Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Peter Niedermair · 21. Okt 2020 · Ausstellung

Werkpräsentationen – Patricia Dauder, Francisco Navarrete Sitja und Evamaria Müller, Austausch Barcelona-Bregenz & Comeback-Stipendium, 2020

2020 hat die Kulturabteilung des Landes Vorarlberg zwei neue Stipendien gestartet. Als Nachfolgeprojekt für die BilbaoArte-Kooperation, der Austausch mit der Post-Graduate-Kunstakademie, der 2019 nach 13 erfolgreichen Jahren zu Ende ging, wurde in Kooperation mit der Stadt Bregenz und der Berufsvereinigung Bildender Künstlerinnen und Künstler in Bregenz ein Austausch mit Hangar.org, einer Künstler*innen-Organisation in Barcelona, ausgeschrieben. Das Comeback-Stipendium richtet sich an Vorarlberger Künstler*innen, die nicht mehr im Land wohnen, und bietet ihnen die Möglichkeit, für drei Monate zurückzukehren. Auf der Grundlage der Enquete 2015 „Inventarisierung einer Kulturlandschaft“ und die daran anknüpfende 2016 veröffentlichte „Kulturstrategie“ bemüht man sich um die Internationalisierung der Vorarlberger Kunst- und Kulturproduktion, um Vernetzungen und Austausch.

Zu Gast in Bregenz sind in diesem Jahr die spanische Künstlerin Patricia Dauder, der aus Chile stammende Francisco Navarrete Sitja und die Vorarlbergerin Evamaria Müller. Vom 21. bis zum 24. Oktober, jeweils von 16 – 19 Uhr, öffnen die Künstler*innen ihre temporären Ateliers, Open Studios, in Bregenz und präsentieren einen Einblick in ihre Arbeit der letzten zwei Monate. Aufgrund der aktuellen Situation wird es keine Eröffnungsveranstaltung geben. Die Künstler*innen sind zu den Öffnungszeiten vor Ort und stehen für Gespräche bereit.
Die bekannten Vorschriften, Abstand, Mund-Nasen-Schutz, bitten die Veranstalter zu beachten.
Patricia Dauder & Evamaria Müller stellen im DWDS aus, Jahnstraße 13 – 15, Bregenz; Francisco Navarrete Sitja im Künstleratelier der Landeshauptstadt Bregenz, Gallusstraße 10a, Bregenz. Die beiden Vorarlberger Künstlerinnen werden wegen derCovid-19-Situation ihren Aufenthalt in Barcelona um ein Jahr verschieben.

