Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Karlheinz Pichler · 26. Jul 2012 · Ausstellung

Konstellationen – Gemeinschaftsarbeiten von Christian Ludwig Attersee und Michael Vonbank in der Bregenzer K12 Galerie

Unter dem Titel „Das große Zweiern“ präsentiert die Bregenzer K12 Galerie derzeit Gemeinschaftsarbeiten von Christian Ludwig Attersee und Michael Vonbank. In den Jahren 2005 bis 2012 schufen die beiden Künstler eine 30-teilige Bilderserie von Ölkreide- und Acrylzeichnungen im Format 50 x 70 cm, die jeweils zur Hälfte von Christian Ludwig Attersee und Michael Vonbank gestaltet wurde. Vonbank legte jeweils vor, Attersee ergänzte seine Bildhälften in den weiteren Jahren.

Im Bereich der Bildenden Kunst gab und gibt es zahlreiche Künstlerduos. Eva und Adele etwa, oder Gilbert und George, Elmgreen und Dragset, Christo und Jeanne-Claude, Peter Fischli und David Weiss oder Jake und Dinos Chapman, um nur einige sehr bekannte zu nennen. Kennzeichen solcher Kooperationen ist es, dass die entstandenen Werke eine gemeinsame Autorschaft aufweisen, also nicht individuell zuzuordnen sind. Es gibt aber auch lose Kooperationen, wie sie beispielsweise zwischen Arnulf Rainer und Dieter Roth während deren Berliner Zeit bestanden hat und bei denen sehr wohl eine individuelle Handschrift erkennbar ist. Eine ganz spezielle und wohl einzigartige Form der Zusammenarbeit hat sich jedoch zwischen Christian Ludwig Attersee und Michael Vonbank entwickelt. Es handelt sich hier um eine Kooperative, die von sehr eigenwilligen Konstellationen genährt wird. Etwa von zeitlichen, räumlichen und generationsspezifischen Feinheiten.

So ist Attersee als Jahrgang 1940 eine gute Generation älter als Vonbank, der 1964 in Bludenz zur Welt kam. Er verkörpert quasi also fast eine Art Vaterfigur für den aus Vorarlberg stammenden Vonbank. Attersee leitete an der Hochschule für Angewandte Kunst die Meisterklasse für Malerei und Grafik. Vonbank hat bei ihm von 1991 bis 1995 studiert und mit Auszeichnung abgeschlossen. Es besteht also auch eine Art Meister-Schüler-Verhältnis, das sich später allerdings in ein seelenverwandtschaftliches Freundschaftsverhältnis eingependelt hat. Aus der einstigen Lehrer-Schüler-Beziehung ist eine sich gegenseitig befruchtende Künstler-Freundschaft erwachsen, die nicht zuletzt auch vom korrespondierenden Zugang zur Kunst und von wesentlichen gemeinsamen Elementen in ihrer künstlerischen Arbeit genährt wird.

Vonbank legt vor

Eine weitere Besonderheit der Kooperative ist, dass Vonbank seine Hälfte der jeweiligen Gemeinschaftsbilder zuerst malt. Er gibt damit das Motiv vor. Attersee reagiert in zeitlichen Abständen von bis zu mehreren Jahren auf das vorgegebene Motiv. Es ist gleichsam ein künstlerischer Dialog, der sich über große zeitliche und räumliche Distanzen hinweg entwickelt. Attersee reagiert auf das Vorgesetzte, baut es aus, ergänzt und erweitert es, verstärkt es, wie ein Resonanzkasten den Ton. Setzt Vonbank den Ausgangspunkt, so schließt Attersee die jeweiligen Werke ab, indem er ihnen markante Bildtitel verleiht. Bildtitel, die mitunter an absurde Lyrik-Einzeiler erinnern oder neue Wortschöpfungen darstellen, wie etwa „Hahnlicht“, „Katzenschauen“ oder „Das errötende Ei“. Obwohl zwischen Beginn und Vollendung der Werke große Zeitspannen liegen können, besteht der Eindruck, als ob die Künstler zur gleichen Zeit am Werke gewesen wären und die Doppelbilder quasi synchron erstellt hätten.

Doppelbödige Arbeiten

Die Werke Attersees und Vonbanks sind für sich allein gesehen schon überaus ambivalent, widersprüchlich und geheimnisvoll. In den Gemeinschaftsarbeiten wird das Doppelbödige und die Wirkung der komplexen Bildinhalte der einzelnen Bildhälften noch potenziert. So steht im Bild „Das große Zweiern“ reifes Obst neben wartenden Hunden und einer Katze, im Bild „Das errötende Ei“ gesellt sich ein Haus im Ei zu Nixen und Fabelblumen oder Katzen schauen in die Urlandschaft von Meister und Künstlersohn. Im Bild „Hahnlicht“ schwängert ein Fisch die bunte Tierwelt Vonbanks und entrückt weit weg in Attersees Gestaltenwelt. Das Gesamtbild, die Stimmung der Arbeiten ist heiter und erotisch.

