Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Karlheinz Pichler · 01. Aug 2021 · Ausstellung

Ein (sommerlicher) Kunstrundgang durch Dornbirn

Zwar ist auch in diesem Jahr die „Art Bodensee“ aufgrund der Pandemie ins Wasser gefallen, und es steht noch in den Sternen, ob es jemals wieder eine geben wird, doch auch ohne dieser Kunstmesse für den Bodenseeraum bietet Dornbirn in den diversen Institutionen und aber auch im öffentlichen Raum genügend „Futter“ für kunsthungrige Stadtgänger.

Im Kunstraum Dornbirn etwa sind noch bis 15. August unter dem Titel „Unpredictable“ zwei raumgreifende Installationen des 1964 in Kufstein geborenen Künstlers Peter Sandbichler zu sehen. Zum einen ein ganz neuer riesiger Tierschädel aus der „Skull“-Serie. Zum anderen windet sich eine überdimensional lange Kartonspirale aus recyceltem Verpackungsmaterial, die formal an einen gigantischen RNA-Strang (Ribonucleic Acid) erinnert, durch die Montagehalle.

Peter Sandbichler im Kunstraum

Ausgangsmaterial für die Spirale ist Verpackungskarton für Fahrräder. Ein vom Künstler gern verwendetes Wegwerfmaterial, das er zu großformatigen, ausdrucksstarken Arbeiten modelliert. Die Funktionsverschiebung von Abfallstoffen erzeugt für Sandbichler eine große Freiheit im Denken und in der Umsetzung seiner künstlerischen Visionen. Formal gestaltet Sandbichler den flachen, zweidimensionalen Karton, indem er durch Faltungen geometrische Formen und dreidimensionale Körper entwickelt.
Ausgangspunkt des „Skulls #6, v2021“ ist ein Elefantenschädel, der aus 26 Gießharzmodulen besteht. Das beeindruckende Objekt verweist als Topos und Symbol auf das Artensterben sowie auf die bedrohte Situation unseres Planeten generell.

Erwin Wurm virtuell

Ist man schon einmal beim Kunstraum, so kann man hier auch mit einem Stadtbummel starten, um die virtuellen Kunstwerke von Erwin Wurm zu erkunden. Bei diesem mit „Kunst Raum Stadt“ übertitelten Projekt geht es um die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung im Raum. Am Vorplatz des Kunstraums, direkt vor dem Eingang zur Inatura, kann man etwa eine riesige Banane („Banana Levitating – One Minute Sculpture“) mit Hilfe der Augmented Reality Technik in Augenschein nehmen. Auf eine überdimensionale Polizeikappe („Police Cap Levitating – One Minute Sculpture“) stößt man vor dem Rathaus und auf eine fette Pistole („Black Gun Fat“) an der Ecke Bahnhofstraße / Schulgasse. Insgesamt sind 16 digitale Kunstwerke Wurms an verschiedenen Orten der Innenstadt platziert. Über die App „Wikar“ - erhältlich im Google Play Store oder Apples App Store - können sich Interessierte über einen QR-Code am Boden die jeweiligen Skulpturen, die Wurm eingescannt hat, einblenden lassen. Freunde oder Bekannte können sich in unterschiedlichsten Posen zu den wie Hologramme im freien Raum stehenden Werken dazu stellen und fotografieren lassen und die mitunter schrägen Ergebnisse auf den sozialen Medien posten. Die realen Leute scheinen mit den virtuellen Objekten direkt zu interagieren und zu einem gemeinsamen Bild zu verschmelzen.       

