Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Peter Niedermair · 12. Jän 2014 · Ausstellung

Besondere Tiere von besonderen Menschen - ARTquer im Bildungshaus Batschuns

2-köpfiger Mähnenwolf, gefährlicher Drachentiger, Ägyptischer Elefant, Kistentiere, kuschelige Igelratte, 4-haariger Hörnersaurier, schräge Vögel - der Phantasie sind bei ARTquer keine Grenzen gesetzt. Anlässlich der Ausstellungseröffnung dieser außergewöhnlichen Ateliergemeinschaft hielt Peter Niedermair die folgende Vernissagerede.

WolfGeorg und das ganze Rudel von ARTquer


Die heute anwesenden Künstler, WolfGeorg und Uwe aus seinem Rudel, beteiligen sich am Erhalt der Vielfalt und der Einzigartigkeit, sie befördern und erweitern die Kunst, sie schätzen das Handwerk, sie stehen für Inklusion und Akzeptanz der Arten- und Menschenvielfalt. Tiere sind das Thema. U.a. der Schakal. Schakal ist die Bezeichnung mehrerer Arten der Wildhunde von wolfsähnlicher Gestalt, die jedoch deutlich kleiner sind als Wölfe und andere Wildhunde. Sie nehmen ähnliche ökologische Nischen ein und stehen damit in Gebieten, in denen sich ihre Verbreitungsgebiete überschneiden, in Konkurrenz zueinander. Schakale leben als opportunistische Fleischfresser von meist kleinen und mittelgroßen Beutetieren sowie von Aas. Sie sind ausdauernde Läufer mit langen Beinen und gehen in der Regel in der Dämmerung und nachts allein oder in kleinen Gruppen auf die Jagd. Diese Tiere berichten auch vom archaischen Charakter des Umgangs von uns Menschen mit Tieren. In den Höhen des europäischen Westens erscheinen schon in der Altsteinzeit Felsbilder von Rindern, in Lascaux in Frankreich. Es geht dabei um Wundergeschöpfe. Um Wesen, in denen Adler, Löwen und Rösser verschmolzen. Sie standen für den Traum, jede Strecke überwinden zu können. Wie Wunderwesen, als sollten sie gute Beziehungen zu den wilden Tieren schaffen und deren Überfälle auf Menschen verhindern.

„Wo die wilden Kerle wohnen“


Das 1963 veröffentlichte Bilderbuch von Maurice Sendak war sehr umstritten. Vorbehalte gab es vor allem wegen der Gewalttätigkeit der Bilder in der Geschichte. Max, der unbedingte Held des Kinderbuches, zieht sich sein Wolfskostüm an und treibt allerhand Unfug. Seine Mutter nannte ihn einen wilden Kerl, worauf Max ihr entgegnete, er werde sie auffressen, wofür er prompt ohne etwas zu essen ins Bett geschickt wird. In dieser Nacht verwandelt sich sein Zimmer in einen Wald, er steigt in ein Boot und segelt „almost over a year“ über den Ozean, dorthin in ein Traumland, wo die Wilden Kerle wohnen, große Monster, die er mit einem magischen Trick zähmt. Sie machen ihn zum König aller wilden Kerle, woraufhin, so Max, das Spektakel beginnen kann. Die Wilden Kerle treiben es wirklich wild und bunt. „Halt jetzt!“ sagt Max und schickt die wilden Kerle ohne Abendessen ins Bett. Max, der König aller wilden Kerle, war einsam und wollte dort sein, wo ihn jemand vor allen anderen liebte. Von weit her riecht er gute Sachen und entscheidet sich zurückzusegeln. Dorthin, wo die Suppe noch warm ist. – Maurice Sendak nannte den Jungen Max seine tapferste und auch seine „liebste Schöpfung“, die wilden Kerle seien nicht angelegt, es jedem recht zu machen, nur Kindern.

