"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Karlheinz Pichler · 19. Dez 2020 · Ausstellung

Die Welt in unterschiedlichen Abstraktionsgraden – Marbod Fritsch, Martin Frommelt und Gertrud Kohli im Küefer-Martis-Huus

Im Küefer-Martis-Huus in Ruggel (FL) läuft derzeit die vorletzte Etappe der Ausstellungsreihe „Stand der Dinge“ zum Kulturschaffen im Fürstentum Liechtenstein und der grenzüberschreitenden Region. Zu sehen sind Werke von Marbod Fritsch, Martin Frommelt und Gertrud Kohli. Von 20.12. bis 10.1. wird das Fürstentum zwar aufgrund der Corona-Krise in eine Art Winterruhe versetzt, während der auch die Kulturhäuser geschlossen sind. Danach geht es aber wieder mit dem vollen Programm weiter.

Das Konzept der Reihe „Stand der Dinge“ ist es, dass jeweils ein/e Ruggeller KünstlerIn in das historische Haus eingeladen wird, der/die sich dann zwei weitere Ausstellungspartner dazu aussuchen kann. Im aktuellen Fall entschied sich die 1945 geborene Künstlerin Gertrud Kohli für den Vorarlberger Konzeptkünstler und Zeichner Marbod Fritsch sowie für ihren langjährigen Weggefährten Martin Frommelt.      

Der Baum als „Aktmodell“       

Frommelt, der bereits 87 Jahre alt ist, aber noch voller Energien steckt, zeigt im Vorraum des ersten Obergeschosses fünf Konstellationen respektive überarbeitete Druck zur Schöpfung aus der Reihe „Création“. Dieser Langzeitzyklus ist in der Auseinandersetzung mit der Philosophie von Rupert Riedl entstanden. Wie bei den anderen großen Themen „Apokalypse“ und „Vähtreb“ (Viehtrieb) arbeitete Frommelt rund zehn Jahre daran. Anhand dieser monumental anmutenden Werkserien arbeitete Frommelt die großen Fragestellungen des Menschen ab. Wandte er sich bei der „Apokalypse“ dem Himmlischen zu, so stand bei der „Vähtreb“-Abfolge das Geerdete im Zentrum. Und als eine Art Tangente, die beide Pole berührt, rückte der Künstler mit „Création“ das Dazwischenliegende, die sich in ständiger Evolution befindliche Schöpfung, ins Zentrum seiner malerischen und zeichnerischen Untersuchungen. Neben emaillierten Kupferplatten aus den 1980er Jahren, die im Stiegenaufgang und im Lesezimmer bestens mit den Holzwänden in Einklang stehen, sind es aber vor allem die vier großformatigen Acryl-auf-Holz-Gemälde zum Thema Baum, die im Tenn hängen und einen überragenden Eindruck hinterlassen. Bäume sind für Frommelt wie Modelle, der Stamm als Grundform wie ein Akt. Das Anliegen Baum zieht sich durch sein gesamtes Schaffen hindurch. Bereits vor siebzig Jahren habe er angefangen, Bäume zu malen, sagt Frommelt. Geschuldet ist dies nicht zuletzt seinem Mallehrer und Onkel Anton Frommelt (1895-1975), der ihn seinerzeit als Schüler permanent ins Freie geschickt hat, um Bäume direkt in der Natur zu studieren und abzuzeichnen. Die im Tenn des Küefer-Martis-Huus präsentierten Baumgemälde allerdings sind sämtlich brandneu. Und in ihrer knallroten bis sattblauen Farbgebung wirken sie auf den ersten Blick eher wie informell-abstrakte Farberuptionen denn konkrete Darstellungen. Erst wenn der „Baum“ als Motiv erkannt ist, fällt es wie Schuppen von den Augen. Der Baum als farbiger Augenschmaus.       