No Border, No Nation     

Und sind wir schon bei der Kunst im öffentlichen Raum, so sei auf das Unterfangen „No Border, No Nation“ verwiesen, das sich entlang der Dornbirner Ache von der Sägerbrücke aufwärts erstreckt. Die 1979 in Bregenz geborene und in Wien lebende Performerin Andrea Salzmann hat hier 34 Fahnenmasten aufstellen lassen und diese beflaggt. Aber nicht wie im traditionellen Sinne. Sie hat die Nationalflaggen nämlich neu gemalt. Geblieben sind nur die Farben. Motive und Inhalte der verschiedensten Fahnen hat sie bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert und aufgelöst. Denn wenn man nicht weiß, zu welchem Staat eine Fahne gehört, dann wird die nationalen Zuordnung von Bürgern gleichsam konterkariert. Teil des Werks an den beiden Ach-Ufern ist auch eine Soundinstallation von Sebastian Meyer, die über einen QR-Code abgerufen werden kann.
Die Fahnen markieren das Areal und greifen das geografische Fließen und die Grenzenlosigkeit auf. „Die Ach mündet in den Bodensee und überschreitet in weiterer Folge mehrere nationalstaatliche Grenzziehungen – ganz im Sinne Europas und dem Anspruch an persönliche Haltung und politische Vorbildwirkung. Die Markierung eines utopischen Raumes an dem Areal eröffnet Debatten und neue Wunsch- und Denkanstöße ... Gemeinschaften könnten in einem globalen Miteinander neu gestaltet werden – jenseits von Ausgrenzung und Abschottung“, so die Performerin.
„No Border, No Nation“ ist eigentlich eine Auftragsarbeit des Forum Alpbach 2020, wo auch die Erstrealisierung stattfand. Für Dornbirn nun findet eine kuratorische Übersetzung an die örtlichen Gegebenheiten statt. In der Messestadt wurde das Projekt in enger Zusammenarbeit mit dem von Bettina Steindl geleiteten Verein CampusVäre umgesetzt. Die Masten mit den entnationalisierten Fahnen bleiben noch bis Ende Oktober stehen.

Flatz-Museum und vai

Im Flatz-Museum ist unter dem Titel „Together Apart“ noch bis 4. September die erste gemeinsame Ausstellung der beiden fotografierenden Schwestern Anna und Maria Ritsch an ihrem Heimatort zu sehen. Wobei Anna heute in New York lebt und Maria in Wien. Die beiden Künstlerinnen haben für das Flatz-Museum eigens eine Installationsform gewählt, die ihre fotografischen Arbeiten miteinander in Dialog setzt. Die individuelle Autorinnenschaft tritt dabei in den Hintergrund – aus "apart" wird "together". Motive des Zusammen- und Getrenntseins finden sich auch in den ausgestellten Fotografien. Motive des Berührens, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, lassen sich in den Porträts, Körperaufnahmen, Stillleben und Landschaftsaufnahmen erkennen. Die Haut der dargestellten Körper, vielfach bildführendes Element, markiert dabei jene Stelle, die sowohl Grenze als auch Kontaktfläche ist, bei der das "Innere" auf das "Äußere" trifft – Begegnungszone und Trennung von Selbst und Welt.
Im selben Gebäude ist auch das vai (Vorarlberger Architektur Institut) untergebracht. Im Rahmen einer kleinen aber feinen Retrospektive kann man sich hier auf das Schaffen einer Ausnahmefigur in Österreichs Architekturlandschaft einlassen, nämlich auf Rudolf Wäger. Die Ausstellung lässt in fragmentarisch angedeuteten Raumsequenzen und großformatigen Fotografien die konstruktiven und räumlichen Ansätze Wägers atmosphärisch nachvollziehen. Die drei KuratorInnen – Martina Pfeifer Steiner und Marina Hämmerle, gleichzeitig Autorinnen der zur Ausstellung erschienen eindrucksvollen Monografie zu Wäger, sowie Markus Gohm, Fotograf – schöpfen hier nach zwei Jahren intensiver Recherche und tiefgründiger Verarbeitung des Materials aus dem Nachlass, der vom Az W Architekturzentrum Wien verwaltet wird, den zahlreichen Gesprächen, Reportagen, Interviews aus dem Vollen und geben dem Besucher einen gleichwohl sachlichen wie auch persönlichen Einblick in das Werk des Baukünstlers.

