Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Karlheinz Pichler · 05. Okt 2021 · Ausstellung

Die „Lange Nacht“ mit Einbrüchen bei den Besucherzahlen

Nachdem sie 2020 aufgrund der Corona-Pandemie ins Wasser fiel, fand vergangenen Samstag zum nunmehr bereits 21. Male die auf Initiative des ORF ins Leben gerufene „Lange Nacht der Museen“ in ganz Österreich und in Teilen von Slowenien, Liechtenstein, der Schweiz und Deutschland (Lindau am Bodensee und Tettnang) statt. Insgesamt präsentierten rund 640 Museen, Galerien und Kulturinstitutionen ihre Sammlungen und Ausstellungen. In Vorarlberg und den grenznahen Gebieten hielten 87 Kultureinrichtungen ihre Türen im Rahmen der „Langen Nacht“ von 18.00 bis 1.00 Uhr nachts offen. Geboten wurden Ausstellungen und vielfältige Rahmenprogramme. KULTUR machte einen Rundgang bei Anbietern von bildender Kunst im Vorarlberger Oberland. Die meisten waren mit dem Ablauf zufrieden, obwohl es im Vergleich zur letzten „Langen Nacht“ 2019 aber doch bis zu 50 Prozent Einbrüche bei den Besucherzahlen gab, wie KULTUR vor Ort erkundete.

Der ORF selber gab als Organisator der „Langen Nacht“ dieses Mal keine Besucherzahlen bekannt. Mit folgender Begründung: „Der ORF veröffentlich in diesem Jahr KEINE Zahlen über erfolgte Besuche in den teilnehmenden Häusern sowie die Top 3 der bestbesuchten Häuser österreichweit und in den Bundesländern. Durch die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlichen Coronapandemie-bedingten Auflagen, denen die teilnehmenden Museen unterliegen, kann die Vergleichbarkeit unter den einzelnen Häuser nicht gewährleistet werden. Des Weiteren soll in Zeiten der Pandemie der Fokus nicht auf hohe Besucherzahlen gerichtet werden, sondern auf eine den aktuellen Sicherheitsmaßnahmen unterliegende Abwicklung der 'Langen Nacht' durch die teilnehmenden Museen.“       
Allerdings erfolgte diese Erklärung erst nach der „Langen Nacht“ und nicht schon im Vorfeld. Klar dürfte die Pandemie auf die Besucherzahlen gedrückt und auch mit eine Rolle gespielt haben, dass sich etwa das Kunstmuseum Vaduz, die Hilti Art Foundation, die Schattenburg Feldkirch und etliche kleinere Veranstalter diesmal nicht an der Veranstaltung beteiligt hatten. Aber wer kommuniziert schon gerne Rückgänge?     
Zur Erinnerung: Bei der letzten „Langen Nacht der Museen“ im Oktober 2019 frequentierten mehr als 23.300 Besucher in die teilnehmenden Häuser. In Vorarlberg war das Kunsthaus Bregenz mit 1.346 Kulturinteressierten das am meisten besuchte Museum. Auf Platz zwei kam das benachbarte Vorarlberg Museum mit 1.271 Besuchern, gefolgt vom Museum der Mohren-Biererlebniswelt in Dornbirn mit 1.049 Gästen.       
Zum Kunstmuseum Vaduz und der Hilti Art Foundation gilt es übrigens anzumerken, dass die beiden Häuser wegen Sanierungsarbeiten seit 16. September und bis 10. November geschlossen sind. Bei der nächsten Langen Nacht sei man wieder mit dabei, betonte Museumssprecherin Franziska Hilbe gegenüber KULTUR:

allerArt und Remise mit dichtem Programm      

Zu den wenigen Partizipienten, die zulegen konnten, zählen allerArt und Remise Bludenz. Hier war der Zustrom von doch beachtlichen 228 Besuchern vor allem einer geschickten Strategie der Veranstalter geschuldet. So begann die „Lange Nacht“ im allerArt mit zwei Kuratorenführungen von Manfred Egender durch die aktuelle Ausstellung von Christoph und Markus Getzner. Eine grandiose Ausstellung übrigens. Die Getzner-Brüder zeigen ganz neue Arbeiten in einem Präsentationskonzept, dass zwischen Bild und Objekt changiert. Großformatige Bilder und eher kleindimensionierte Skulpturen treten in einen direkten Dialog zueinander. Wie zumeist in ihrem Schaffen, setzen sich die beiden Künstler im Rahmen ihrer durchwegs neu entwickelten Arbeiten mit Umsetzungstechniken, die formal an das Vokabular der Barockzeit erinnern, mit aktuellen Themen auseinander. Mit einer eindrücklichen Formalsprache entwerfen sie ein Zeitszenario, das dialektisch aufgebaut ist. Weltliches steht neben Sakralem, Privates neben Öffentlichem, Apokalyptisches neben Hoffnungsvollem.     
Im Anschluss an die Führungen folgte um 20 Uhr die Vernissage der Ausstellung „Artifizielles Dunkel“. Unter diesem Titel präsentierten Amrei Wittwer und Nikola Bartenbach im Aufführungsraum der Remise fast fünfzig Gemälde und Objekte, bei denen sich Realität und Imagination vermengen. „Wo Wissenschaft im Erklären der Welt versagt, reicht uns die Kunst aus dem Dunkel die Hand“, betonen die beiden Kunstschaffenden. Was Wittwer und Bartenbach verbindet, ist unter anderem der Rückgriff auf die griechische Mythologie, aus der sie Ungeheuer wie etwa Charybdis und Skylla oder den einäugigen Riesen Polyphem neu interpretieren und Themen wie Geheimnis, Bedrohung und Attraktion ins Bild setzen. Wittwer überrascht dabei zusätzlich mit Keramikarbeiten wie beispielsweise „Drei Gefäßen für Therapie durch Heiliges“, mit Xenogold gebrannte Steinzeugobjekte, Bartenbach wiederum mit einem groß dimensionierten Lindwurm aus bemaltem Styropor. Das Besondere an dieser Werkpräsentation war zudem, dass sie defacto nur für eine Nacht installiert wurde. Am Sonntag nämlich wurde bereits wieder abgeräumt. Leider, muss man sagen, denn dieser „Dialog“ hätte es verdient gehabt, länger verfügbar zu sein.      
Abgerundet wurde das Programm von Remise und allerArt um 22 Uhr mit einem Konzert der begeisternden Sängerin Nadine Abado.      
Die Galerie allerArt machte übrigens das siebte Mal bei der „Langen Nacht“ mit. Laut Andrea Bickel, die das Betriebsbüro leitet, war es ein sehr anstrengender und intensiver Abend. Wobei sich aber die Besuche durch die Programmplanung auf den ganzen Abend verteilten. So sei immer etwas los gewesen, so Bickel. Für die Bludenzer jedenfalls sei es die bisher „beste lange Nacht“ gewesen.      