Säbelzahntiger und Hundeskulpturen


Zum ersten Mal gesehen habe ich die WolfGeorgs Hunde im November 2006 im Pförtnerhaus Feldkirch. Sie waren Teil eines Bühnenbilds in einer grandiosen multimedialen Inszenierung von „Peter Bichsel. Geschichten“. Hans-Peter Dorner und die Tanz-Theatergruppe von Brigitte Walk rückten dabei jene in die Mitte, die als Außenseiter und Einsame unterwegs sind. Ich darf Ihnen verraten, der Abend in diesem Wunderland war so bezaubernd, skurril, irritierend und aufwühlend schön, dass man gar nicht mehr gehen wollte. In der Schlussszene gibt es zehn schwarz-weiß bemalte, aus Sperrholz gesägte Hundeskulpturen, die von den Tänzern und Schauspielern an samtenen Bändern über die große schwarze Bühne gezogen werden. Der Schöpfer dieser Hunde: Georg Fitz-Binder, alias WolfGeorg. Das Interesse an diesen Hunden war groß, sie wurden nach den zwölf ausverkauften Aufführungen versteigert. Einer dieser Hunde steht bis heute im Mähdle Garten in Lustenau. Mittlerweile sind weitere wilde Tiere dazugekommen. Gestreifte farbige, mit feurig roten Mäulern und Zähnen wie ein Säbelzahntiger, mit grollend rollenden Augen,  riesige, fast wie Kälber große, aus Sperrholz, oder, zwei neuere, aus Eisen. Gefährlich sehen sie alle aus. Sehr gefährlich. Und das ist auch gut so. Denn sie schützen das Haus, die, die dort wohnen und alle Nachbarn in der ganzen Umgebung. Und sie ermöglichen es mir seit Jahren, mit meiner Hundeangst einigermaßen zurechtzukommen. Manchmal, wenn ich draußen in den Gärten bin, gehe ich mit ihnen spazieren, wie ein dog walker, und stelle sie neu zusammen, damit sie miteinander federherzenleicht reden können.
Georg Fitz-Binder lebt mit seinen Eltern in Vorarlberg, er ist letzten November 26 Jahre alt geworden, besucht seit ein paar Jahren die in der Frastanzer Felsenau gelegene Künstlerwerkstatt im früheren Gebäude der Türkischrotgarnfärberei der Firma Getzner. Die pädagogische und künstlerische Persönlichkeit in diesem integrativen Kunsthaus ist Erika Lutz, Künstlerin, Schreinerin und Pädagogin. George, wie ihn seine Kumpel und Freunde rufen, zeichnet, liest und sammelt Tierbücher, am liebsten Raubtiere, seit vielen Jahren auch Bücher über die ägyptische Mythologie, wo er sich besonders von dem mit einem Schakalskopf dargestellten Gott Anubis, Schutzherr der Gräber und der ägyptischen Totenbräuche, inspirieren lässt. Bei Erika Lutz produziert er mit anderen Jugendlichen Holzskulpturen. Das ist seine liebste Beschäftigung. Aus Einzelteilen baut er Monster, Säbelzahntiger, Dinosaurier, Wundertiere. Dort kann er sein kreatives Potential ausleben, mit seinen Phantasien und Energien arbeiten, zeichnen und malen, Wundertiere aus Holz zusammenfügen. Dort wird ihm Platz zur freien Entfaltung eingeräumt. Dort dürfen die Tiere gefährlich aussehen, sie müssen für niemanden gefällig sein und nett dreinschauen.

„Ich war bei den Wölfen“


Wie Sie, geschätzte BesucherInnen dieser Ausstellungseröffnung, an den Wänden hier in diesem einzigartigen Ambiente im Bildungshaus Batschuns sehen können, hat Wolf-Georg in der letzten Zeit auch einiges gemalt. Hans Ludescher, der gemeinsam mit Georg Vith und Christian Kopf hier in Batschuns die Ausstellungen kuratiert, hat Georges zweidimensionale Arbeiten stilsicher gehängt und mit der Hängung und gruppierenden Aufstellung der Skulpturen dem Werk auch einen wegweisenden Überblick geschaffen. Und das grund-gelegt und Sinn gestiftet, wo diese künstlerischen Arbeiten eigentlich hingehören. Georg gestaltet seine Welt in einer besonderen Gefährlichkeit, ähnlich dem Kerberos, dem griechischen Höllenhund. Seine Tiere beschützen ihn.  Sie tragen Titel wie „Zweiköpferigger Löwesteufel“ oder „Säbelzahnkatze mit feuerspeiender Schwertphönix“. Unter eine Zeichnung schreibt er: „Ich war nicht bei den Fliegen, ich war bei den Wölfen.“ So erzählt er sich, wie wir alle, die  eigene Erzählung, wer er ist.
In der aktuellen Begegnung mit Georgs Geschöpfen kann uns deutlich werden, wie das schöpferische Gestalten Menschen eine Chance bietet, ihre individuellen Stärken auszubauen und ästhetisch-künstlerisch beeindruckende Bildwerke und Skulpturen zu schaffen, zur großen Begeisterung und Bereicherung der Mitwelt. Seine Holzskulpturen und jene aus dem Rudel gleichen Wunderwesen. Sie tragen Züge von Schakalen bzw. hundeähnlichen Tieren, die im Alten Ägypten zwischen den Gräbern herumliefen und sich an diesen zu schaffen machten. Einerseits richteten sie Schaden beim Toten an, andererseits erweckten sie den Eindruck, das Gebiet zu beschützen. So lag es für die alten Ägypter nahe, sich das nächtliche Treiben dieser Tiere zunutze zu machen, es zu vergöttlichen und als Schutzgott der Toten zu verehren. Im Totenreich sind zahlreiche Abbildungen von Schakalen zu sehen, unter anderem auch, wie sie das Sonnenschiff durch die Unterwelt ziehen.