Georg Gaigl in der C.Art

Etwas außerhalb des Zentrums, in der Dr. Anton-Schneider-Straße 28B, zeigt die Galerie C.Art unter dem Titel „Metamorph-Diary + Phasetrace“ derzeit Werke des 1968 in Erding bei München geborenen deutschen Künstlers Georg Gaigl. Der in der Isarstadt München lebende und arbeitende Kunstschaffende setzt sich im Rahmen seines Vorgehens mit den „weichen Faktoren“ des Daseins auseinander, etwa dem Fluss der Gedanken oder dem Bewusstsein für existentielle Prozesse. Er kombiniert Landschaften, Texturen sowie aktuelle und historische Fotos von Personen, Häusern, Objekten und auch Wörtern zu ganz speziellen Bildern, für die er eine eigene künstlerische Arbeitstechnik, die „Décalcage“, entwickelt hat. Diese ermöglicht es, zwei gegensätzliche Prinzipien auf seine Weise zu vereinen. Bei dieser Technik werden Digitalprints mit Klebstoff auf Holzfaserplatten befestigt. Da alles händisch bewerkstelligt wird, erhalten die Bilder eine fast malerische Struktur. Zwar schiebt die C.Art von 4. bis 24. August eine Pause ein, aber die Ausstellung dauert noch bis 11. September.

Von Drahtfiguren und Orchideen

Dem Dornbirner Bahnhof auf der anderen Seite der Bahngleise direkt gegenüber steht das Kaplan Bonetti Haus. In der Reihe „Kunst in der Kantine“ sind hier noch bis Ende September ornamentale und figurative Acrylbilder sowie eine Reihe typischer Drahtfiguren der aus den Niederlanden stammenden Künstlerin Hilde Keemink zu sehen. Keemink, die seit Jahren in Koblach lebt und arbeitet, thematisiert mit ihren szenischen Darstellungen häufig alltägliche Situationen. Gemalt oder mit Draht umgesetzt sind beispielsweise Tanzende oder Leute mit Skateboards zu sehen.
Letztlich wird die neue „Kunstvitrine an der Magistrale“ ab 1. August und bis 1. September von der Dornbirner Multimediakünstlerin Bettina Bohne bespielt. Unter dem Titel „Orchidacea Clitoris“ präsentiert Bohne eine Installation mit Pflanzen sowie Fotografien dieser „Königin der Blumen“, die wie keine andere mit der Sexualität in Verbindung gebracht wird und mit deren zweideutigen Blütenstruktur sich schon viele Kunstschaffende beschäftigt haben, von der Römerzeit über die Renaissance bis heute. In neuerer Zeit etwa hat die große US-Fotografin Imogen Cunningham (1883-1976) die Orchidee in grandiosen Schwarz-Weiß-Aufnahmen ins Bild gesetzt.

Peter Sandbichler: Unpredictable
Kunstraum Dornbirn
Bis 15.8.
Mo-So 10-18
www.kunstraumdornbirn.at

Erwin Wurm: Kunst Raum Stadt
Eine künstlerisches Augmented Reality Projekt
im Dornbirner Stadtraum mit digitalen Werken
von Erwin Wurm
Bis 31.10.

Andrea Salzmann: No Border, No Nation
Kunst im öffentlichen Raum
Dornbirner Ache, von der Sägerbrücke aufwärts
Bis Ende Oktober

Anna & Maria Ritsch: Together apart
Flatz Museum, Dornbirn
Bis 4.9.
Fr 15-17, Sa 11-17, u.n.V.
www.flatzmuseum.at 

Rudolf Wäger: Baukünstler
VAI
Bis 4.9.
Di-Fr 14-17, Do 14-20, Sa 11-15
https://v-a-i.at 

Georg Gaigl: Metamorph-Diary + Phasetrace
Galerie C.Art, Dornbirn
Bis 11.9. (4. bis 17.8. Sommerpause)
Di -Fr 9-12, 15-18, Sa 10-12
www.c-art.at

Bettina Bohne: Orchidacea Clitoris
Kunstvitrine an der Magistrale, Hatlerstraße 10, Dornbirn
3.8. - 1.9.      

Hilde Keemink
Kaplan Bonetti Haus
Dornbirn
Bis 30.9.
www.kaplanbonetti.at