Von Schruns bis Feldkirch      

Zumindest besuchermäßig trist sah es dagegen in Schruns aus. Sowohl beim Heimatmuseum als auch beim Kunstforum Montafon gab es beträchtliche Rückgänge. Über die gerade einmal knapp dreißig Leute, die sich die erlesene Auswahl von Kunstwerken gaben, die beim hochalpinen Kunstsymposium „Silvrettatelier Montafon 2020“ entstanden und nun in einer fein zusammengestellten Schau in der ehemaligen Lodenfabrik zu sehen sind, zeigte sich KFM-Chef Roland Haas entsprechend enttäuscht. Wenngleich er einräumt, dass diejenigen, die gekommen seien, überaus interessiert gewesen und auch etliche neue Gesichter darunter gewesen seien.       
Gemütlich ging es bei der Artenne Nenzing zu. Knapp über hundert Besucher schauten sich die Ausstellung „Ein Stück Heimat“ an, in der Künstler wie Lois Hechenblaikner, Gerhard Klocker, Veronika Dirnhofer, Helmut King oder der Südtiroler Hannes Egger interessante Werke präsentieren, an und diskutierten anschließend an diesem lauen Abend im Garten der Artenne bei einem oder zwei Gläsern Wein angeregt über das Gesehene.       
Ebenfalls an die hundert Besucher zählte man bei KunstVorarlberg in der Feldkircher Villa Claudia (halb so viel wie noch vor zwei Jahren). Unter dem Titel „Kleine Formate“ zeigen hier 23 Kunstschaffende derzeit Bilder und Objekte, die höchsten 30 mal 30 Zentimeter groß sein dürfen. Die Schau, die erschwingliche Originalarbeiten für jede Brieftasche bietet, ist noch bis kommenden Sonntag zugänglich. Auch hier seien die Gekommen sehr interessiert gewesen und seien auch großteils sehr lange geblieben, so Kuratorin May-Britt Nyberg. Die letzte Gruppe sei erst um 00.50 Uhr eingetroffen, so Nyberg, die auch selbst mit Möwen aus Papiermache in der Schau vertreten ist.      
Mehr Besucher hat man auch beim Saumarkt schon gesehen. Aber Geschäftsführerin Sabine Benzer war trotzdem zufrieden, es sei immer etwas los gewesen. Künstlerin Sabine Marte, die das Foyer und das Stiegenhaus des Theaters bereits im letzten Jahr mit linearen Acryl-Wandgemälden versehen hat, die an Figurationen respektive Körperfragmente erinnern, hat ihr Zeichnungsvokabular nun auch an der Außenfassade fortgesetzt und so ist es zu einer Art kleinen Vernissage gekommen. Die Künstlerin war den ganzen Abend anwesend, führte selbst durch den Saumarkt und gab den Besuchern interessante Einblicke in ihre Arbeitsweisen.    
Leonie Hirn, die in der Nachfolge ihres Vaters Gerold, zusammen mit Calvin Mechora in Feldkirch die Galerie Sechzig führt, hätte sich zwar mehr Besucher erwartet, zeigte sich aber nicht deprimiert. Am Vorabend fand nämlich die Vernissage der neuen Ausstellung „My Own Reflection“ des Belgrader Künstlers Mihael Milunović statt. Und wer schon einmal auf einer Eröffnung in der Galerie Sechzig war, weiß, dass es in dieser Location zumeist spät wird, bis die Türen geschlossen werden. So sei man gar nicht betrübt gewesen, daß der Ansturm am Samstag bescheiden gewesen sei. Immerhin seien die meisten Besucher von weiter her extra angereist, um Milunović zu sehen, und dies müsse man entsprechend schätzen. Milunović ist übrigens dafür bekannt, dass er künstlich wirkende Szenen in einem überaus koloristischen Stil entwirft und konstruiert. Es sind von intensiver Farbigkeit getragene Schauplätze, die von einer traumhaften, teils verhängnisvollen Atmosphäre durchdrungen sind. Als typisches Zeichen des Kolorismus tritt auch bei Milunović die Farbe gegenüber dem Zeichnerischen und in der Folge auch gegenüber anderen Mitteln der Malerei wie etwa der Linie oder der Perspektive stark in den Vordergrund. Die Gewichtung der Farbe dient dabei der der Reizung der Sinne. Das Bild soll seine Wirkung zuerst über die Farbe, und erst in zweiter Linie über die Form entfalten. Leonie Hirn erläutert: „Durch die Entkontextualisierung von Alltagsgegenständen, Symbolen oder Situationen evoziert er beim Betrachter Unruhe und Neugierde. Am Ende bleibt oft nur das Ungewisse.“ Die Ausstellung ist überaus empfehlenswert.