Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Dagmar Ullmann-Bautz · 02. Okt 2010 · Theater

Ein Theaterabend mit magischen Momenten

Arno Geigers „Schöne Freunde“ am Vorarlberger Landestheater vom Publikum umjubelt - ein Theaterabend mit magischen Momenten, vereinzelten Längen und einer grandiosen Schauspielerleistung

Mit Alexander Kubelka und Paul Lerchbaumers Inszenierung von Arno Geigers Roman „Schöne Freunde“ startete das Vorarlberger Landestheater in die neue Saison. - Ein mutiges, ein großes Theaterprojekt und Abenteuer!

Großartiges Ensemble

Dem Zuschauer präsentierte sich ein Theaterabend, der zweieinhalb Stunden vollste Konzentration abverlangte und entsprechend belohnte. Arno Geigers Text mit seinen schön gewundenen Sätzen, seiner virtuosen und doch nie aufgesetzt wirkenden Wortakrobatik und manchmal kaum nachzuvollziehenden Gedankensprüngen gepaart mit einer sehr poetischen Umsetzung in epischer Form, beanspruchte alle Sinne.
„Schöne Freunde“ erzählt die Geschichte eines eigenartigen Jungen, der den schmerzhaften Prozess des Erwachsenwerdens äußerst intensiv erlebt. Ganz genau beobachtet er die Erwachsenen seiner Umgebung, erlebt Veränderungen mit größter Aufmerksamkeit und Neugier. Sein besonderes Interesse wecken die Begegnungen zwischen Mann und Frau, der wunderbare, so geheimnisvolle Satz „Ich liebe dich.“
Dramaturgin Dorothee Bauerle-Willert und das Regieteam Kubelka/Lerchbaumer haben einen Abend hingezaubert, der sich aus Geigers Sprache, stimmungsvollen Bildern und einer unterstützenden, stets dezenten Klangkulisse, nährt. Ein Abend, der zwischendurch gewiss die eine oder andere Länge aufweist, der vor allem jedoch durch die großartige Leistung des Schauspieler-Ensembles entzückt. Ganz präzise wurden die Gefühle von Geigers Protagonisten herausgearbeitet und  es sind die besonderen, die magischen Momente dieser Inszenierung, wenn es den Schauspielern scheinbar mühelos gelingt, jene schauspielerische Intensität zu entwickeln, die den Zuschauer beinahe körperhaft schmerzlich in die Handlung mit einbezieht.

Öffnen und Schließen von Erinnerungsräumen

Carlos Erzählung, das Öffnen und Schließen immer wieder neuer Erinnerungsräume, unterstützt Bühnenbildner und Regisseur Paul Lerchbaumer mit einem wandelbaren, multifunktionalen Bühnenbild.  Ein zerlegtes Haus, verschieb- und drehbare Wände lassen vor den Augen des Zuschauers ständig neue Räume, neue Erzählflächen entstehen. Das präzise und kreative Lichtkonzept von Arndt Rössler ist die geniale Ergänzung zu Lerchbaumers Bühnenbild.  Thomas Wörgötter protegiert das Spiel mit teils skurrilen Kostümen, die von den Lebenswelten der Menschen erzählen. Carlos Geschichte, seine Erinnerungen, werden vom Erwachsenen Carlos erzählt. Martin Olbertz begeistert in dieser Figur, verleiht ihr mit bübisch lächelndem Gesicht eine große Ernsthaftigkeit und tiefe Traurigkeit. Der junge Carlos berührt mit kindlich naiver Neugierde, mit sanfter Sehnsucht und ganz besonders in Momenten schmerzhafter Erkenntnisse – ein Bravo dem jungen Schauspieler Andreas Jähnert.  Der Akkordeonspieler (Ernst Rainer) begleitet Carlos auf seinem Weg - einfühlsam und mit größter Diskretion. Die Spielpartner von Carlos sind die „Schönen Freunde“, die Menschen um ihn herum, die er bewundert, liebt, beobachtet, nachahmt, von denen er lernt,  zu denen er gehören möchte - bis ihre Fassaden bröckeln.

Lohnende Herausforderung

Mario Plaz überzeugt als Direktor, als der Mensch, in dessen Nähe sich Carlos gerne aufhält, an den er sich hält und der ihn schlussendlich schmerzhaft enttäuscht. Hans Ohm, beeindruckend dargestellt von Michael Schiemer, dem die Frauenherzen zufliegen, entwickelt sich vom charmanten Casanova zum brutalen Schänder. Wie schon des öfteren beweist Alexander Meile an diesem Theaterabend zur Freude der Zuschauer seine enorme  Wandlungsfähigkeit – bei jedem Auftritt brilliert er in einer neuen Figur. Stephanie Brenner, Alexandra Nutz, Tamara Stern und Katrin Hauptmann spielen die weiblichen „Freunde“, die Carlos umschwirren, sodass ihm manchmal die Luft wegbleibt. Mit großer Sinnlichkeit, berührender Intimität, überbordenden Gefühlen ziehen sie nicht nur Carlos sondern auch das Publikum in ihren Bann.
Arno Geigers „Schöne Freunde“ am Vorarlberger Landestheater stellt in seiner ungewöhnlichen Form des Erzählens lohnende Herausforderung, aber auch Provokation für manchen Theatergeher dar.