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Karlheinz Pichler · 09. Nov 2021 · Ausstellung

Über den Raubbau an den globalen Ressourcen – Otobong Nkanga im Kunsthaus Bregenz

Wer aktuell das Foyer des Kunsthaus Bregenz (KUB) betritt, wird zunächst eines toxisch, brackig anmutenden Lehmtümpels in erdigen Farben sowie eines mächtigen Baumstammes gewahr, der vom Boden aus schräg nach oben ragt und scheinbar durch die Decke geht und sich, in den nächsten Stockwerken verjüngend, weiter durch das gesamte KUB erstreckt. Die Installation ist Teil einer von Otobong Nkanga eigens für das KUB ausgedachten Ausstellungslandschaft, die sich vom Erdgeschoss sukzessive bis zum vierten Stockwerk linear weiterentwickelt. Bei der Realisierung der Lehmbauten arbeitete Nkanga eng mit dem Schlinser Lehmbau-Experten und Künstler Martin Rauch zusammen. Die Schau handelt von der Erde und vom Wasser und dem Raubbau an den globalen Ressourcen.

Die mächtige, rund 300 Jahre alte Weißtanne aus Grünbach bei Doren war ursprünglich höher als das KUB. Es habe ihr leid getan, diesen Baum zu fällen, so Nkanga, aber er sei vom Borkenkäfer befallen und bereits im Sterben begriffen gewesen. Das freigewordene Licht schenke dafür anderen Bäumen Wachstum. Der kleine Teich, aus dem der Baum scheinbar herauswächst, soll gemäss KUB-Chef Thomas Trummer einen dunklen Abgrund symbolisieren, benannt nach dem ersten der vier Wandteppiche „Unearthed – Abyss“. Diese monumentale Tapisserie, die im spannungsvollen Kontrast zum venenös wirkenden Tümpel an der Betonwand des KUB hängt, ist eine von insgesamt vier großformatigen, farbig leuchtenden Tapisserien, die die Verbindungen zwischen Land und Ozean darstellen. Die gewobenen Werke, jeweils einzeln in jedem Geschoss des Kunsthaus Bregenz hängend, stellen Meerestiefen, Jahreszeiten und Klimazonen dar. Die Ausstellung im KUB könnte also heißen, „folge dem Baum, folge den Wandteppichen“.     

Die Geschichte der Elemente
Otobong Nkangas Ausstellung erzählt grundsätzlich die Geschichte der Elemente Erde und Wasser und von unserem (desaströsen) Umgang mit der Natur. Mit der Tapisserie im Erdgeschoss lenkt sie den Blick auf das nur schwer ergründliche Dunkel des Meeres. Sie geht gleichsam in die Tiefe, um zu zeigen, was sich an der Oberfläche abspielt. Kippt das Meer im Zuge der Klimaerwärmung, wenn der Meeresboden abgebaut wird und wenn ihm Mineralstoffe entzogen werden, dann hat dies unweigerlich Auswirkungen auf den gesamten Naturhaushalt und auch auf das Leben eines einzelnen Baumes. Die Geschichte der Wandteppiche entwickelt sich weiter in die helleren Wassersphären mit Quallenschwärmen und Korallenriffen, der Strand wird sichtbar mit seinen überall verteilten Abfällen, und ganz zuoberst ein lichterloh brennender Wald. Nkanga verweist auf den Menschen, der die Zerstörungen und Vergiftungen der Umwelt nicht aushält und vom Untergang bedroht ist. Anders hingegen die Natur, der es immer wieder gelingt, sich anzupassen. Die Künstlerin: „Wir sind es, die diese Gifte nicht aushalten. Wenn wir an den Klimawandel denken, denken wir immer an uns und unser Überleben. Aber wenn man an Tschernobyl denkt oder an Fukushima oder das Niger-Delta: Da gedeihen immer noch Pflanzen – wenn auch in anderer Form."

Kraterlandschaft
Von den Tiefen des Meeres, versinnbildlicht im Ergeschoss, steigt man also hinauf, passiert die Mitternachts- und die Dämmerungszone ("Unearthed – Midnight" sowie "Unearthed – Twilight") bis hinauf ins Sonnenlicht ("Unearthed - Sunlight"). Jedoch ist es ein Aufstieg ins Verderben, denn das oberste Stockwerk bietet ein Bild der Apokalypse. Der Boden sieht aus, wie eine Kraterlandschaft. 50 Tonnen Lehmerde wurden hier ausgebreitet, die Baumspitze ist verkohlt und es ist heiß. Dabei hat die Künstlerin aber nicht auf einen Hoffnungsschimmer vergessen: In einer kugelförmigen Sphäre aus Muranoglas wächst wie in einer "Mini-Erde" ein Abkömmling des Baumes weiter.
Die verschiedenen Lehminstallation stammen vom Schlinser Lehmbaukünstler Martin Rauch, bekannt dafür, dass er Häuser aus lokal vorhandenen Lehmmaterialien baut. Rauch erläutert mit Bezug auf die rund 50 Tonnen Lehm: „Das habe ich hier eigentlich nur ausgeliehen. Das Material nehme ich eins zu eins wieder zurück, es wird wieder gemischt und fließt in die Produktion ein. Damit werden wieder Häuser gebaut. Dieser Recyclinggedanke ist sehr wichtig.“ Otobong Nkanga hat fast zwei Wochen in Schlins gewohnt, um mit Rauch das gesamte Materialprozedere durchzuchecken und zu entwickeln.
Für die Künstlerin ist Boden die Lebensgrundlage der Menschen, dennoch wird er auf der einen Seite der Welt ausgebeutet und auf der anderen versiegelt. Sie befragt mit ihrer Ausstellung unter anderem, warum das Verhältnis zur Natur so unausgewogen sein muß. Und sie setzt sich mit der Ökonomie der Zukunft auseinander, vor allem seit der Pandemie. "Alles ist tief miteinander verbunden", zeigt sie sich überzeugt, "der Baum, der Boden, das Wasser".

Stationen
Otobong Nkanga, die heute in Antwerpen lebt und arbeitet, studierte zunächst Kunst an der Obafemi Awolowo Univeristy in Ife, Nigeria, und setzte das Studium dann in der Folge an der Ecole nationale superieure des Beaux-Arts in Paris fort. Im Anschluss daran beteiligte sie sich am Residenzprogramm an der Rijksakademie van beeldende kunsten in Amsterdam. Im Jahr 2008 erwarb sie einen Master im Fach Performance Art an der DasArts-Schule, ebenfalls in Amsterdam. 2013 war sie dann Stipendiatin des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. 2015 wurde der Künstlerin der hochdotierte Yanghyun-Preis zugesprochen, und 2019 wurde sie mit dem renommierten Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum ausgezeichnet. Auch ihre Ausstellungsbiografie kann sich sehen lassen. So kann sie beispielsweise auf Einzelschauen in der Villa Arson, Nizza (2021), im Berliner Martin-Gropius-Bau (2020), in der Tate St. Ives (2019/2020) oder im Museum of Contemporary Art, Chicago (2018) verweisen. Darüber hinaus partizipierte sie an der 58. Kunstbiennale in Venedig (2019), an der documenta 14 in Kassel (2017), an der Biennale of Sydney (2016), an der Berlin Biennale (2014) sowie mehrfach an der Sharjah Biennial (2019, 2013 und 2005).      
 

Otobong Nkanga
bis 6.2.2022
Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr
Kunsthaus Bregenz
www.kunsthaus-bregenz.at