Roland Haas Werk "Madrisella, Acryl auf Leinwand" beim SilvrettAtelier (Foto: Karlheinz Pichler)
Silvia Thurner · 06. Aug 2024 · Musik

Zerrissenes drittes Festspielkonzert

Petr Popelka, neuer Chefdirigent der Wiener Symphoniker, stellte sich in Bregenz vor

Das dritte Orchesterkonzert bei den Bregenzer Festspielen bot ein Programm der Gegensätze: Zuerst erklangen Repertoirestücke von Weber und Schumann, danach wurde ein neues Werk von Thomas Larcher präsentiert. Der neue Chefdirigent der Wiener Symphoniker, Petr Popelka, stellte sich in Bregenz vor, Elisabeth Sobotka verabschiedete sich von „ihren“ Wiener Symphonikern. Die Dramaturgie des Festspielkonzertes war unvorteilhaft konzipiert, denn das wirkmächtige Chor- und Orchesterwerk „Love and the Fever“ von Thomas Larcher forderte von den Musiker:innen und dem Prager Philharmonischen Chor sowie den Zuhörenden viel Energie und Konzentration. Außerdem wirkte es wenig angemessen, unmittelbar nach den ergreifend zelebrierten, existenziellen Inhalten das Operettenlied „Berliner Luft“ zu spielen.

Der Tiroler Komponist Thomas Larcher wurde in den vergangenen Jahren schon öfters in Vorarlberg gefeiert. Die Oper „Das Jagdgewehr“ kam bei den Festspielen zur Uraufführung, sein „Padmore Cycle“ sowie die dritte Symphonie „A Line above the Sky“ waren in Interpretationen des Symphonieorchesters Vorarlberg zu hören. Nun wurde Larchers großangelegtes Werk „Love and the Fever“ als österreichische Erstaufführung im Rahmen des dritten Festspielkonzertes präsentiert. Darin verfasste er eine Art Oratorium, dem er acht Gedichte des japanischen Dichters Miyazawa Kenji zugrunde legte. Vielschichtige baute er das Werk auf, in dem abschnittweise aus einer objektiven Perspektive das Geschehen geschildert und aus der Perspektive eines lyrischen Ichs erzählt wird. Der Autor schildert im Text den Tod seiner geliebten Schwester und fasst dabei die emotionalen Zustandsbeschreibungen in naturhaften Analogien.
Gut proportioniert nahm der Chorpart neben dem Orchester eine zentrale Rolle ein. Die Stimmen erklangen abschnittweise als Kollektiv im homophonen Satz instrumental geführt oder auch kontrapunktisch verflochten. Der gesamte Chorpart verlangte dem Chor alles ab.

Herausragender Chor

Mit dem Prager Symphonischen Chor hatte Thomas Larcher einen höchst professionellen Partner an seiner Seite. Unter der Leitung von Lukaš Vasilek wird der Chor in Bregenz seit Jahren hochgeschätzt. Doch mit der Deutung dieses Werkes setzte die 75-köpfige Chorgemeinschaft neue Maßstäbe. Dynamische Zurückhaltung und zugleich eine große Präsenz zeigten die Sänger:innen ebenso wie sie expressiv kulminierende Passagen in höchsten Lagen, gleißende Klänge und Glissandi mit mikrotonalen Abschattierungen mit Präzision und Kraftentfaltung entfalteten.
Dem Chor als Partner zur Seite standen die Wiener Symphoniker. Auch sie bündelten ihre Kräfte und stellten die vielfältig instrumentierten Passagen vielsagend in den Raum. So kamen rhythmische Ostinati und Überlagerungen, dynamische Schübe und ausgefallene Klangschattierungen des präparierten Klaviers und des alles aufbietenden Perkussionsapparates hervorragend zur Geltung. In Erinnerung blieben unter anderem die reflektierenden Orchesterzwischenspiele, die das Geschehen psychologisch ausdeuteten. Die Fäden liefen bei Petr Popelka zusammen, der mit seinem Debüt in Bregenz primär mit dieser Werkdeutung einen großen Eindruck hinterließ.

Temperamentvolles Dirigat

In der ersten Konzerthälfte standen Carl Maria von Webers „Euryanthe“ und die dritte Symphonie von Robert Schumann auf dem Programm. Die Erwartungen an den neuen Chefdirigenten und die Wiener Symphoniker waren hoch, wurden jedoch mit diesen beiden Werkdeutungen enttäuscht. Die Wiener Symphoniker wirkten eher unmotiviert. Im Nachhinein betrachtet, sparten die Musiker:innen vielleicht auch ihre Energien für den Kraftakt, den Thomas Larchers Werk einforderte.
Petr Popelka eilte zum Pult und setzte ganz unmittelbar ein. Er dirigierte mit viel Körpereinsatz, wandte sich den Stimmgruppen mit großen Gesten zu und interpretierte die Themen offensiv. An der Klangoberfläche ergaben sich dadurch plastisch ausgeformte Phrasierungsbögen. Die „Rheinische“ von Schumann lebt zu einem Gutteil aus dem melodisch-harmonischen Unterbau, in den mit vielerlei musikalischen Gesten der fließende Charakter des Wassers eingeschrieben ist. Doch die Innensicht auf die musikalischen Gestalten kam eher wenig zur Geltung. Insbesondere den langsamen Sätzen und dem mit „feierlich“ bezeichneten vierten Satz fehlte die innere Ruhe.
Beschwingt wurde das Publikum aus dem kontrastreichen Orchesterkonzert entlassen. Mit Ende dieser Saison verlässt Elisabeth Sobotka die Bregenzer Festspiele in Richtung Berlin. Jan Nast, Intendant der Wiener Symphoniker, das Orchester und Petr Popelka verabschiedeten sich von der Intendantin mit einem herzlichen Dank, einem großen Sonnenblumenstrauß und dem Marsch-Lied „Berliner Luft“.

www.bregenzerfestspiele.com