Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Karlheinz Pichler · 26. Jän 2014 · Ausstellung

Fraktale, Schriftbilder und das „Exil“ – Werner Marxx Bosch, Maria Ralser und Rainer Schneider im Künstlerhaus Bregenz

Die aktuellen Personalausstellungen im Bregenzer Künstlerhaus sind in erster Linie der Malerei gewidmet. Gezeigt werden neue Fraktalbilder von Werner Marxx Bosch, von Francis Bacon inspirierte „Tänzerinnen“ von Rainer Schneider sowie Schriftbilder von Maria Ralser.

Der 1958 in Lustenau geborene Künstler Werner Marxx Bösch, dereinst Schüler von Peter Weibel, Oswald Oberhuber und Wilhelm Cermak in Wien, hat sich in den vergangenen Jahren experimentell mit dem Phänomen der Fraktalkunst auseinandergesetzt, mit deren Hilfe er fulminante Farb-Cluster erzeugt. Die Frage, ob ein computergeneriertes Fraktal Kunst ist, wird nicht nur im Internet kontrovers diskutiert. Generell sollte man aber grundsätzlich zwischen den tatsächlich computergenerierten Fraktalen unterscheiden, die ausschließlich dazu bestimmt sind, die Lösungsmenge eines konkreten mathematischen Problems grafisch darzustellen. und jenen Fraktalen, deren Gestaltung individuell bestimmt wird und deren Ergebnisse isoliert von mathematischen Fragestellungen zu betrachten sind. Marxx wählt seine abstrakten Fraktale mit Sorgfalt aus und entwickelt diese künstlerisch weiter. Der Computer und die in großer Zahl verfügbaren Fraktal-Programme sind ihm dabei nur Hilfsmittel, um seine Expeditionen ins Reich der Farben und Formen in immer neuen Variationen austesten zu können.

Der Begriff "Fraktal" (lat. fractus: gebrochen) wurde 1975 von dem Computerwissenschaftler und Mathematiker Benoit Mandelbrot geprägt. Seinen Namen trägt auch das "Ur-Fraktal", welches manchmal auch als "Apfelmännchen" bezeichnet wird. Durch sich immerwährend wiederholende mathematische Formeln mit komplexen Zahlen entstehen charakteristische Muster, die endlose Details aufweisen. Es erfolgt also eine ständige Iteration der Gleichung, bis der Wert mit einem vorangegangenen bzw. vorgegebenen Wert in irgendeiner Hinsicht identisch ist. Gute Beispiele für die Eigenarten von Fraktalen lassen sich überall in der Natur wiederfinden. Ringsherum in unserer Umwelt finden sich Wiederholungen einer bestimmten Struktur in sich selbst. Die Zweige an den Ästen von Bäumen, die vielfachen Verzweigungen innerhalb unseres Blutkreislaufes, die einzelnen Röschen eines Blumenkohls, die Blätter von Farnen oder die Formen der Küstenlinie. Diese fortlaufenden Wiederholungen werden auch als "Selbstähnlichkeit" bezeichnet.

Das Fraktal spielt auch in der Chaostheorie eine zentrale Rolle. Zahlreiche Phänomene der Naturwissenschaften sind trotz strengem naturwissenschaftlichem Determinismus prinzipiell nicht prognostizierbar. Es gibt jedoch Struktur im Chaos, die sich bildlich in den phantastischen komplexen Mustern – eben den Fraktalen - ausdrückt. Die fraktale Geometrie liefert also eine Palette von Begriffen und Messverfahren, die Komplexität des Chaos aufzudecken. Meist leben Chaos und Ordnung nebeneinander und der Übergang von Ordnung ins Chaos folgt strengen Fahrplänen.

Komplexität in vielen Verkleidungen


Komplexität gibt es in ganz vielen Verkleidungen und in ganz vielen Variationen. Etwa bei einer Nahrungskette in einem ökologischen System. Der große Fisch frisst den mittelgroßen Fisch, und der mittelgroße Fisch frisst den kleinen Fisch, und der ganz kleine Fisch frisst Plankton. Dabei spielen auch die Meeresströmung, die Temperatur, die Schadstoffbelastung und vieles andere noch eine Rolle. Die Chaostheorie und die Fraktallehre liefern das Instrumentarium, solche Komplexitäten darzustellen und zu berechnen.

