Vedovelli - Flagar - Eberle: „HAEZZ“
Der aus Hohenems stammende Bassist Tobias Vedovelli und der Dornbirner Trompeter Martin Eberle zählen nicht nur zu den vielbeschäftigten Produktivkräften der ungemein regen Wiener Musikszene, sondern weisen längst auch internationales Format auf. Umso spannender ist es natürlich, wenn die beiden ein gemeinsames Trio präsentieren, noch dazu mit einem so exzellenten dritten Mann wie dem aus Tschechien stammenden Saxophonisten und Komponisten Štepán Flagar. Der hochkarätige Dreier und sein Debütalbum, das beim Ö1 Contemporary Label erscheinen wird, nennen sich HAEZZ, was natürlich gleich die erste Frage aufwirft.
Peter Füßl: Was hat es mit HAEZZ auf sich? An die finnische Avantgarde-Metal-Band Haezz-Agathron werdet ihr wohl eher nicht gedacht haben.
Tobias Vedovelli: Auch eine schöne Assoziation, aber tatsächlich nicht. „HAEZZ“ ist eigentlich nur die etwas abstrakte Schreibweise des den Vorarlberger:innen bekannten Wortes „Häß“. Wir haben tatsächlich recht intensiv bei gemeinsamen Proben, Kompositionssessions und – weil wir alle recht gut befreundet sind – bei sonstigem Beisammensein darüber nachgedacht, wie wir uns nennen wollen. Sollten wir einfach unsere Nachnamen verwenden, oder eine inhaltliche Abstraktion unserer Musik in den Namen nehmen? Uns gefiel immer mehr der Gedanke, einen Begriff zu wählen, der phonetisch spannend und gut klingt und vielleicht die eine oder andere Frage aufwirft. Zudem hat man auf der Bühne ja doch immer sein „Schaffarhäß“ an – passt also irgendwie.
Zahlreiche Berührungspunkte
Füßl: Welche musikalischen Berührungspunkte hattet ihr drei bisher?
Vedovelli: Das sind mittlerweile tatsächlich viele. Das erste Mal hatte ich mit Štepán 2021 zu tun, als er in meinem damaligen Quartett bei einem Jazzfestival für Fabian Rucker einsprang. Für mich war extrem schnell klar, dass ich Štepán sowohl menschlich als auch musikalisch auf einer ganz besonderen Ebene schätze und sich daraus viele weitere Zusammenarbeiten ergeben sollten. Martin ist für mich in seiner Rolle als Gründer und Leader des Jazzorchester Vorarlberg seit meinen Jugendtagen jemand, den ich verehre. Ich kann mich erinnern, auf dem Schulweg im Bus das „Introducing“-Album des Jazzorchesters auf dem mp3-Player gehört und geliebt zu haben. Kennengelernt haben wir uns dann tatsächlich erst in Wien, im Ralph Mothwurf Orchestra, über onQ-Zusammenarbeiten und in einigen anderen Konstellationen. Mittlerweile darf ich ja selber Teil des Jazzorchesters Vorarlberg sein und könnte mir wenig Schöneres und Besseres vorstellen, als mit Martin zu arbeiten und befreundet zu sein.
Martin Eberle: Ich habe beide bei onQ und im Ralph Mothwurf Orchester kennen und lieben gelernt. Seitdem kreuzen sich unsere Wege immer wieder in verschiedenen Konstellationen.
„Die sind einfach ein absoluter Wahnsinn“
Füßl: Was schätzt ihr an euren Mitspielern besonders?
Vedovelli: Die beiden sind einfach ein absoluter Wahnsinn. Es gibt kaum einen Saxophonisten, der sein Instrument auf einem derart virtuosen Niveau beherrscht wie Štepán. Zudem gibt es vermutlich ganz wenige Menschen, die Musik so sehr lieben, ein so großes Wissen darüber haben und es derart reflektieren wie er. Martin ist ein Ausnahmeinstrumentalist, wie es ärger gar nicht sein könnte. Kein Trompeter klingt wie er, und er klingt wie kein Trompeter. Und ich meine das im positivsten aller Sinne. Zudem ist er ein unglaublich feinfühliger, tiefsinniger und intelligenter Musiker und Mensch, was jegliche Zusammenarbeit mit ihm extrem bereichernd und wertvoll macht. Für mich persönlich eine Traumkonstellation!
