Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Karlheinz Pichler · 23. Mär 2014 · Ausstellung

Pulsierende Farben und Formen für den kühlen Norden - Pascale Marthine Tayou im Kunsthaus Bregenz

In den Farben und Formen, mit denen der aus Kamerun stammende Künstler Pascale Marthine Tayou derzeit die Räume des KUB bespielt, spiegelt sich die pulsierende Lebenskraft Afrikas genauso wider wie die widersprüchliche Beziehung Europas zum Kontinent ober- und unterhalb des Äquators.

Die Afrikaner lieben die Europäer. Obwohl das Gefühl des Hasses wohl viel eher berechtigt wäre, wenn man die Entwicklung der Beziehung der beiden Kontinente durch die Geschichte verfolgte, von den historischen Kolonialisierungsdramen, über die Ressourcenausbeutung bis hin zur Behandlung der Flüchtlinge in der Gegenwart. So stimmt denn Tayous Gruss „I Love you“, der von den Billboards entlang der Bregenzer Seestraße und von der Glasfassade des KUB prangt, nicht nur versöhnlich sondern auch nachdenklich.

Doppeldeutigkeit


Dass der 1967 geborene Kunstschaffende aus Yaoundé die KUB-Besucher nicht nur mit pulsierender Lebensfreude und überschwänglicher Farbigkeit beglücken will, wird denn auch schon im ersten Treppenaufgang des KUB offensichtlich. Hier hängen von der Decke etwa 800 zugespitzte Holzpfähle. Tayou benennt diese bedrohliche Installation ironisch mit „Beautiful Sky“. Im zweiten Treppengeschoss folgt mit der aus überdimensionalen Mikadostäben bestehenden Arbeit „Le Jeu de l'amour“ ein zweiter doppelsinniger Pfahlknäuel. Im dritten Treppenhaus letztlich hat Tayou eine Favela aus rund 650 Starenkästen errichtet. Der Begriff „Favela“ stammt aus dem Portugiesischen und bedeutet soviel wie „Elendsviertel“. Es handelt sich dabei um informelle Siedlungen oder auch Marginalviertel, bei denen die Bewohner nicht über legalen Grundbesitz verfügen. Die Behausungen in Favelas bestanden am Anfang nur aus Kistenbrettern, Blechkanistern und Palmwedeln als Baumaterialien, mittlerweile aber gerade in Großstädten auch aus Steinen und Holzbrettern. Sie werden oft als „Stadt in der Stadt“ bezeichnet; sie sind weitgehend unabhängig von der offiziellen Stadtverwaltung organisiert.

Das Unbehagen, das den Betrachter bei solchen „Skulpturen“ befällt, gibt einen Vorgeschmack darauf, dass der Künstler aus Kamerun mehr will, als nur simple Liebesgrüße durch den Äther schicken.

Hinterlistig


Die falschen Vorstellungen, die ihm und seiner Herkunft häufig entgegengebracht werden, kalkuliert er in viele seiner Werke mit ein und unterläuft sie mit Humor, Schalk und Hinterlist. Auf die überzogenen Ängste des Nordens vor einer möglichen Flüchtlingsinvasion aus Afrika oder die absurden Phantasien von der Potenz afrikanischer Männer antwortet er künstlerisch mit karikaturenhaften Übertreibungen. In Anbetracht der ägyptischen Pharaonen etwa, die mit sagenhaften Schwänzen bestückt sind und vor deren Füßen Tausende bunter Alabaster-Eier liegen, erhält Tayous „I love you!“ einen mehr als spöttischen Beigeschmack.

Tayou beweist in allem, was er anfasst, unglaublichen Einfallsreichtum. So ließ er beispielsweise 400 afrikanische Handbesen einfärben, die nun an einem riesigen Holzgerüst hängen. Zwischen ihnen pendeln Bücher, Masken, nochmals zugespitzte Pfähle, mit dem Kopf nach unten grüßt nahezu das gesamte Personal aus den vergangenen Zeiten des Kolonialismus. Es sind größere und kleinere Holzfiguren, die Tayou auf Flohmärkten in seiner Heimat erstanden oder auf Müllplätzen eingesammelt hat. Auch mitunter martialisch auftretende, vorwiegend aus Kristallglas gegossene und mit Schokolade überzogene Lastenträger oder Einzelkämpfer gehören zum Tayou’schen Portfolio der kleinen Sensationen.

Very happy


Tayou ist „very happy“, dass ihm das KUB die Möglichkeit zu dieser Werkschau gegeben hat, wie er gegenüber KULTUR betont. Es sei die erste Einzelausstellung in Österreich und überhaupt die größte Ausstellung, die er bislang bestritten habe. Die Herausforderung, so ein großes Haus zu bespielen, sei für ihn aber weniger groß gewesen, als etwa für die Art-Supporter, die die Aufgabe hatten, die Installationen handwerklich nach seinen Instruktionen einzurichten. Diese mussten auch die Zutaten für Tayous Materialschlacht organisieren, für die neben den 400 Handbesen und Hunderten von Pfählen auch 150 Masken, 400 Kalebassen, 4000 Waschlappen, über 4000 Eier aus Alabaster und vieles mehr herangeschafft werden mussten. Wochenlang hat Tayou auch Schüler sowie Lehrlinge der Illwerke beschäftigt, um seine abenteuerlich bunten und höchst komplizierten Objekt-Bündelungen zu fertigen.

Zu den Publikumsfavoriten zählt „Africonda“, eine sich um ein Gestell windende Riesenschlange. Das Besondere daran: Ihre Haut besteht aus 4000 farbigen, aneinandergenähten Waschlappen, die mit Vorarlberger Heu vollgestopft wurde, dessen Geruch sich im gesamten KUB verbreitet.

Die Ausstellung „I love you!“ setzt sich übrigens bis ins Atrium des vorarlberg museums fort. Neben zwei Wandarbeiten ist dort eine 15 Meter hohe Säule zu sehen, für die Tayou bunte Kochtöpfe seiner Heimat übereinandergesapelt hat.

„Pascale Marthine Tayou ist ein Nomade, in seinem Leben, in den Materialien, die er verwendet, in seinen künstlerischen Quellen und in seinem Denken,” hat die Kunstkritikerin Roberta Smith vor ein paar Jahren in der New York Times geschrieben. Kamerun, sein Geburtsland, ist dabei ständig präsent in seiner künstlerischen Arbeit. „Dieser Bezug hat mit Fragen des Ursprungs zu tun,” meint der Künstler, der schon am Beginn seiner künstlerischen Laufbahn seine Vornamen durch Hinzufügen eines „e“, das das Weibliche signalisiert, veränderte und damit eine ironische Distanz zur Bedeutung von künstlerischer Autorenschaft und maskuliner respektive femininer Zuschreibung eingenommen hat. Tayou, der 2002 an der Documenta 11 in Kassel und 2005 und 2009 an den Biennalen von Venedig teilgenommen hat, lotet mit seinen Werken die Durchlässigkeiten zwischen individueller, persönlicher und der kollektiven Geschichte, zwischen kultureller und nationaler Identität, zwischen nördlicher und südlicher Konditionierung aus.

 

Pascale Marthine Tayou: "I love you!"
Kunsthaus Bregenz (KUB)
Bis 27. April
Di-So 10-18, Do 10-21
www.kunsthaus-bregenz.at