Die Kunstwerke, die Bosch im Künstlerhaus als Einzelbilder, Diptychen oder auch Triptychen präsentiert, sind in gewissem Sinne Überführungen von natürlichen und gesellschaftlichen Phänomenen in die digitale Welt von Formen und Farben. Seine von der Chaostheorie abgeleiteten und sich in die Unendlichkeit verlierenden Farb-Muster fluten die Räume gleichsam eruptiv und mit prägnanter Intensität. Marxx übersetzt Formen der Natur und Welt in digitale, zahlenbasierte Malerei.

Marxx Bosch entwickelt seine Fraktale am Computer und druckt respektive plottet dann das Ergebnis auf die Leinwand. Wobei es frappant ist, dass die Druckauflösung mit der heutigen Technik so dicht und hoch ist, dass sie eine nahezu malerische Qualität erreicht, wie man anhand der ausgestellten Exponate leicht ersehen kann.

Rainer Schneiders „Exil“


Der 1971 in Gaissau geborene Künstler Rainer Schneider betitelt seine Ausstellung mit „Exil“ und nähert sich diesem Thema durch den Einsatz unterschiedlicher Medien wie Fotografie, Video, Acrylmalerei und Installation mit einer sehr eigenwilligen Handschrift. Für den Künstler markieren Exile Gebiete, in die man sich mental und physisch zurückziehen kann. Nach vielen Jahren in Wien ist Schneider vor zwei Jahren nach Vorarlberg zurückgekommen. Back to the Roots sozusagen, so kann auch die ehemalige Heimat zum Exil werden. Schneider sieht das Exil denn auch nicht negativ als beispielsweise Verbannung oder Vertreibung an, sondern eher als eine Reflexion auf sich selbst, als Mittel der Identitätssuche, als Einkehr in das eigene Innere.

Wie der Gaissauer Künstler selber sagt, werden für ihn in einer „gezielt und geplant immer nach noch mehr marktschreierischen Transparenz strebenden Überwachungs- und Durchleuchtungsgesellschaft nicht transparente Rückzugsräume und exilische Höhlen immer wichtiger, immer spannender, attraktiver.“ Und er fragt sich, ob und wann und wie die gegenwärtige Architektur wohl darauf reagiert.

Seine Verbauungen im 1. Obergeschoss des Künstlerhauses erinnern an die simplen Höhlen, wie Kinder sie gerne errichten. Er hat einfache Sesselgerüste gezimmert, diese zusammengestellt und Decken darüber geworfen. „Wenn es bei Kindern um innere Migration geht, begnügen sie sich mit Tüchern und Kissen und verschaffen sich in kürzester Zeit und mit sehr geringem Aufwand eine Schutzhöhle,“ betont der Künstler.

Schneiders Höhlen sind teilweise begehbar. Und sie weisen Schlitze auf, durch die man hineinsehen kann. Fallweise kann der Blick dann auf Augen fallen. Aber diese gehören nicht zu Kindern, die sich in der Höhle aufhalten könnten, sondern es handelt sich um vakuumverpackte Schweinsaugen. Der Künstler hat diese Augen in die Höhlen hineingelegt, um den Aspekt des Blickes mit einzubringen, womöglich in Anspielung auf Platons Höhle.

Die Welt als verführende Tänzerin


Auffällig umrahmt werden die Höhlenverbauungen Schneiders durch sowohl farblich wie auch formal figurativ markante Acrylgemälde. Dargestellt werden jeweils Tänzerinnen. Der Künstler versucht mit diesen Bildern, seine Um- und Mitwelt als eine ihn stets verführende Tänzerin zu visualisieren. Ursprünglich bezeichnete er diese Tänzerinnen als „Huren Babylons“, aber er zog mit dieser Bezeichnung den Zorn der Porträtierten auf sich, die ihm Modell gestanden sind.

Schneider hat nichts dagegen, wenn man ihm vorhält, dass diese Gemälde frappant an den 1992 verstorbenen irischen Maler Francis Bacon erinnern. Im Gegenteil, Bacon ist sein großes Vorbild, bestimmte formale Ingedrienzen, die den Bilderkosmos von Bacon typisieren, hat er bewusst adaptiert. Ja, er hat Bacon studiert und seine Diplomarbeit an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien trug den Titel „Francis Bacon und die Frage nach der Darstellung des Menschen“. Entsprechend verwendet auch Schneider gerne Kreisformen, elliptische Horizontlinien, rechteckige Bildflächen, gerüstartige Linien im Raum bei geordneter Farbpalette als Rahmungen, in die er seine Figuren hineinstellt. Wobei sich die figurativen Inkarnate, die Tänzerinnen, irgendwie kontrapunktisch zu den entleerten, fast sterilen Hintergründen verhalten und auf diese Weise in Isolation geraten. Erscheint die Kulisse statisch und neutral, werden die Figuren dynamisch und energiegeladen dargestellt.

