Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Niedermair · 03. Jun 2018 · Ausstellung

Paper is Painting. Eine leise Intimität - Vernissagerede zur Ausstellung von Christoph Luger in der Galerie Hutz

Ende Mai eröffnete der junge Galerist Maximilian Hutz in seiner räumlich großzügigen Galerie in Hard eine Ausstellung mit Malerei des in Bregenz geborenen, in Wien lebenden und arbeitenden Künstlers Christoph Luger.

Als Künstler ist Christoph Luger bekannt für großformatige Papierarbeiten mit stark gestischer Pinselführung. Er verwendet ausschließlich Papier und Leimfarbe, arbeitet an der Wand, appliziert großformatige Papierbahnen, viele Papierschichten übereinander; die spielerisch-intensive Bearbeitung der Oberflächen nicht nur mit Farbe ist auf vielen Ebenen sichtbar, Risse, Aufrauhungen, Brüche, Knicke; Schichten legen Darunterliegendes offen. Dabei entsteht eine strukturelle Tiefe. Diese hängenden Arbeiten, hier bei Maximilian Hutz diesmal in unterschiedlich großen Formaten, wurden nun auch auf ein liegendes Format übertragen. Es gibt gleich zwei Kunstbücher, die auf schwarzen Holzsockeln liegen. Letztes Jahr, 2017, sahen Claudia Voit und ich im Engländerbau in Vaduz als Kunstankäuferinnen des Landes das erste Künstlerbuch Christoph Lugers, das mittlerweile in der Sammlung des Landes ist und derzeit noch in der Galerie allerArt in Bludenz im Rahmen Kunstankäufe-Ausstellung 2018 zu sehen ist. Das Format ist originell und leicht, unkompliziert, wenn man behutsam blättert, und ständig in neuen Perspektiven zu sehen, weil durch die neuen Überlagerungen beim Umblättern der Papiere und der Farben immer neue Bilder entstehen.

„Die Reisen sind die Reisenden“  - „Paper is Painting“

„Die Reisen sind die Reisenden“ aus Fernando Pessoas "Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernard Soares", der in einem Kontor der Lissaboner Unterstadt, der Baixa, arbeitet, bewegt sich dort fast nur zwischen seinem möblierten Zimmer und den Fenstern. Als „äußerste Schwäche der Einbildungs-kraft“ erscheint ihm die Vorstellung, man müsse „den Ort wechseln, um zu fühlen“. „Existieren ist reisen genug“, lautet seine Devise. Tatsächlich entdeckt er in seiner kleinen Welt mehr als die meisten in der sogenannten großen, weiten Welt, ist er doch nicht auf Abenteuer aus, sondern das Leben an sich erscheint ihm schlechthin als abenteuerlich.
Mit dem Lesen begibt man sich auf eine Reise, man begibt sich in fremde Hände. Prousts Paris, Kafkas Prag, Brechts Svendborg, Joyce’ Dublin, Celans Czernowitz, Bachmanns Rom, Janoschs Panama, Schnitzlers Wien, Austers New York, Meienbergs Zürich, Lessings Harare, Benjamins Moskau, Oz‘ Tel Aviv, Camus Algier, Canettis Marrakech, Jabotinskys Odessa, Bruno Schulz‘ Galizien, Robert Walsers Herisau, Pessoas Lissabon. Die Literatur ist, wenn man denn so will, eine Möglichkeit, das Leben zu ignorieren und sich durch Städte und Orte zu navigieren. Was wir sehen, ist nämlich nicht, was wir sehen, sondern eher was wir sind. Die Literatur bildet dabei eine Folie, die Orte zu lesen. Promenadologie im Sinne von Lucius Burckhardt. Die Frage heute Abend vis-à-vis der Literatur heißt: Wer sind wir vis-à-vis der Bilder Christoph Lugers? Ich glaube, ich weiß es nicht, aber ich glaube, die Farben, die der Künstler über das Papier legt, diesen farbigen Schleier, der selbst auf vielfältige Weise wieder mit Farben verschleiert, wodurch eine Art Farb-Gewebe entsteht, gibt poetische Antworten. Und wir fragen, worüber spricht der Künstler bei diesem Prozess? Was erzählt er?

Die Bilderzählungen

Seine Strategie, mit einem zentral bedeutenden, archaischen Material, mit Papier, zu arbeiten, macht seine Bilder zur Allegorie der Kunst schlechthin. Man hat – wie es der Kunst ganz eigen ist - die Vorstellung, dass man nirgends anders hinschauen kann als auf dieses Kunstwerk, das er zeigt; auch wenn oder gerade weil davor alle durchdringend undurchdringlichen Farbschichten liegen.
Manche sind von so großem Format, dass er sie praktisch nie zeigen konnte. Der Raum bei Maximilian Hutz hier in Hard erlaubt es ihm, diese großformatigen Malereien aus dem Lager, das in seinem Atelier in Wien von der Decke gehängt ist, wo die Farbbahnen gerollt lagern, zu holen und zu präsentieren. Und es ist – wie bereits 2017 im Vaduzer Engländerbau - frappant zu sehen, wie der in Wien lebende und arbeitende Künstler mit seinen Großformaten auch anspruchsvolle Räume spielerisch beherrscht. Hier sind Werk und Raum kongenial aufeinander abgestimmt. Christoph Luger schafft das mit ein paar wenigen großen, hier auch kleineren Arbeiten und mit einem monumentalen Werk, das wie ein riesiger, scheinbar schwarzer Vorhang an der Westwand hängt, von dieser leicht abgerückt. Uns Betrachtern öffnet sich dort der Blick auf die schimmernde Durchlässigkeit, das Bild, das je nach Lichteinfall und Position changiert wie die Rauheiten und aufgeschürften Verletzungen der Papierbahnen. Die dahinter stehende Wand, der Umraum, verhält sich hier im Hutz’schen Galerieraum wie ein eigens dafür gefertigtes Passepartout, eine Perspektive, auf die Karlheinz Pichler schon einmal hinwies.
Lugers hier präsentiertes Werk, in der Verschiedenheit der Formate und Größen, ist eigentlich neu, weil ungewöhnlich, und deshalb auch so frisch. Es reflektiert einen durchpraktizierten, klar definierten, strategisch-kalendarischen Arbeitsprozess. Dennoch ist sein Werk von leiser Intimität und federleichter Sinnlichkeit getragen. An den farbgetränkten Bahnen, die wie auf unsichtbaren Stelen und Linien laufen, ist der Atem des Künstlers hörbar. Er denkt und arbeitet konzeptuell und verhält sich dennoch gegenüber dem Material, gegenüber Papier und Farbe, auf die ihm eigene Weise im Gestus – sinn-lich. Es ist eine stille Sinnlichkeit, die vom Papier als Material und der formalen Konfrontation, impulsiv und rhythmisch in der Zeit vorangetrieben wird.

