Aggregatzustände der Sprache und ihrer Zeichen - „Schriftsätze“ von Boris Petrovsky in der Feldkircher Galerie Feurstein
Unter dem Titel „Schriftsätze“ präsentiert die Feldkircher Galerie Feurstein derzeit neue Werke des 1967 in Konstanz geborenen Medien- und Installationskünstlers Boris Petrovsky. Mit zwei Buchstabentürmen erleben dabei zwei komplexe Arbeiten aus der neuen Serie „Große Erzählungen in kleinen Einheiten“ ihre „Uraufführung“.
Die „Großen Erzählungen“ bestehen jeweils aus einem Sockel aus weißem Carrara-Marmor, auf denen sich die 26 Buchstaben des Alphabets als Leuchtzeichen stapeln. Formal erinnern diese „Erzählungen“ an Epitaphe oder Erinnerungstafeln. Die Buchstabentürme sind an einen Computer angeschlossen, der so programmiert wurde, dass durch das Aufleuchten der jeweiligen Schriftzeichen das Heldenepos „Ilias“ von Homer sowie Karl Marx’ fundamentales Werk „Das Kapital“ von Anfang bis zum Ende durchbuchstabiert werden.
Buchstabentürme
Bei der Ilias etwa leuchtet jeder Buchstabe eine Sekunde auf. So dauert es sieben Tage, bis dieses Epos einen kompletten Durchlauf hinter sich gebracht hat. Dann spult das Programm zurück und das Ganze beginnt von vorne. Der Text wird zu einem digital gesteuerten Algorithmus, der die Schriftzeichen der Erzählung folgend nacheinander aufblinken lässt. Da das monumentale Homer-Elaborat in seine Einzelteile aufgelöst wird, ist es für den Betrachter praktisch unmöglich, dem Text inhaltlich zu folgen. Die Worte und Sätze werden von den Leuchtzeichen regelrecht erschlagen. Die Sprache erstarrt in einer unlesbaren Aneinanderreihung autonomer Zeichen.
Die „Ilias" läuft auf neu geformten, glasklaren, aber im Inneren scharlachrot lichtbogenleuchtenden Neonschriftzeichen, die zu einer geradlinigen, geometrisch strengen Säule aufgetürmt werden. Für den Buchstabenturm „Das Kapital“ verwendet der Konstanzer Künstler gebrauchte Leuchtbuchstaben.
Macht der Sprache und Sprache der Macht
Neben diesen zentralen Arbeiten zeigt Petrovsky auch kleinere Arbeiten aus gebrauchten, verschiedenfarbigen Neonschriftzeichen, die er der Leuchtreklamenindustrie entnommen hat.
Der Konstanzer Künstler, der 2010 von der Ars Electronica ausgezeichnet wurde, setzt sich in seinem Schaffen mit den Aggregatzuständen der Sprache und ihren Zeichen auseinander. Er visualisiert, dass Sprache und Zeichen ein Eigenleben entwickeln können, und dass sie nicht immer das sind, was sie versprechen. Generell geht es in seiner Arbeit auch um die Macht der Sprache und die Sprache der Macht, - wie Zeichen wirtschaftlich und politsch instrumentalisiert und auch proprietär werden.
Petrovsky reißt die Bedeutungszeichen vielfach aus ihrem Zusammenhang und erforscht die Alltagsbedingungen von Sprache und Objekt. Er decodiert die Zusammenhänge zwischen Kommunikation, Information und Interaktion.
Bei den in Fedkirch gezeigten Werken handelt es sich weniger um Design- und Objektstücke, sondern um Konstruktionen, die eine eher spröde, technisch-industrielle ästhetische „Sprache sprechen“. Durch die vielen offenen Kabel, die Industrie-Rohrhalter, durch offene Vorschaltgeräte oder idiosynkratische Zeichenfragmente, die an technische Symbole erinnern, wird der Galerieraum gleichsam in einen Technikraum respektive in eine Schaltzentrale transformiert. „Die Marmorsockel, aus denen viele Kabel zu den Neons führen, erinnern absichtlich auch an alte Schalttafeln aus Marmor, wie sie zur Verherrlichung der Technik bis Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet wurden und die Technik sozusagen auf den Sockel stellte – als ‚bürgerliche, kulturelle’ Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine,“ erläutert Künstler Petrovsky.
Boris Petrovsky: „Schriftsätze“
Galerie Feurstein, Feldkirch
Bis 25.1.2013
Öffnungszeiten: Di, Mi, Do, Fr 14-18; Sa 11-14 u. n. Vereinbarung
www.galeriefeurstein.at