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Karlheinz Pichler · 30. Jän 2020 · Ausstellung

Steine, die wie Wolken am Himmel ziehen - Hannes Ludescher im Kunstraum Engländerbau

Ein Interior aus einer "Haufenwolke", bestehend aus dreißig Papiersteinen, die im Raum schweben, und einer Horizontlinie, die von 140 Meeresaquarellen entlang den Wänden gebildet wird, erwartet die Besucher der aktuellen Ausstellung im Kunstraum Engländerbau in Vaduz. Die Installation "Lichte Steine" ermöglicht einen Blick auf das konzentrierte und sinnlich-reflektierte Schaffen des Bildhauers, Grafikers und Malers Hannes Ludescher.

Steine, Sand und Wasser sind die Ingredienzen, die den Kunstkosmos von Hannes Ludescher bestimmen. Seit seinen Anfängen als freischaffender Künstler setzt er sich mit diesen Elementen auseinander. Sie bedingen sich ja auch gegenseitig. Anfangs entstanden zunächst vor allem Landschaftsaquarelle. Der Fall der Berliner Mauer 1989 sei dann für ihn eine Zäsur und Aufforderung gewesen, etwas völlig Neues zu beginnen, betont der Künstler. Nach Vorlagen aus der Natur bildet er seither gefundene Kiesel und Steine nach. Seine vielschichtige Welt der Papiersteine und seine pleinair aquarellierten (Ein)Sichten auf das Meer führt er in der großen, installativ angelegten Werkschau im Kunstraum Engländerbau in Vaduz zusammen. Die Ausstellung wird von ihm selbst sowie der Museologin und promovierten Hadwig Kraeutler gemeinsam kuratiert. Zentraler Blickfang sind dabei die über dreißig Papiersteine unterschiedlicher Größe, die wolkenförmig angeordnet von der Decke hängen. Darunter befinden sich ganz neue Objekte, aber auch solche aus der Anfangszeit.       
Nicht jeder Stein eignet sich zur skulpturalen Transformation. Ein Stein muss von allen Seiten etwas hergeben, betont der Künstler. Bezüglich Form, Farbe und struktureller Maserung. Zudem sollen die Steine keine konkreten Inhalte transportieren, sondern von der Möglichkeit berichten, eine zweidimensionale Zeichnung in die Dreidimensionalität zu übersetzen. Und die Modelle dazu stammen zumeist aus dem Mittelmeerraum oder aus der regionalen Umgebung. Aber es gibt auch Ausreißer darunter. So stammt eine Vorlage aus Japan und eine aus Russland. Und es ist auch ein ganz besonderes Objekt darunter, nämlich ein roter Papierstein. Das „Modell“ dazu ist ein Eckstück eines gebrannten Ziegelsteines und stammt aus dem KZ und Vernichtungslager Ausschwitz. Im Zuge einer Polenreise besuchte er auch diesen tragischen Ort und fand das Eckstück im Dreck liegend. Zwar sei es illegal, Dinge jeglicher Art von dort mitzunehmen. Aber aus rein künstlerischer Intention habe er das Relikt doch aufgehoben und an sich genommen. Dann sei es fünfzehn Jahre im Atelier gelegen, bevor er sich daran gemacht habe, es als Vorlage für ein Papierobjekt zu verwenden. Es ist einer der wenigen Papiersteine, die tatsächlich inhaltlich aufgeladen sind. Und will man diesen Papierstein als Mahnmal werten, so besticht er eben durch seine Leichtigkeit und Verspieltheit. Denn die meisten anderen Holocaust-Mahnmale sind düster und traurig. Außerdem muss das Ziegelbruchstück ja nicht unbedingt nur für Zerstörung stehen, sondern es könnte auch einen Neuanfang signalisieren. Im Übrigen war dieser rote „Stein“ aus Papier und Hasel die vergangenen zwei Jahre bereits in der Ausstellung „Feldkirch 800“ zu bestaunen.     

Meereshorizont      

Die BesucherInnen des Engländerbaues können sich unter und neben der Steinwolke fortbewegen. Die einzelnen Steine drehen sich leicht und scheinen langsam am Himmel dahinzuziehen. Manche hängen so tief, dass man sie berühren kann. Was dem Kunstler durchaus recht ist. Dass die Leute auf die Dinger zugehen und sich auf sie einlassen ist etwas, das Ludescher unbedingt angestrebt wird.       
Da zum Stein auch Wasser gehört, zieht sich an der Wand des riesig dimensionierten Kunstraums ein Meereshorizont dahin. Gebildet wird dieses Fries-Band von 140 eng aneinandergereihten Aquarellen, die Ludescher im Meereswasser des Peloponnes, von Sardinien etc. gemalt hat. Dabei vermischt sich im Vordergrund in der Regel das Blau des Meeres mit dem Braun des Sandes, weiter draußen scheint man das farblich weiß umgesetzte Brechen der Wellen förmlich zischen zu hören, während sich dann im Anschluss das Wasser in der Weite verliert. Himmel ist keiner zu sehen, sondern nur Meer – nichts als das Meer in seiner Unendlichkeit.     