Wenn der BIC-Kuli strahlt        

Ebenfalls aus diesem Jahr sind die kosmisch angehauchten Mischtechniken auf Leinwand oder Holz von Marbod Fritsch. Bei dieser geschlossenen Serie geht der in Bregenz lebende Künstler zumeist von einem Zentrum aus, dass er durch Linien, die sich strahlenförmig weg bewegen, aufzulösen versucht. Mitunter kann es auch ein Doppelzentrum sein, in das der Blick des Betrachters förmlich hineingezogen wird. Für das Liniensystem verwendet Fritsch hundsgewöhnliche BIC-Kugelschreiber, wie man sie im 100er-Pack zu 18,68 Euro bei Amazon bestellen kann. Wobei das Entscheidende ist, dass sie gut funktionieren und dokumentenecht sind. Im Experiment hat der Künstler zudem festgestellt, dass das Lösungsmittel, das er an und für sich für seinen 3-D-Drucker benötigt, die Farbe der BIC-Kugelschreiber in unterschiedlichste Violetttöne zerrinnen lässt. Daher werden die sich wie Strahlen ausbreitenden Linienkomplexe bei Werkbeispielen durch violette Farbflächen unterlaufen. Was den kosmischen Impetus zusätzlich verstärkt, wenn man dabei etwa an die Milchstraße oder einen Sternennebel denkt.
Insgesamt zeigt Fritsch zehn solcher Mischtechniken. Abgerundet wird sein Beitrag durch eine Lichtsäule, die er durch in flüssigen Kunststoff getränkte Zeichnungen geformt hat. Da im Inneren eine Lichtquelle angebracht ist, steht sie wie eine dreidimensionale Zeichnung im „Schlupf“ des Küefer-Martis-Huus'.       

Auftauchen und wieder verschwinden       

Gertrud Kohli, die unter anderem die „Fleisher Art Memorial School“ in Philadelphia besucht hat, zeigt, verteilt auf Tenn, Wohnzimmer und erstes Obergeschoss, unter anderem Werke aus der Serie „Dancing for Life“. In den unterschiedlich großen Zeichnungen wimmelt es von nicht ausformulierten Figuren. In einem eigenen „Gesetzesrhythmus“ und in eigener Dynamik (Kohli) tummeln sich die kleinen organischen Strukturen auf dem Bildträger wie Mikroorganismen in einer Essenz. Mittels Tusche, Asche, schwarzer Erde und etwas Acryl entwickelt sie darin ihr Projekt „Alphabet des Lebens“ weiter. Kohli verweist damit darauf, dass alles Lebendige nach dem Auftauchen auch rasch wieder verschwindet. Was aber nicht zynisch oder negativ gemeint ist, vielmehr will sie auch solchen organischen Elementen ein Denkmal setzen, die sich rasch wieder im Kosmos auflösen, kaum dass sie da sind. Berechtigt stellt sie die Frage, was denn von der Schneeflocke auf dem Mantel, von der Eisblume am Fenster oder von der verblassten Fotografie im Familienalbum letztlich übrig bleibe. Die Darstellbarkeit von flüchtigen Vorgängen sei eine Herausforderung, ziele doch die Kunst auf Sichtbarkeit ab, sagt die in Ruggell lebende und arbeitende Künstlerin.    
Kohli wartet im Küefer-Martis-Huus zudem mit einer Installation rund um die Überreste eines 300 Jahre alten Birnbaumes auf, der wegen Feuerbrand gefällt werden musste. Auf einem Podest präsentiert sie neun Schnittstücke dieses Baumes und gruppiert darum herum Frottagen von Schnittflächen des Baumes sowie auch alte Presstücher einer Mosterei.       

Der Stand der Dinge       

Mit der Reihe "Der Stand der Dinge" will Johannes Inama, Leiter des Küefer-Martis-Huus, zusammen mit seinem Team nicht nur lokalen und regionalen Kunstschaffenden eine Plattform bieten, um einen aktuellen Einblick in ihr Schaffen zu geben, sondern auch alle Kunstinteressierten wieder zu einer intensiven Begegnung und Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Status Quo in Liechtenstein und Umgebung anzuregen. Die dichte Abfolge von Ausstellungsetappen soll Inama zufolge ansteckend wirken und die Vielfalt des Kunstschaffens sichtbar machen. Gleichzeitig unterwerfe sich das Küefer-Martis-Huus damit einem ständigen Wandel. Inama: „Der Stand der Dinge wird zum beweglichen Spiel, zum Kaleidoskop von Betrachtungsweisen unserer Wirklichkeit.“ 

Der Stand der Dinge:
Teil 5: Marbod Fritsch, Martin Frommel, Gertrud Kohli
bis 24.1.2021
Teil 6: Damiano Curschellas, Simon Kindle, Carol Wyss
29.1. - 14.2.2021

Küefer-Martis-Huus
Giessenstraße 14
FL - 9491 Ruggell
http://www.kmh.li