Eine weitere Konstellation ist, dass Attersee, der ursprünglich als Pop-Art- und Aktionskünstler bekannt geworden ist, als eine der Gründerfiguren der neuen Malerei und der Neuen Wilden gilt. Er nahm 1977 an der Documenta 6 teil und war 1984 der herausragende Vertreter der österreichischen Moderne auf der Biennale in Venedig. 1977 wurde der vielseitige Künstler, der auch komponiert und schreibt, mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet. Im Rahmen seines künstlerischen Repertoires entwirft er auch Bühnenbilder und inszeniert Opern. Mit der gleichen Kreativität gestaltet er Gegenstände des täglichen Bedarfs und entwirft Teppiche und Geschirr. Rudi Fuchs meinte einmal über Attersee, dass dessen Eigenart und Stärke in der einfallsreichen Kombination von Formen liege, er erzähle nicht, sondern bringe „akrobatische Bilder von außerordentlicher Kühnheit auf die Bühne“. Fuchs: „Und da Attersee Ablenkungen nicht widerstehen kann, ist er wie ein Hasardeur. Manchmal führt er ein Bild bis zum Punkt, wo es ins Melodramatische oder Dekorative umkippen könnte.“ Attersee kokettiert seiner Meinung nach permanent mit dem Risiko.

Alter und neuer „Wilder“

Kann man Attersee also als einen Mitbegründer der österreichischen „Neuen Wilden“ benennen, so verkörpert Vonbank zweifelsohne eine Position, die diese bereits Kunstgeschichte gewordene Wildheit in der Gegenwart neu aufgreift, fortsetzt und mit einer subjektiven Intensität auf die Spitze treibt, die Anklänge an die Art Brut evozieren lässt. Der Kunstwissenschaftler Peter Gorsen interpretiert das Schaffen Vonbanks als gestalthaftes Sehen, „das die Wirklichkeit nicht abbildet, sondern Figuratives und Physiognomisches halluzinatorisch herausliest: fratzenhafte Gesichter, Masken, vergrößerte, teilweise vereinzelten Augen, löchrige Köpfe und Körper, Mensch und Tier vereinigende Chimären..., zoomorphe Paarbildungen, die ebenso als Lebenslust, als Mordlust und Lebensgier wie als Symbole der Angstabwehr gedeutet werden können.“

Attersee selbst sagt über seinen Kunstkompagnon: „Sein bloßes Hantieren mit Luft vor seinen Augen wird bei ihm zu einer Unzahl farbiger Vielfalt wie Tanz, Literatur oder Musik und zeigt sich auch als gewaltiges Bild-Theater. Von seinen Bildern aus Wahnsinn im Rest von Kindlichkeit und gleichzeitig auch aus Raffinesse eines intelligenten Bildbauers, der von sich aus in unsere Welt Malerei hinein hackt, ist Einmaliges und Großes zu erwarten.“ (Zitat aus Beitrag: „Attersee und die Kunst nach 1960“ von Ingried Brugger, veröffentlicht im Katalog: „Don Giovannis Wetter“ - Christian Ludwig Attersee. Bilder 1992 – 2002, Stedelijk Museum Amsterdam, 2002)

Neigung zum Narrativen

Sowohl Attersee wie auch Vonbank neigen zum Narrativen. Jedoch scheinen die Bilder Vonbanks, die mit Ölkreide realisiert werden, von eruptiver, wilder Farbigkeit getragen und gehen mitunter ins Archaische, während Attersees Acryl-Werke mit lyrischer Leichtigkeit und deutlich „filigraner“ daherkommen. Es scheint auch so, als ob Vonbank dann in die Tiefe schürfen und quasi tiefenpsychologische Archäologie betreiben würde, wenn Attersee an der Oberfläche bleibt. Als ob Vonbank Einblicke in sein Innerstes geben und Träume, Ängste, Phantasien und Existentielles offenlege, während Attersee erzählerisch eher an der Oberfläche bleibt und mit einer gewissen Heiterkeit von den Freuden des Lebens erzählt.

Aber eben, Attersees erzählerische Oberfläche ist nur scheinbar, und der Schein trügt. Unter der Oberfläche verbergen sich Abgründe. Unter der lyrischen Leichtigkeit seiner Bildwelten liegen tiefgreifende existenzielle Fragestellungen. Seine Bildtitel sind gleichsam das Tor, um in das Innere des Bildes hinein- und hinabzusteigen. Demgegenüber sind archaische Bildwelten ein fixer Bestandteil von Vonbanks Bildteilen, in denen er sich mit seinem Gegenüber und der Umwelt auseinandersetzt.

Überhaupt hat das Archaische in den Gemeinschaftsarbeiten eine sehr hohe Präsenz und wird von Attersee ausgeglichen. Attersee gleicht Tiefenpsychologie gleichsam mit seiner ihm eigenen Heiterkeit und mit Humor aus. Insofern ergänzen sich die Arbeiten ideal und das emotional Gegensätzliche wird zu einer verbindenden Konstanten in den Gemeinschaftsarbeiten Vonbanks und Attersees.

 

Attersee/ Michael Vonbank:
Das große Zweiern" Gemeinschaftsarbeiten 2005-2012
K12 Galerie, Bregenz
Bis 1.9.2012
Mi-Fr 15-17.30
Sa 10-11.30
u.n.tel.V.
www.k12galerie.at