Wie Behausungen und Häute an der Wand

Christoph Luger produziert mit klösterlicher Akribie Woche für Woche eine Arbeit. Seine Bildträger sind hochwertige Papierbahnen, die er übereinander und an die Wand klebt und tackt, um sie am Wochenende wie eine Haut wieder von der Wand abzulösen. Die Farben stellt er selber her. In den Behältnissen mit Pigmenten und verschiedensten Substanzen oder den Kübeln mit Knochenleim, Ei-Emulsionen und anderem alchemistischem Zeug gärt und duftet es wie im Labor einer Kunst-Küche. Mit den Bahnen und der Farbe schafft Luger Farbfeldstrukturen. Farbfeldmalerei. „Paper is painting“, wie die von Christoph Luger geschätzte amerikanische Künstlerin Helen Frankenthaler, Jg. 1928, sagt, jene fast einzige Frau im Umfeld der Herrengesellschaft des American Abstract Expressionism. Jackson Pollock, Willem de Kooning und anderen. Die einzelnen Felder werden teils mit gestischen Ausholungen farblich gefüllt, immer wieder unterbrochen und ergänzt durch geometrische und zeichenhafte Einschreibungen. Die Verletzungen des Papiers, die Fremdmaterialien, die er zum Teil einarbeitet, erinnern an Techniken wie die Collage und Decollage.

Do you want to walk or shall we take a tram?

Der Großformatigkeit der Bilder wegen steht der Künstler auf einer Leiter und ist somit dem Papier ganz nah. Er spricht von seinen Werken gerne als Porträts oder Landschaften, auch wenn sie größtenteils abstrakt auftauchen. Ihr pastellener Charakter und das ihnen eingeschrieben Zeichenhafte geben diesen papiergeschichteten Farblandschaften einen ungemein poetisch-lyrischen Ton. Sie wirken nie illustrierend, sondern sind Träger und Gefäße von Empfindungen, sie sind Abbild subjektiver Verwirklichung. Sie schaffen Neues, wie jemand, auf Spurensuche, wie jemand, der ein utopistisches Archiv auf der Folie archäologischer Befindungen und Funde malend sich ausdenkt, spielerisch ein Netz an Sprachen und Erinnerungen festhält, traumfetzenartig, an den Schnittflächen von Raum und Zeit, Künstler und Betrachter. Dabei wachsen die Gedanken, in dem sie sich an den eigenen Farben und seinen eigenen Worten nähren. Und das Meer allen neue Hoffnung schenkt, so wie der Schlaf die Träume weckt. Und die Bilder Christoph Lugers, gerahmt oder ungerahmt, in monumentaler Größe oder kleinformatig wie unscheinbare Handbewegungen, scheinen wie durch den Raum zu schweben, leicht, federleicht, farblich einfühlsam und sinnlich wie die beiden Lovers on the Park Bench, von Samuel Johnson, aus der Oper „Einstein on the Beach“, komponiert von Phil Glass und Robert Wilson.

Holderbüsche, nachmitternächtlich

Lugers Papier ist kein statisches Medium, es besitzt strategische Aufgaben. Es ist in Bewegung. Always on the move: Do you want to walk or shall we take a tram? ("Ulysses", James Joyce) In Lugers Bildern gibt es eine absolute Konsistenz, seine Bilder sind seine Entdeckungsreisen. Es vibriert und atmet, dort, visualisiert hinter Schleiern, tauchen Erzählungen auf, Geschichten, Poesie, lyrisch und dialogisch dennoch, en passant, wie im Vorbeigehen, wenn man jetzt an einem Holderbusch eines Gartens vorbeispaziert, nachmitternächtlich, und den Duft mit in den Schlaf nimmt. Das Gedachte, in all seiner Sinnlichkeit und nicht wiegbar und messbar, gesetzt in fragmentarischen Strukturen. Zeichen. Gewordene Bildsamkeit. Mit den Händen des Künstlers. Ich würde gerne einmal eine Erzählung Christoph Lugers lesen, sozusagen die nächste Papierfolie, hinter der nächsten und der nächst weiteren. Luger’sche Bildpoesie.



Christoph Luger: „Papier ist Malerei“
vom 26. Mai bis 28. Juli 2018
Galerie Maximilian Hutz, In der Wirke 4 (oder „An der Steinlache“ im Navigationssystem), 6971 Hard
Öffnungszeiten Do-Fr von 16 bis 18 und Sa von 10 bis 12 und nach tel. Vereinbarung (Telefon: +43  676  310 46 91)
info@galeriemaximilianhutz.at
www.galeriemaximilianhutz.at