Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Füssl · 28. Mär 2022 · CD-Tipp

Aldous Harding: Warm Chris

„Keine Ahnung. Ich höre das Album ganz anders als andere und habe es schon wieder vergessen. Ich nehme an, der gemeinsame Nenner ist, dass man die Stücke bis zum Ende hören oder Songs überspringen oder zurückspulen kann. Der gemeinsame Nenner ist, dass jedes Lied neben das andere gehört.“ – So lautete Aldous Hardings Antwort auf die Frage des „Musikexpress“, ob ihr neues Album ein übergeordnetes Thema, einen gemeinsamen Nenner habe. Hannah Sian Topp, so der bürgerliche Name der 31-jährigen Neuseeländerin, ist bekannt dafür, dass sie überhaupt keine Lust dazu verspürt, irgendwelche erklärende Statements zu ihren Songs, zu Entstehungsprozessen oder Hintergründen abzugeben. Ihre Wortspenden sind stets karg und unverbindlich. Auch aus den kryptischen Lyrics wird klar, dass sie sich nicht auf irgendetwas festlegen lassen will, dass sie niemandes Vorstellungen entsprechen, sich von keinerlei Konventionen einengen lassen will und einen unstillbaren Freiheitsdrang verspürt. Veränderung ist die einzige Konstante in Hardings Werk, so ist es auch wenig verwunderlich, dass sie auf ihr sehr erfolgreiches, eklektisches drittes Album „Designer“ nun ein bedeutend reduzierteres und auch radikaleres Werk folgen lässt, wobei sie wiederum auf John Parish als Produzent setzt.

Der Albumtitel „Warm Chris“ sei ihr um drei Uhr morgens spontan eingefallen, sie habe keinerlei Erklärung dafür, was das zu bedeuten habe, erklärt Harding im „Uncut“-Interview. Ein anderer Song heißt „Staring At The Henry Moore“, was natürlich die Frage aufwirft, ob sie sich für dessen Skulpturen besonders interessiere. Sie wisse über Henry Moore gleich viel, wie Henry Moore über sie wisse, lautet die Antwort, aber sie habe über sich selber irgendwo einmal gelesen, dass sie sich angeblich für Skulpturen und Architektur interessiere. Sich Aldous Harding über die Texte zu nähern, ist also mühsam bis unmöglich. Ihr Faible für extravagante Umsetzungen ihrer Songs ins Video-Format ist allerdings Legende, aber sie vernebeln mehr, als sie erklären. So tritt sie im Video zur aktuellen Single-Auskoppelung „Lawn“ als Zwitterwesen zwischen Femme fatal und Eidechse auf. Was das bedeutet? Richtig geraten: weiß sie nicht. „Gothic Folk“ nannte Aldous Harding ihre Musik einstmals, mittlerweile ist Düsternis kein vordergründiges Element mehr. Der Opener „Ennui“ baut auf minimale Drums und leicht angeschrägte Klavierharmonien, in „Tick Tock“ geht’s mit soft-rockender Gitarre und Ukulele-artigem Solo weiter, „Fever“ klingt wie eine ultra-coole Reminiszenz an die Shangri-Las, der Titelsong verlässt sich im Wesentlichen auf eine simple Fingerpicking-Gitarre. „Lawn“ und „Staring At The Henry Moore“ bauen auf sanftes Samba-Feeling, „She’ll Be Coming Round The Mountain“ und „Bubbles“ sind Piano-dominierte Klagelieder, im Orgel-lastigen Closer „Leathery Whip“ fungiert Jason Williamson von den Sleaford Mods eher unauffällig als Background-Sänger. Klingt alles nicht so wirklich aufregend, gräbt sich aber bei wiederholtem Hören ebenso unauslöschlich in die Gehörgänge ein, wie das schon die Songs vom letzten Album „Designer“ taten. Wirklich faszinierend ist aber, wie Aldous Harding mit ihrer Stimme Atmosphäre schafft, sie ohne Rücksicht auf Verluste auslotet, bis sie wacklig wird, wispert oder säuselnd entschwebt. Und dabei permanent in Rollen schlüpft – mal klingt sie kindlich naiv, mal kraftvoll trotzig, mal feenhaft entrückt, mal gibt sie die desillusionierte Südstaatenschönheit, mal zeigt sie uns ihren inneren Lou Reed, dann fühlt man sich kurz mal an Patti Smith oder Nico erinnert. Aber alles, wirklich alles, ist unverwechselbar: Aldous Harding.

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