Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Karlheinz Pichler · 22. Jul 2019 · Ausstellung

Wenn Männer knietief im Sumpf stecken – Thomas Schütte im Kunsthaus Bregenz und davor

Der 64-jährige Düsseldorfer Künstler Thomas Schütte arbeitet in allen Formaten. Weltweit bekannt geworden ist er aber mit monumentalen Skulpturen und ausgefeilten Architekturmodellen. In dem, was er macht, schaut er nicht links und nicht rechts. Der Kunstmarkt und seine Mechanismen sind ihm völlig egal. Trotzdem kann er es nicht verhindern, dass er Teil davon ist, erzielen seine Werke doch Preise in Millionenhöhe. Und die Museen rund um den Globus reißen sich um den Deutschen. Mit dem ehemaligen Gerhard-Richter-Schüler hat das Kunsthaus Bregenz für die diesjährige Sommerausstellung jedenfalls ein schwergewichtiges Zugpferd in die Bodenseestadt geholt.

Obwohl die Ausstellung von Thomas Schütte in Bregenz Werkkomplexe aus fast vier Jahrzehnten umfasst, will der Künstler sie nicht als Retrospektive gewertet wissen, sondern viel mehr als „Gruppenausstellung“. Denn die Schau führt jeweils mehrere Arbeiten aus unterschiedlichen Werkkomplexen zusammen. Wobei der dramaturgische Verlauf der Ausstellung bereits auf den Vorplätzen des Kunsthauses Bregenz (KUB) einsetzt. So stehen vor der Seekapelle und am Kornmarktplatz zwei gigantische, patinierte Bronzekolosse, die zunächst an die klassische Denkmaltradition erinnern, auf den zweiten Blick jedoch irritieren. Der eine dieser rund viereinhalb Meter großen und fast zwei Tonnen schweren „Helden“ trägt nämlich mit der Jakobinermütze das Symbol der Französischen Revolution auf dem Kopf, aber das eigene Gesicht wie eine Maske in der Hand. Und der andere vor der Seekapelle hält eine schlaff herunterhängenden Fahne in der Hand. Und beide monumentalen Figuren stecken bis zu den Knien im Morast. Eine symbolische Parallele zu der im eigenen Sumpf untergehenden Menschheit drängt sich auf. Auch die im dritten Obergeschoss des KUB platzierten drei „Männer im Wind“ (2018) versinken im Matsch und bezeichnen zusammen mit den Kolossen im Freien eine Art große Klammer um die Gesamtpräsentation Schüttes.
„Es war ein Versuch, klassische Skulpturen zu machen. Und es gibt immer sehr realistische, dann wieder abstrakte. Es ist eine Art Formsuche. Eher eine Suche, als ein Resultat“, kommentiert Schütte, der sich auch als Seelenverwandter etwa mit einem Jacques Lipchitz (1891-1973), einem Aristide Maillol (1861-1944), Auguste Rodin (1840-1917) oder auch einem Pablo Picasso (1881-1973) sieht, diese Kolosse.

Wachsverformungen kleine Modelle

Für seine Stahl und Bronzegüsse arbeitet Thomas Schütte seit Jahrzehnten mit der Düsseldorfer Kunstgießerei Kayser zusammen. Wobei er seinen Anteil an diesen expressiven Monumenten herunterspielt. Er habe nur kleine „Bozettis“, zumeist aus Wachs oder Ton, beigesteuert, die dann von den meisterhaften Gießern in zig-facher Vergrösserung realisiert würden. Aber allein, dass diese kleinen Modelle dem monumenalen „Aufblasen“ standhalten, setzt eine große Könnerschaft voraus. Schütte: „Das sind alles Wachsverformungen von kleinen Modellen. Bei der Vergrößerung vernuscheln sich die Konturen, die muss man dann nachschleifen.“
Obwohl diese Plastiken formal an Heldendenkmäler erinnern, stehen sie wie verloren und auf sich zurückgeworfen im Morast. Es sind gebrochene Kreaturen, deren Schicksal in Schwebe scheint und den Betrachter verunsichern. „Ohne ironische Brechungen geht’s nicht“, betont der Künstler.

Dennoch stehen die im Dreieck arrangierten „Männer im Wind“ nicht allein im Raum. Denn an den Wänden hängen in Aquarelltechnik gemalte, kleinformatige Porträts von Blues-Größen („Blues Men“, 2018), von John Lee Hooker über B. B. King bis zu Otis Redding. Obwohl Schütte diese Musiker laut eigenen Angaben in jeweils nur zwei bis drei Minuten aufs Blatt „geworfen“ hat, abgemalt vom PC-Bildschirm, können sie sich gut gegen die skulpturalen Dinger behaupten.

