Szene Open Air 2024
Warum Jeremias und Paula Hartmann etwas mehr Risiko gut täte und was Lemo richtig macht
Lemo, Jeremias und Paula Hartmann waren am letzten Tag des Szene Open Air in Lustenau nacheinander zu hören und hinterließen spannende, wenngleich ganz unterschiedliche Eindrücke.
Das Szene Open Air Festival ist seit vielen Jahren für sein konstant hochkarätig besetztes Lineup, guten Sound und eine Top-Organisation bekannt. So können nicht nur Tagesgäste und Wochenend-Camper bestens versorgt werden, sondern es wird mit Hilfe eines Kinderzelts auch Familien ermöglicht, eine entspannte und sichere Zeit zu haben. Dass von der unkomplizierten Anreise mit Shuttlebus über freundliche Securities bis zu ausreichend Verpflegung alles so reibungslos funktioniert und das Festival seit Jahren ein preisgekröntes Ökologiekonzept mit spür- und sichtbaren Erfolgen durchführt, verdient besondere Anerkennung. Am Samstag, dem dritten und letzten Tag des Festivals setzte sich das Programm fast ausschließlich aus Künstler:innen und Bands aus dem deutschsprachigen Raum zusammen.
Die Keyboarderin Käthe Johanning trägt bei „Jeremias“ den Bandsound
Die Band Jeremias hat sich mit einem frischen Mix aus tanzbarem Indie-Disco-Pop einen Namen gemacht. In geschmackvollen Texten verarbeitet der Namensgeber und Frontmann der Band ausschließlich biographische Themen, wobei die schwungvolle Musik auch gern Herzschmerz-Lyrik trägt. Die Show auf der Hauptbühne beginnt bereits mit Soundinstallationen, bevor dann buchstäblich der Vorhang fällt und den Blick auf die energetische Band freigibt, während Jeremias durch eine Vielzahl von Podesten immer sichtbar bleibt, egal wo er sich gerade auf der Bühne bewegt. Sein charakteristischer, mit Vibrato angereicherter Gesang strahlt rein über die Band hinweg, wenngleich die teilweise beabsichtigte Monotonie in seinen Melodien nicht jedermanns Sache sein wird und über die Dauer des gut einstündigen Konzerts zunehmend an Reiz verliert. Dabei hat das weniger mit seinem Können zu tun und lag wohl eher an der Zusammenstellung der Setlist, doch besonders weit gesponnene Melodiebögen, oder rührende Kopfstimme-Passagen, die man zum Beispiel aus Liedern wie „Egoist“ oder „Mit dir kann ich alleine sein“ kennt, hätten dem Konzert gut getan.
Generell klingen Jeremias in diesem Set am besten in den Nummern, die klar ihren Disco-Pop Inspirationen folgen, was auch dem großartigen Beitrag von Käthe Johanning an Keyboard und Synthesizer zuzuschreiben ist. Sowohl ihre glitzernden Klangflächen als auch die rhythmischen Disco-Patterns tragen die Band über weite Strecken hinweg. Dabei ist es wert zu erwähnen, dass die Tontechnik aus ihren abwechslungsreichen Sounds, den geschmackvollen Gitarrengrooves von Oliver Sparkuhle, den treibenden Drums von Jonas Hermann und Ben Hoffmanns warmem Bass stets einen transparenten und kraftvollen Bandsound zu formen weiß. Einzig warum der Rapper Ski Aggo für einen Song zur Band dazustoßen muss inklusive recht peinlichem Fake-Bass-Spielen, erschliesst sich nicht wirklich. Kurz vor Schluss zeigt die Band in einem kurzen instrumentalen Zwischenspiel, was für großartige Musiker hier zusammengefunden haben. Tatsächlich wirkt dieser Szenenwechsel so erfrischend, dass man sich davon gerne mehr gewünscht hätte.
Dass die Show von Jeremias insgesamt sehr gut ankommt, kann man auch daran erkennen, dass wirklich fast das gesamte Publikum bei Hits wie „Grüne Augen lügen nicht“ mitsingt.
