Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Peter Füssl · 04. Apr 2024 · CD-Tipp

Yard Act: „Where’s My Utopia?“

Mit dem erfrischenden Post-Punk ihres Debütalbums „The Overload“ schafften Yard Act vor zwei Jahren auf Anhieb den Sprung auf den zweiten Platz der britischen Album-Charts, erhielten – vor allem auch als Live-Band – allerorts glänzende Kritiken und wurden für den Mercury Award nominiert. Das Erfolgsrezept einfach nochmals neu aufzukochen, war dem flotten Vierer aus Leeds glücklicherweise zu langweilig, vielmehr holten Sänger/Texter James Smith, Bassist Ryan Needham, Gitarrist Sam Shipstone und Drummer Jay Russel zwecks Verstärkung und Erweiterung des musikalischen Horizonts den Gorillaz-Drummer Remi Kabaka Jr. als Produzenten. „Where’s My Utopia?“ war wohl auch in musikalischer Hinsicht die grundlegende Frage, und die Antwort geht weit über Post-Punk hinaus und schließt nun auch Art-Rock-, Hip-Hop-, Pop- und Disco-Elemente mit ein.

Auch das musikalische Personal wurde mit einem Saxophonisten/Flötisten, einem Streichquartett, einem Gospel- und einem Kinderchor aufgestockt. Wohlweislich nichts verändert hat sich an der Ausrichtung der Texte, in denen James Smith zumeist in einer Art Sprechgesang, mitunter auch in Form überquellender Wortkaskaden gesellschaftspolitische Themen behandelt, die aber auch der kritischen Introspektion dienen – stets schonungslos, aber immer auch witzig. Samples, die irgendwie nach alten Kitsch-Filmen oder amateurhaften Street-Recordings klingen, werden häufig und meist zu ironischen Zwecken in den musikalischen Fluss eingestreut. Etwa wenn das Album mit der euphorischen Jahrmarkts-Lautsprecher-Ansage „It’s now my great pleasure to introduce to you the greatest voice of the entire century“ startet, und darauf James Smith mit völlig unspektakulärer Stimme das ziemlich genaue Gegenteil singt: „It's a bank holiday, so all the hospitals are shut / Guess I'll have to saw off my own foot / Send a letter to my son, tell him that I'm drunk again / Tell him it's a buzz having this much fun.” „An Illusion” lautet der Titel des Openers, der mit dem müde bis schmeichelweich zu verzerrter Twang-Gitarre, Streicherschmelz und Backgroundchor gesungenen Refrain „I'm in love with an illusion / Once the wheels are in motion / Swear I'll join the rеvolution“ gleich auch die Segel in Richtung selbstironischer Desillusionierung setzt. Das Song-Ende markieren einige chaotische Soundschnipsel, die zur euphorisch klingenden, wohl aber auch selbstironischen Proklamation „We Make Hits“ überleiten, in dem die „broken millennial men“ und selbsternannten „post-punk’s latest poster boys“ auch noch ihren Unmut zu den Mietpreisen und den ungerechten Einkommensverhältnissen deponieren.

„Down By The Stream“ bedient sich beim Old-School-Hip-Hop, ein Teil des Textes, der sich um Kindheits- und Jugenderinnerungen und die ewige Weitergabe von Gewalt und Missbrauch von einer Generation auf die nächste dreht, wird schlicht rezitiert. Im lässig pulsierenden, von flirrenden Streichern umspielten, einem Pop-Song ziemlich nahekommenden „The Undertow“ besingt Smith wortreich die von einem Musiker immer wieder zu treffende Entscheidung zwischen Familienleben und dem Erfüllen der eigenen Träume. „Dream Job“ wird durch einen freudigen Afro-Beat, ein rockiges Gitarrensolo und repetitive Chorgesänge in hübschem Kontrast zu Smiths emotionslosem Gesang befeuert und fährt trotz der Zeilen „Welcome to the future / The paranoia suits ya“ auch dementsprechend in die Beine. Das dramatische „Fizzy Fish“ bedient sich bei Noise-Rock und Hip-Hop, und Needhams extrem lässiger Bass ist die Triebfeder von „Petroleum“. Die Singer-Songwriterin Katy J. Pearson übernimmt den Duettpart im selbstironischen „When The Laugther Stops“, das ist nämlich genau dann, wenn man erfährt, dass es beim so unglaublich wichtigen Vorsprechen, auf das man schon lange hinfiebert, eigentlich nur um die Rolle der Leiche geht. Die Empfehlung dazu: sich ja nichts anmerken lassen und sich stattdessen mit dem lakonischen „Pain is such a funny thing“ über alles Ungemach selber hinwegtrösten. „Blackpool Illuminations“ ist mit siebeneinhalb Minuten das mit Abstand längste Stück, eine sich ausgedruckt über drei DINA4-Textseiten erstreckende, wohl autobiographisch gefärbte Spoken-Word-Tirade voller Kindheitserinnerungen, die in einer positiven Bilanz zum eigenen Familienleben mit Frau und Sohn gipfelt: „Finally, I'd made it / And for the first time, I felt truly free / With my beautiful family and my dream job no longer a dream.“ Angesichts dessen ärgert sich James Smith aber gleich auch, warum es ihn überhaupt noch kümmert, „was die Wichser vom Album Nummer zwei halten“. Na, das ist bestens, keine Sorge! „Musikalisch fängt es immer noch damit an, dass wir versuchen, uns gegenseitig zum Lachen zu bringen“, erzählt Smith und meint damit Bassist Ryan Needham, mit dem er das Projekt Yard Act ursprünglich als Duo gestartet hatte. Dieser Spaß überträgt sich – trotz aller ernstzunehmenden Inhalte – durchaus auch auf die geneigte Zuhörerschaft.

 (Island/Universal)

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR April 2024 erschienen.

Konzert-Tipps: Yard Act befinden sich gerade auf einer ausgedehnten Welt-Tournee, in unserer Nähe sind sie aber nur am 16.4. (Mascotte Zürich) und am 17.4. (Muffathalle München).