"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Karlheinz Pichler · 12. Nov 2020 · Ausstellung

„Ballbusting“ zwischen Gemüsebeeten und Marterlszenario – Peter Wehinger in der Altacher Galerie Vor-Ort

Zwar haben die öffentlichen Kunst- und Kultureinrichtungen aufgrund der Corona-Bestimmungen ihre Rollbalken gegenwärtig heruntergelassen, aber es bestehen dennoch Möglichkeiten, Kunst auch jetzt noch an speziellen Orten zu betrachten und zu genießen. Eine Option etwa befindet sich in Altach. Hier bespielt der 1971 in Dornbirn geborene Künstler Peter Wehinger aktuell und noch bis 6. Januar die Galerie Vor-Ort.

Bei der „Galerie Vor-Ort – Drei Fenster zum Weg“ handelt sich im Prinzip um einen Container, der neben einem Einfamilienhaus steht und der über drei Fenster verfügt, die von Kunstschaffenden mit speziell dafür abgestimmten Kunstwerken „annektiert“ werden. Ursprünglich wollte Wehinger hier drei seiner typischen Zeichnungen, in denen er sich existentiell und augenzwinkernd mit dem Alltag vor allem älterer Menschen auseinandersetzt, wie eine Art Triptychon präsentieren. Letztlich aber ist die Ausstellung „Vor-Ort“ zu einer Auseinandersetzung mit der prekären Ausstellungssituation am Rande eines Radweges inmitten einer kleinbürgerlichen Einfamilienhaussiedlung, also sprichwörtlich im Nirgendwo, geworden.    

„Eine Wespe will geärgert werden, bevor sie sticht!“  

Konkret besteht Wehingers Beitrag aus vier Teilen. Im ersten (Schau)Fenster hängt ein im Mindmapping-Verfahren erstelltes Gedankenposter, auf dem er seinem Nachdenken über den Ausstellungsort freien Lauf lässt. In den diversen Assoziationsketten liest man Begriffe und Wortgruppen wie etwa „Kunst im öffentlichen Raum ist Zensur“, „Verstören“, „Schlechte Ausstellungssituation“, „Differenzen mit Galeristinnen“, „Ein Offspace ist keine Galerie“ oder „Eine Wespe will geärgert werden, bevor sie sticht“. Im mittleren „Fenster zum Weg“ eine Zeichnung, auf der eine rustikale Frau dargestellt ist, die einem älteren, glatzköpfigen Mann zwischen die Beine tritt. Dieses „Ballbusting“ zählt im sexuellen Kontext zur Kategorie der CBT (Cock- and Balltorture) und damit zu einer Praxis, die aufgrund der großen Schmerzen, die diese Tortur verursacht, nur bei extrem masochistisch veranlagten Männern zur Anwendung kommt. Im übertragenen Sinn muss also ein Künstler oder eine Künstlerin sehr selbstquälerisch sein, dass er sich auf diese exponierte Ausstellungssituation einlässt.
Im dritten Fenster dann ein persönlicher Text des Künstlers, in dem er auf die besonderen Verhältnisse „Vor-Ort“ eingeht. Wörtlich heißt es hier: Privater Raum oder öffentlicher Raum? In einer Einfamilienhaussiedlung der Peripherie steht ein Container mit drei kleinen Fenstern. Nicht der ideale Ort für eine Ausstellung, aber vielleicht gerade deshalb inspirierend. Der Ärger über die schwierige Ausstellungssituation befruchtet die Arbeit, wirft mich aber immer zurück auf die äußeren Umstände, und so bringe ich Metaebene und Arbeit zusammen und gewähre einen voyeuristischen Einblick.“      

Zum Fremdschämen      

Ein Schild, das an Firmentafeln von Handwerksbetrieben oder Restaurants erinnert, markiert den vierten Teil der Ausstellung. An einer Schiene befestigt, die vom Dach des Containers in den Weg hineinragt, soll es Passanten, die ansonsten gleichgültig am unscheinbaren Container vorbeiradeln oder vorübergehen würden, neugierig machen und zum Verweilen auffordern. Nähert man sich von der einen Seite, so ist auf dem Schild „Leider geil“ zu lesen, von der anderen Seite kommend heißt es: „Zum Fremdschämen“. Nach der Intention Wehingers haben die Tafeln nämlich eine Bewertungsfunktion. Leute, die die Ausstellung besichtigen, können diese gleich an Ort und Stelle beurteilen und ein Selfie unter der jeweiligen Seite des Schildes machen, die ihre Einschätzung besser trifft. Ist die Zeichnung, in der die Frau in die Eier des Mannes tritt, leider geil oder viel mehr zum Fremdschämen? Der Künstler hofft auch, dass möglichst viele Leute solche Selfies auf den diversen Social-Media-Plattformen teilen. Womit nicht nur die Bewertung sichtbar, sondern auch gleichzeitig das Ausstellungsprojekt promotet würde. Im Übrigen trägt das Projekt den Titel „Vergeltsgott“. Wobei dieses „Vergeltsgott“ nicht nur an die Besucher für die Bewertung gerichtet ist, sondern auch als Dank an die Galerie-Betreiber gewertet werden kann, die ihm diese Ausstellung – trotz schwieriger Bedingungen – ermöglicht haben.     

Peter Wehinger: „Vergeltsgott“
bis 6.1.2021
Galerie Vor-Ort, Drei Fenster zum Weg
Altach, Alteichweg