Mit den Händen werken

Thomas Schütte bezeichnet sich im Gespräch immer wieder auch als Bastler und bringt damit die Wertschätzung des Handwerklichen zum Ausdruck. Das Arbeiten mit den Händen, das Zeichnen, das Aquarellieren, das Modellieren, das Formen mit Ton und Knetmasse, das Bauen mit Holz und anderen Materialien stehen denn auch im Zentrum seiner künstlerischen Tätigkeit. Das offenbart sich auch an den Architekturmodellen einen Stock tiefer. Mit dieser Möglichkeit der Erweiterung des Skulpturenbegriffs begann Schütte bereits 1980. Damals baute er sich auch sein eigenes Grabmal (1981), vorne ein Grabstein, hinten ein Wartehäuschen. Auch sein Sterbedatum ist hier vermerkt: 23. März 1996. „Ich muss da immer schmunzeln, wenn ich davor stehe. Aber es ist sehr beruhigend, einen Stein im Keller zu haben,“ sagt Schütte, der seinen Todestag damit bereits um 23 Jahre überlebt hat.

Unter den Modellen befindet sich neben vielen anderen auch das „Haus für Terroristen“. Eine Erklärung zu diesem Titel ist, dass Terroristen nie in den Ferien sind und es sich deshalb um einen Widerspruch in sich handelt. „Will man in der Interpretation weiter gehen, ließe sich auch das 2002 gegründete Guantanamo mit in Betracht ziehen, und zwar vor allem in Folge des Außer-Kraft-Setzens sämtlicher völkerechtlicher Bestimmungen und unter Rückgriff auf Carl Schmitts Dezisionismus und dessen Definition des Souveräns als desjenigen, der den Ausnahmezustand verhängt. Der Ausnahmezustand ist eben der Terrorist in den Ferien. Auch Schmitts Erklärung des Begriffs des Politischen aus der Religion passt in dieses Bild. Man kann aber eine solche Interpretation auch für übertrieben halten und konstatieren, dass der Titel 'Ferienhaus für Terroristen' dem Werk etwas hinzufügt und es so offener gestaltet und den Betrachter sowohl auf den richtigen Weg als auch in die Irre führt.“ (Fabian Stech in: Kunstforum, Bd. 202, 2017, S. 376)    

Verformte Frauenkörper

Eine Streichholzschachtel als Baukörper und ein geschwungener Kartoffelchip als Dach sollen Schütte die Idee zum ersten Entwurf für seine Skulpturenhalle in Neuss geliefert haben, mit der sich der Deutsche sein eigenes, 2016 eröffnetes Museum gebaut hat. Der geplante Erweiterungsbau dazu ist ebenfalls im KUB zu bestaunen. In dieses Privatmuseum brachte der Künstler unter anderem jene 18 Frauenskulpturen ein, von denen nun acht Stück in Bregenz das erste Obergeschoss bestücken. Für diese auf kühlen, Seziertisch-ähnlichen Plattformen aus Stahl präsentierten gewundenen, gestauchten und in sich zusammengesunkenen Frauenleiber benutzte Schütte unter anderem poliertes Aluminium und Stahl, sowie einen speziellen, sehr hochwertigen farbigen Lack, der auch für Motorradtanks benutzt wird. „Dies verbindet ihn mit Jeff Koons, dessen ikonische 'Blue Balloon Dog', 'Tulips' und 'Rabbit' mit ähnlichen Oberflächen strahlen. - Hochglanzpolierter Stahl mit hochwertigsten Speziallacken aus der Autoindustrie“, kommentiert KUB-Kurator Rudolf Sagmeister. Flankiert werden diese teils „verkrüppelten“ Frauenfiguren von neuen "Flags" und "Fake Flags", die aus lasierten Keramikplatten bestehen, auf denen das deutsche Schwarz-Rot-Gold in immer schmutzigere Farbtöne ausbleicht.

Keramik- und Muranoglas-Köpfe, die an die fratzenhaften Schädel von Franz Xaver Messerschmidt erinnern und in den schmalen Stiegenhauspassagen auf Schlangen-Stelen ruhen, sowie die 2011 entstandenen Holzdrucke „Woodcuts“ und eine hölzerne, rot gestrichene Bibliothek im Erdgeschoss runden diese Schau „voller Energie“ (KUB-Direktor Thomas D. Trummer ) ab. Und nicht zu vergessen das „schnaubende“, zwei Tonnen schwere Fabelwesen („Drittes Tier“, 2018) aus Bronze, das den Eingang zum KUB bewacht respektive die BesucherInnen freundlich begrüsst. Dieses „Zugpferd“ hat seinen Ursprung in Modelliermassefiguren, die Schütte dereinst für seine Kinder geformt und nach langer Zeit in einem Karton wiederentdeckt hat.

Wie Thomas Schütte in einem Interview mit ORF erläutert, stellen für ihn Großausstellungen wie jetzt in Bregenz keine Ehrung dar, sondern eine echte Prüfung. Man gehe da mit „hängendem Magen“ zur Eröffnung, so der Bildhauer. Nichtsdestotrotz naht der nächste große „Exhibition-Blues“ für ihn in großen Schritten, plant doch das renommierte Moma in New York 2021 eine große Retrospektive mit ihm.     

Thomas Schütte
Bis 6. Oktober
täglich 10 bis 20 Uhr
Kunsthaus Bregenz
www.kunsthaus-bregenz.at