Im Unterschied zu den Figuren Bacons haben die Tänzerinnen Schneiders karikaturenhafte Züge. Der Künstler hat seine Modelle in Einhandtechnik porträtiert. Will heißen, sein Blick haftete stets auf der Porträtierten und nicht auf dem Papier. Dadurch werden einzelne Passagen wie Arme oder Finger oder Nasen- und Mundpartien extrem überhöht. Schneider, der früher tatsächlich Karikaturen angefertigt hat, überträgt die Zeichnungen auf den Computer, überarbeitet sie, projeziert sie auf die Leinwand und malt dann erst aus. Er legt großes Augenmerk darauf, die Sinnlichkeit und Fleischlichkeit zu übersetzen, was er durch die Farbgebung und die Bewegung der Figur im Bildraum zu erlangen versucht. Was ihn an Bacon fesselt, ist vor allem das radikal Existenzielle, das seinen Arbeiten anhaftet. Ähnliches versucht er, in seinen eigenen Bildräumen zu manifestieren.

Erkenntnis und Schrift

Die Künstlerin Maria Ralser stammt aus Virgen im Osttirol, ist aber seit etlichen Jahren in Hohenems beheimatet. In ihren aktuellen Werken beschäftigt sich Ralser mit den Themen Erkenntnis und Schrift. Und dies nicht von ungefähr, kommt sie doch durch ihr persönliches Umfeld immer wieder mit beruflichen Feldern wie Coaching und Mediation in Berührung, in denen der Begriff der Erkenntnis eine zentrale Rolle spielt.

Für ihre Arbeiten sieht die Künstlerin den Begriff Erkenntnis zunächst nicht als Prozess, sondern als Wissen durch Einsicht und Erfahrung und Erkennen von Zusammenhängen. Wobei es ihr darum geht, gewonnene Erkenntnisse in eine bildhafte Form zu übersetzen. So entstehen Schriftbilder, denen persönliche Ideen, Worte, Inhalte, Werte, Wahrnehmungen, Regeln, Gesetze oder Prinzipien zugrunde liegen. Es stehen konkrete Wörter am Ausgangspunkt, die aber durch zusätzliche Buchstaben angereichert werden können. Durch die Schichtung hinter-, neben- und übereinander sind die Bilder praktisch nicht entzifferbar. Durch die teilweise Verformung und Umstrukturierung der Buchstaben werden die Wortbedeutungen codiert, verschlüsselt, unlesbar. Ralser dekonstruiert Worte und Wortbedeutungen auf ihre einzelnen Konstruktionsteile, die Buchstaben.

Auffallend ist, dass die Arbeiten durchwegs in den Farben respektive Nichtfarben Weiß und Schwarz und den dazwischen liegenden Graustufen gehalten sind. Farben wie Rot oder Blau oder Grün sind praktisch nicht existent. Während „Weiß“ die Farbe des Lichts und damit die Summe aller Farben verkörpert, absorbiert „Schwarz“ alles Licht. „Schwarz“ ist ergo die Farbe des Nichts, des Ursprungs und des Endes. In diesem Spektrum zwischen Allem und Nichts, man könnte auch sagen zwischen „Erkennen“ und „Nichterkennen“, spielt sich also die „Bemalung“ dieser Informationseinheiten respektive Buchstaben ab.

Je klarer sich die „Wahrheiten“ bzw. Erkenntnisse zeigen, umso klarer wird auch ihre Aussage. In der Bildsprache Ralsers zeigt sich diese Entwicklung durch fortgesetzte Reduktion und Abstraktion. Aus einer Unmenge von Information und Wissen entsteht Erkenntnis. Die einzelnen Bilder sind dementsprechend Momentaufnahmen davon, sie markieren einzelne Schritte der Erkenntnis.

Die Künstlerin erzählt, dass sie beim Malen immer das Thema „Erkenntnis“ im Kopf gehabt habe, aber die einzelnen Werke aus einem intuitiven Antrieb heraus Schritt für Schritt entstanden seien. So gesehen markiert die Entwicklung dieser Schriftbilder einen fortlaufenden Prozess, dessen Ergebnis – die Erkenntnis – aus einer Summe von Momentaufnahmen gespeist wird, aber  fortlaufend weitergeführt wird.

 

Werner Marxx Bosch, Maria Ralser, Rainer Schneider
Künstlerhaus Palais Thurn & Taxis, Bregenz
bis 10.2.2014
Di - Sa, 14 - 18, So 11 - 17
www.kuenstlerhaus-bregenz.at