell und Kontrabassist Thomas Morgan ist nun das Trio mit Gerald Clayton am Piano und Anthony Wilson an der Gitarre am Zug.

Während Lloyd beim Vorgängeralbum eine Art „kreatives Recycling“ betrieben und vielfach ältere Kompositionen neu aufbereitet hat, wurden im September 2020 im Lobero Theatre in seiner Heimatstadt Santa Barbara vier bislang unveröffentlichte Titel eingespielt – wegen der Corona-Pandemie notgedrungen ohne Publikum, es gab aber immerhin einen Livestream. Lloyd bezeichnet seinen Lieblingsauftrittsort als sein „zweites Wohnzimmer“, er hat dort auch das grandiose Album „8: Kindred Spirits“ (2020) produziert. Das hatte sicherlich ebenso eine Wirkung auf die hörbar entspannte Atmosphäre wie der Umstand, dass Gerald Clayton seit sieben Jahren sein Stammpianist ist und er Anthony Wilson über dessen Vater, den Bigband-Leader Gerald Wilson, bei dem Lloyd sich in den 1950-er Jahren die ersten Sporen verdiente, auch schon ewig kennt. Die zwischen 9 und 12 Minuten langen Stücke sind durch starke Melodien geprägt, atmosphärisch dicht und luftig leicht zugleich und bieten wunderbare Möglichkeiten für einfühlsames Interplay. Der melancholisch-nachdenkliche Opener „The Lonely One“ ist von großer Wärme erfüllt und gerade mit soviel Reibung aufgeladen, dass die völlig kitschfreie Schönheit in ihrer vollen Wirkung erstrahlen kann. „Hagar of the Inuits“ eröffnet Lloyd mit einer eineinhalbminütigen Solo-Performance auf dem von ihm selten gespielten Altsaxophon, ehe Clayton mit schräg-abstrakten Akkorden das musikalische Geschehen aufbricht und Wilson Bluesiges einwirft, was den Pianisten wiederum zu einem eckig-futuristisch klingenden, angerauten Boogie-Woogie inspiriert. Auf dem lebhaft-verspielten „Jaramillo Blues“ – vielleicht eine Erinnerung an die frühen musikalischen Erfahrungen in seiner Geburtsstadt Memphis, Tennessee als Sideman von B. B. King, Bobby „Blue“ Bland oder Howlin‘ Wolf– stellt Lloyd sein Format auf der Querflöte unter Beweis. Mit einem beherzten Griff ins Innere des Pianos erzeugt Gerald Clayton irgendwie mystisch wirkende, gedämpfte Klänge, um die Hommage an „Kuan Yin“, die chinesische Göttin der Barmherzigkeit und des Mitgefühls einzuleiten, schwenkt dann aber gemeinsam mit Wilson in Richtung Rumba um, was Charles Lloyd die perfekte rhythmische Grundierung zu einem emotionalen, farbenreichen Spaziergang auf dem Tenorsax liefert, wobei klarerweise auch seine Trio-Kollegen im letzten Stück nochmals Raum für ausführliche Soli erhalten. Ein exzellentes Album, das schon neugierig auf Charles Lloyds Nr. 3 der Reihe „Trio of Trios“ macht, jenes mit dem Gitarristen Julian Lage und dem Perkussionisten Zakir Hussain, das im November unter dem Titel „Trios: Sacred Thread“ erscheinen wird.

(Blue Note/Universal)