Das Geheimnis der Tiere


In „Warum sehen wir Tiere an?“ erläutert John Berger, englischer Schriftsteller und Kunstkritiker, dass das erste thematische Objekt und die erste Metapher für die Malerei das Tier war. Und so „(…) schreibt man Tieren eine Macht zu, die sich zwar mit menschlicher Macht vergleichen lässt, doch niemals mit ihr zusammenfällt. Das Tier hat etwas Geheimnisvolles, das, anders als die Geheimnisse der Höhlen, Berge und Meere, sich in besonderer Weise an den Menschen wendet.“

Georgs Tierskulpturen und -bilder besitzen diese eine außergewöhnliche Mächtigkeit. Sie können Ängste besiegen, Furchtsame – wie mich – schützen, sie können Geister besiegen und sie können das Herz gegen die Feder wiegen. Von ihnen geht eine das Leben bejahende Energie aus. Die kommt unter anderem aus dem spielerisch Unbewussten. Seine auf den ersten Blick skurril anmutenden Verknüpfungen spiegeln seine Möglichkeiten des Hineinsehens in diese Welt. Sie sind nicht kunsttherapeutische Beschäftigungen oder gar Übungen für interpretierende Schubladisierungsdiskurse. Georgs Kunstwerke pendeln nicht zwischen Kunst und Therapie. Sie sind das pure Leben an sich. Als Metaphern und Sinnbilder sind sie sehr persönlich, geradezu intim. Als wilde Bestien und Phantome sind sie offen für das Unvorhersehbare. Sie erzählen Geschichten, wie jene von Maurice Sendak, die wir in der Sprache von heute, gerade in den modernen Wissenschaften vom Menschen als Self-empowerment Erzählungen bezeichnen. Georgs materialisierte Träume von den wilden Tieren erinnern, wie eingangs angedeutet, an das Kinderbuch „Wo die wilden Kerle wohnen“. Wie Max „segelt“ Georg in ein Traumland, wo die großen Monster wohnen, die er mit einem magischen Trick zähmt.

Maurice Sendak ist ein New Yorker Nachkomme polnisch-jüdischer Einwanderer. TIME Magazine nannte ihn einmal den „Picasso der Kinder“. Sendak jedoch steht in der Tradition der Bildwelt von William Blake und Wilhelm Busch, von Ludwig Richter und dem Struwwelpeter-Hoffmann, in den Romanwelten von Charles Dickens und Honoré de Balzac. Sendak O-Ton: „Die Kindheit ist kein Paradies, sondern ein schrecklicher Zustand: man kann sich nicht wehren … Es sollte mehr ernsthafte Bücher für Kinder geben. Es ist erniedrigend für Kinder, wenn man so schreibt wie für Idioten.“

Herz und Feder


Wie teuer ist die Reise dahin, wo die wilden Kerle wohnen? Wenn es nicht zu teuer ist, wollen wir liebend gerne den Sommer dort verbringen. Oder wir gehen schon jetzt im Frühling dorthin, wo die wilden Kerle von WolfGeorg wohnen, hierher nach Batschuns. Und in der Nacht sitzen wir hier am Boden und schauen zu, wie der im Alten Ägypten anerkannte Totengott Anubis die Herzen der Menschen wiegt. Stirbt ein Mensch, kommt er zur großen Waage. Anubis nimmt das Herz des Toten - deshalb wird das Herz als einzige Innerei nicht in Kanopen gegeben sondern verbleibt im Körper - als Kanopen, auch Kanopenkrüge oder Kanopenvasen werden die Gefäße bezeichnet, in denen bei der Mumifizierung im Alten Ägypten die Eingeweide separat vom Leichnam beigesetzt wurden – legt das Herz auf die eine Waagschale und die Feder auf die andere. Ist das Herz leichter als die Feder, darf der Tote ins Paradies  hinüber, wo ihn das ewige Leben  erwartet. Ist das Herz schwerer, wird man von einem Ungeheuer mit Krokodilskopf ohne Tränen gefressen. Wenn der Mensch jedoch so gelebt hat, wie es die ägyptische Tradition vorschlägt - mache dich UND andere glücklich - wird das kein Problem sein. So einfach und einleuchtend ist das im Vergleich zu den 10 Geboten des Christentums. Denn im Gegensatz zu heute war im alten Ägypten das Wort und die Tat eins. Ein gesprochenes oder geschriebenes Wort wurde in Handlung umgesetzt.
Erika Lutz hat Ideen, Pläne und Wünsche. Sie will das ARTquer Projekt erweitern. Geplant sind Verbesserungen der Atelier-Infrastruktur, mehr Platz und ein barrierefreier Zugang in die Werkstatt. Zudem soll der Dialog mit der Öffentlichkeit intensiviert werden. Erika Lutz ist Pädagogin, Tischlerin und seit 1994 selbstständig. Als Pionierin einer Integration der andern Art möchte sie Menschen mit Behinderung achtsam begegnen und gemeinsam mit ihnen quer denken. Pepi Hanser hätte Freude mit dieser Ausstellung, die er voll und ganz in der Tradition dieses Hauses hier sähe. Er hat sie immer wahrgenommen. Die Außenseiter. Die Einsamen. Peter Niedermair

Bildungshaus Batschuns / Zwischenwasser
8. Jänner bis 23. April 2014
http://www.artquer.at/
www.bildungshaus-batschuns.at