Videobox      

Durch eine schräg fixierte Stellwand abgekoppelt, ist im hintersten Bereich des Kunstraums noch eine Videobox eingerichtet. Ein überaus groß dimensionierter, rotierender, weißer Papierstein hängt von der Decke, auf den Ludescher Videosequenzen projiziert, die er an Bächen aufgenommen hat, die nicht reguliert sind. Die Bilder handeln von nichts anderem, als vom Fließen des Wassers über Bachsteine. Durch das Drehen des Papiersteins verändern sich Perspektiven und Blickwinkel. Die Übergänge sind einmal weich, dann wieder hart. Es gibt keinen Sound dazu, aber der Betrachter kann das Plätschern des Baches aus eigener Erfahrung nachvollziehen.      

Dem unbeachteten Stein Aufmerksamkeit verleihen

Der oberhalb von Batschuns in Suldis lebende und arbeitende Künstler Hannes Ludescher schafft mittlerweile seit über dreißig Jahren unermüdlich an seinem Universum der Papiersteine. Ausgangspunkt für die federleichten Objekte sind zumeist handgroße Steine, die er beispielsweise auf Sardinien, in Sizilien, Südspanien oder auch in der näheren Umgebung in Vorarlberg findet. Mit Hilfe von Innenkonstruktionen aus Hasel oder Bambus und Papierumhäutungen vergrößert er die Findlinge um ihr Zehnfaches. Durch akribische Bearbeitung und Bemalung überträgt er die Struktur des „Modells“ in Form und Farbe auf die neugeschaffene Skulptur. Durch diese Transformation erhält der vormals unbeachtete Stein große Aufmerksamkeit. Aus einem unter vielen wird ein Auserwählter. In der Ausdehnung des Volumens verliert der Stein an Gewicht. Es entstehen Körper, die „ihre Schwere und Härte liegen lassen und den Luftraum erobern“, so der Künstler. Ein bildliches Paradoxon.
Der 1946 in Feldkirch geborene Künstler, der Ende der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre an der Akademie der bildenden Künste in Wien Malerei bei Josef Mikl und Wolfgang Hollegha sowie Bildhauerei bei Fritz Wotruba studiert hatte, sieht in diesen Papiersteinen eine Möglichkeit, Plastik und Malerei als gleichwertige Elemente der Gestaltung einer Skulptur miteinander zu verbinden. Neben dem skulpturalen Schaffen frönt er aber auch der Pleinair-Aquarellmalerei als eigenständiger Disziplin. Diese bietet ihm notwendige Auswege aus der manchmal zermürbenden Werkstattarbeit. So packt er immer wieder seine Malutensilien, reist in den Süden ans Mittelmeer, stellt ein Tischchen ins Meer und malt, mitten im Element stehend, die Weite und die Nähe des Wassers zu jeden Tageszeiten und wetterbedingten Stimmungslagen. In die Landschaft hineinzugehen, gleichsam Teil von ihr zu sein und gegen ihre Schönheit anzumalen, sei für ihn etwas Unvergleichliches.
Die Wasseraquarelle fertigt er am liebsten am Mittelmeer, weil da das Licht und die Bewegung im Wasser viel stärker seien als etwa am Rhein. So wie er den Stein in der Hand spüren könne, brauche er auch den direkten Körperkontakt zum Wasser, verrät der Künstler. An beiden Elementen, dem Wasser und dem Stein, gefällt ihm die Ambivalenz. So sei das Wasser lebensnotwendig, könne aber auch todbringend sein. So wie auch der Stein gut als Werkzeug zu gebrauchen sei, andererseits aber auch als Hilfsmittel, um jemanden zu erschlagen.
Auch sei es ihm ein Unterschied, etwas Kleines mit hohem Aufwand in einem geschlossenen Raum ins Große zu transformieren oder sich mit dem kleinen Bildrechteck in die maßlose Weite einer Landschaft zu stellen. „Späte Erkenntnis: es braucht beides“, sagt Ludescher.

Hannes Ludescher: Lichte Steine. Interieur mit Wolke und Horizont
bis 8.3.2020
Mo-So 13-17 Uhr
Kunstraum Engländerbau, Vaduz
www.kunstraum.li