Austausch Barcelona – Bregenz: Patricia Dauder

Während ihres zweimonatigen Aufenthaltes in Bregenz hat Patricia Dauder an Zeichnungen und Fotografien gearbeitet, die sie modifiziert und anschließend mit Lithografie auf japanisches Papier druckte, die eine Komposition auf einer Wand mit verschiedenen sich überlappenden Schichten bilden. Die Bilder zeigen geöffnete, geweitete oder komprimierte Formen, Risse, Einrisse oder Markierungen in der Epidermis mehrerer Geschöpfe, die, wenn auch nicht unbedingt explizit, eine metaphorische Beziehung zur Idee von Erosion und Spur, verursacht durch Transformationsprozesse, haben, die Menschen, Tiere und Pflanzen verursachen. Die Künstlerin hat hauptsächlich im druckwerk in Lustenau in der Hofsteigstraße gearbeitet und ist den Spuren und Zeichen in den Oberflächen nachgegangen, der Haut von Menschen und Tieren, den äußeren Schichten von Bäumen, deren teilweise Unsichtbarkeit sie in ihren Drucken auf japanischem Papier zeigt. Dabei entstehen in einem registerartigen Zugang rhythmische Linien und Kurven, eine musikalisch anmutende, sich ausdehnende Form. Das Studium und Experimentieren mit Form, Materie und Struktur sind die Mittel, mit denen Patricia Dauder über das Ephemere und Temporäre wahrnimmt, interpretiert und projiziert: Veränderungen in der Umwelt, flüchtige Phänomene oder vage Wahrnehmungen und Empfindungen in ihrem Bewusstsein. Die endgültigen Morphologien, die in einer Vielzahl von Medien - Zeichnungen, Filmen, Textilien, Objekten oder Fotografien - erscheinen, sind das Ergebnis langwieriger aufeinanderfolgender Prozesse des Tuns, des Wiederholens, der Addition und Subtraktion, in denen Ideen wie An- und Abwesenheit, Ganzes und Fragment, Masse und Leere, Abfall und Spuren in der Natur und vom Menschen geschaffene Elemente subtil widerhallen. Den Aufenthalt hier in Vorarlberg erlebte sie als eine wertvolle Bereicherung, besonders auch durch die Begegnungen mit Künstler*innen in Bregenz. Der Alltag bedeute eine signifikante Abwechslung zum Leben in Barcelona. Katalonien beschreibt sie als ein politisch geteiltes Land, in dem die Auswirkungen der Franco-Zeit bis heute nachhallen. Die Förderung von Kunst und Kultur sei hier deutlich anders als in Barcelona, wo die zeitgenössische Kunst im Allgemeinen nicht sehr geschätzt sei. Kulturelles und Künstlerisches werde viel eher als Unterhaltung gesehen.
Patricia Dauder (1973) lebt in Barcelona. Sie studierte an der Facultat de Belles Arts in Barcelona und in den Ateliers Arnheim in den Niederlanden. Seit 1998 hat sie in ganz Europa und gelegentlich in Nord- und Südamerika ausgestellt. Einige ihrer jüngsten Ausstellungen sind Surface. Introducing Patricia Dauder, National Gallery of Prague, Czech Republic, 2018; XIV Bienal de Cuenca. Estructuras Vivientes, Cuenca, Ecuador, 2018; Terra Incognita, Centro de artes Contemporâneas, Sâo Miguel, Açores, Portugal (2017); Recinto, MARCO, Vigo, Spain (2015); Art Statements / Art Basel, Basel, Switzerland und andere. Dauder wird von der Galerie ProjecteSD in Barcelona vertreten.

Francisco Navarrete Sitja

Seine künstlerische Forschung untersucht das Konzept der „Chilenischen Schweiz“. Dieser Begriff wurde um 1900-1950 verwendet, um die Region Araucanía (Wallmapu) im Süden Chiles neu zu definieren. Ausgehend vom Begriff der „unberührten Natur“ verbreitete sich dieses Konzept über verschiedene grafische und literarische Darstellungen von Bergen, Seen und Wäldern. Navarrete Sitjas Forschung hinterfragt die Stereotypen von Landschaften und die historische und neokoloniale Analogie, die dieses Konzept zwischen chilenischen und schweizerisch/alpinen Landschaften etabliert hat, und trug im Laufe der Zeit dazu bei, das Territorium und sein kollektives Gedächtnis in einem europäisierenden Sinn neu zu definieren. „Der Künstler erforscht diese ,Homologierung von Landschaftsszenarien‘ als eine Strategie der Aneignung und versucht – über verschiedene Medien – zu reflektieren, wie dieses Konzept zur ,Nationalisierung der Natur‘, zur ,Naturalisierung der Nation‘ und zur Normalisierung von Identitäten und extraktivistischen Praktiken im kolonialen Unbewussten der Bewohner beigetragen hat“, wie es in der Information von Kirsten Helfrich, die das Projekt in Bregenz und in Barcelona betreut, heißt. In Bregenz zeigt der Künstler eine Installation, gesprochene poetische Texte („For each absent body, / a stone / creates / sparks.“) und eine am Boden ausgelegte Collage aus schwarzen Blättern, die wellenförmig aneinander gefügt sind, auf denen sonnenbelichtete Kieselsteine sichtbar sind. Es ist, als spaziere man im übertragenen Sinn über eine Wasserlandschaft am Ufer eines Gewässers.
Während seines Aufenthaltes in Vorarlberg arbeitete der Künstler an der Entwicklung von zwei Drehbüchern für Filme, die Teil einer Installation werden, an der Bearbeitung digitaler Film- und Tonaufnahmen aus der Alpenlandschaft im Wallis, in der Haute-Provence in Frankreich und in Vorarlberg sowie an einem Künstlerbuch und Videoanimationen mit Bildern aus den Archiven der Landesbibliothek Bregenz und der Inatura Dornbirn. Der 1986 in Chile geborene Francisco Navarrete Sitja ist ein bildender Künstler, dessen Werk sich speziell mit der Beziehung zwischen Repräsentation, Territorium, Natur und nicht-menschlichen Formen befasst, die sich in verschiedenen Umgebungen manifestieren, von der Landschaft bis hin zu Erwartungen in Bezug auf Identität.
Er studierte Fine Arts und Visual Arts an der Universidad de Chile und ist Absolvent des Programms für Unabhängige Studien PEI am Museu d'Art Contemporani de Barcelona MACBA. Derzeit ist er Ko-Direktor von L'Aquila Reale Centro d'Arte e Natura di Civitella di Licenza in Italien und gehört dem internationalen Netzwerk TSOEG „Temporal School of Experimental Geography“ (UK) an. Er hat an Künstleraustauschprogrammen teilgenommen und, einzeln oder gemeinsam, in verschiedenen Kontexten ausgestellt, unter anderem in Südamerika, Europa, den USA, Kanada und Australien.