Eine neue Märchenerzählerin
Paula Hartmann ist danach auf der Szene Bühne zu hören und wird dort bereits von zahlreichem Publikum erwartet. In der Anmoderation erfährt man, dass ihr manche Fans bereits in mehrere Städte nachgereist sind und nun in Lustenau endlich eine Show von ihr „zuhause“ hören dürfen. Die Sängerin bringt ein eng getaktetes Set mit, das aus Songs besteht die in poetischen Sprachbildern und pointierten Texten von „Märchen aus der Großstadt“, wie sie es selbst beschreibt. „Rap braucht wieder einen Märchenerzähler“ sang Alligatoah bereits 2018 und Paula Hartmanns steiler Aufstieg in den letzten Jahren scheint diese Prognose zu bestätigen. Daher ist es schade, dass ihre charakteristische Stimme meist von den überlauten Beats zugedeckt wird, worunter natürlich auch die Sprachverständlichkeit leidet.
Schade ist auch, dass abgesehen von wenigen Momenten in denen Sample Pads und Drummachines den Backingtrack ergänzen, eben das komplette Instrumental „vom Band“ kommt. Auch wenn das in dieser Stilistik nicht unüblich ist, gibt es doch genügend andere Acts, die trotzdem mit einer Live-Band auftreten, oder bei denen auch die Beats „handgemachter“ auf der Bühne enstehen. Das Publikum scheint das kaum zu kümmern, denn sie kennen sowieso fast alle Lieder auswendig und singen aus voller Kehle mit.
Der stärkste Moment des Sets ist innerhalb der bekannten Nummer „Schwarze SUVs“ erreicht: Wenn der DJ (endlich einmal!) in die Tasten seines Keyboards greift, wird durch die orgelähnlichen Klänge in Verbindung mit der durch Effekte verfremdeten Stimme Paula Hartmanns am Ende des Songs eine dramaturgisch erstklassige Wirkung erzielt.
Lemo: unmittelbarer, ehrlicher Indiepop aus dem Moment
Der Wahlwiener Musiker Lemo, der mit seiner Band am späten Nachmittag auf der Szene Bühne ein gut halbstündliches Set spielte, hat im Vergleich zu den beiden anderen Konzerten einen wesentlichen Punkt voraus. Von ihm gibt es ein echtes Live Konzert mit der gewissen Portion Risiko zu hören. Will meinen, im direkten Vergleich wirken Paula Hartmanns Backingtracks steril und die professionelle Show von Jeremias etwas routiniert. Oder anders herum formuliert. Man kann spüren und hören, wie sehr Lemo und seine Band den Live Auftritt gerade in diesem Moment genießen und jeder einzelne Musiker weicht hier und da von der vorgegebenen Linie der Studioaufnahmen ab, was im Endeffekt eine sehr starke Dynamik und Energie entwickelt.
Es wird sofort klar: Die selben Songs werden anders klingen als heute, wenn Lemo mit Band am 8. November im Conrad Sohm zu hören sein wird. Das soll jedoch nicht heißen, dass Lemos Songs beliebig klingen. Seine große Stärke sind sicherlich die treibenden Up-Tempo-Indiepop Nummern, in denen die Band ihren Sound voll ausfahren kann und die Arrangements trotzdem so transparent sind, dass Lemos raue, aber saubere Singstimme zur Geltung kommt. Einzig das gekünstelte Einbinden des RATM Klassikers „Killing in the Name“ mit deutschem Text als Zwischenteil eines eigenen Liedes, wirkte deutlich fehl am Platz. Doch auch dass er auf poetischer Ebene vielleicht nicht ganz an Jeremias oder Paula Hartmann heranreichen kann und bei manchem Lied vielleicht eher drei statt gefühlt fünf Refrains gereicht hätten, kann nicht überschatten, dass dieser Auftritt durchdrungen war von einer unmittelbaren Ehrlichkeit, spürbarer Spielfreude und der Frische einer perfekt aufeinander eingespielten Band. Der ausgiebige Applaus des Publikums war mehr als verdient und man kann sich sicher sein, dass Lemo mit diesem Auftritt noch einige zusätzliche Konzertbesucher:innen für die Show im November gewonnen hat.
Conrad Sohm Dornbirn: Lemo live am Fr 08.11.24; Einlass 19 / Beginn 20 Uhr