Comeback-Stipendium Evamaria Müller

In der Präsentation zeigt die Künstlerin, die bereits Anfang dieses Jahres drei Monate lang ihren künstlerischen Arbeitsort an die Ill verlegt hatte, „EILE“, eine ca. 15 Minuten lange Video- u. Soundinstallation, die u.a. 2020 in Bregenz entstanden ist. Flüsse sind kulturelle Einheiten, die mit dem sozialen System interagieren. EILE ist ein laufendes Fieldrecording-Projekt, das sich mit der Ill als Lebensraum, Energie- und Einnahmequelle auseinandersetzt. Bildfragmente, die den Arbeitsprozess dokumentieren, treffen auf eine Auswahl der am Fluss gesammelten Aufnahmen, um verschiedene Räume zu (re-)konstruieren: Zwischen Autobahnbrücken, Naturkräften und einer Symphonie von Kraftwerksgeräuschen, ergänzt durch eine Klang-Improvisation über die hürdenreichen Migrationsbewegungen im Fluss lebender Tiere und Pflanzen. Die Fragen, denen sie in ihren Recherchen nachgeht, sind sehr spannend und erinnern mich teilweise an die Methoden der Spaziergangswissenschaften, die der Basler Soziologe, Ökonom und Kunsthistoriker, der an vielen akademischen Orten, u.a. der Kasseler Gesamthochschule, Fragen der Städteplanung und Architektur („Design ist unsichtbar“) nachgegangen ist. Die Promenadologie gründet sich auf die These, dass die Umwelt nicht wahrnehmbar sei, und wenn doch, dann auf Grund von Bildvorstellungen, die sich im Kopf des Beobachters bilden und schon gebildet haben. Das installative Sound-Projekt ist noch nicht abgeschlossen, neben den Visualisierungen der Spaziergänge geht es der Künstlerin auch um die musikalische Interpretation der verschiedensten Gegenstände und Objekte auch in ihrer historischen Bedingtheit, etwa im Bereich der Textilindustrie, entlang der Ill.
Evamaria Müller, *1988 in Lustenau, setzt sich in ihren multimedialen Installationen systematisch mit Repräsentationen der Mystifizierung von Natur und Technik, instrumentalisierter Natur und mit den Erfahrungsbereichen Isolation und Simulation auseinander. In diesen meist ortsspezifischen Arbeiten verknüpft sie Fieldrecordings, Found Footage sowie Interviews mit Klangexperimenten gesammelter Fragmente und Objekte. Ihre Arbeiten waren u.a. zu sehen im hothouse for rough translations (München), wellwellwell (Wien), Center of Contemporary Art (Montenegro), Schwere Reiter (München) und ihre Soundkompositionen waren Teil von Videoarbeiten, Performances und Lesungen, im MUSA (Wien), Literaturhaus (Wien), Literaturbiennale Wuppertal, Künstlerhaus (Wien), Ujeongguk (Seoul) und im öffentlichen Raum. Sie ist Teil von Rendezvous3000 (www.rendezvous3000.com) und Studio Studio (www.studiostudio.org).
www.evamariamueller.net