Eberle: Beide sind nicht nur unglaubliche super Instrumentalisten und vielseitige Musiker, sondern auch ganz feine, reflektierte Menschen und gute Freunde. Štepán ist ein Musiker durch und durch, der ständig auf der Suche nach Neuem ist und dabei keine Grenzen kennt. Tobias kann man so gut wie alles an Noten und Ideen vorlegen, und er kann es innerhalb kürzester Zeit umsetzen. Und er spielt mit einer Leichtigkeit Kontrabass und E-Bass, dass einem die Ohren wackeln. Er zaubert mir immer wieder ein Grinsen ins Gesicht, wenn er mal loslegt. Zudem ist er ein wunderbarer Partner, wenn es um organisatorische Aufgaben geht. Ich bin unendlich dankbar, so jemanden wie ihn jetzt auch im JOV-Team zu haben, er hebt das Ganze auf ein neues Level. Was ich aber am meisten an unserer Trio-Konstellation schätze ist, dass trotz aller Virtuosität sich niemand in den Vordergrund drängt und es immer ein gemeinsames musikdienliches Miteinander ist, und dass auch abseits vom Musizieren einander zugehört wird und jeder zu Wort kommt.
Ausgefallene Instrumentierung
Füßl: Weshalb habt ihr dieses unkonventionelle Trio-Format gewählt? Nicht dass ein Drummer fehlen würde, aber wenn Tobias den Rhythmus auf dem Basskorpus klopft, kann’s einem schon einfallen. Und auf die üblichen Harmonieinstrumente verzichtet ihr auch, was wohl bedeutet, dass ihr in vielleicht ungewohntere Rollen schlüpfen müsst.
Vedovelli: Das war nicht von Anfang an ein fixes Vorhaben. Es war klar, dass wir in einer kleineren Besetzung zusammenarbeiten möchten. Es war aber nicht klar, ob wir noch einen Drummer dabeihaben wollen, und falls ja, wer es denn sein sollte. Oder ob noch andere Instrumente dazukommen sollten. Wir haben uns wirklich Zeit gelassen, haben gejammt, sind zusammengesessen, haben diskutiert und schlussendlich dachten wir uns: „Hey, wenn das so klar ist, dass es wir drei sein sollen und unklar, wer sonst, dann machen wir‘s doch einfach als Trio!“ Daran haben wir dann unser Konzept, unsere Kompositionen, Ideen und Arbeitsweisen angepasst.
Füßl: Ich finde die Musik durchwegs sehr schön, exzellent musiziert und – im besten Sinne des Wortes – durchaus seriös. Die Bandfotos wirken aber ausgesprochen witzig, als dürfte man ein Projekt à la Frank Zappa oder Monty Python erwarten. Welche Rolle spielt der Humor, der Spielwitz in diesem Trio?
Vedovelli: Der ist bestimmt vorhanden, bezieht sich aber vielleicht mehr auf uns als Personen und als witzige Idee fürs Band-Foto, und gar nicht so zwingend auf die Musik selber.
Alle komponieren – stilistisch völlig offen
Füßl: Wie sind die Stücke entstanden, und gibt es Unterschiede zwischen euch in der kompositorischen Herangehensweise?
Vedovelli: Es gibt vermutlich wenige Bands, in denen die Aufteilung der Kompositionen so gleichmäßig verteilt ist wie es bei uns gerade der Fall ist. Wir haben teils Fragmente von bestehenden Stücken von uns verwendet, teils ganz neue Dinge eingebracht, die wir dann schlussendlich gemeinsam arrangiert und weiterentwickelt haben. Einerseits im Proberaum, andererseits haben wir uns auch ein paar Tage ins Burgenland zurückgezogen und voll fokussiert an unserer Musik gearbeitet - ohne andere Termine, dafür aber abends mit gutem Wein. Kompositorisch geht sicher jeder von uns dreien völlig anders an die Arbeit heran, was man vermutlich auch hört, aber dennoch gibt es aufgrund unseres musikalischen und menschlichen Konsenses eine Basis, die die Musik dann doch homogen wirken und sinnvoll harmonieren lässt.
Füßl: Lyrisches, aber auch sehr Flottes, beinahe Bebop-Artiges, Geräuschhaftes, Elegisches, folkloristisch Anmutendes, Soul-Jazz-Artiges – beim ersten Anhören fallen einem viele Ingredienzien in diesem wundervollen kammermusikalischen, auf Electronics verzichtenden Musik-Mix auf, der im Wesentlichen auch sehr Groove-orientiert ist. Wie seid ihr stilistisch ausgerichtet, oder ist das prinzipiell offen?
Vedovelli: Es ist tatsächlich völlig offen, wir wollen uns bewusst in keine Einbahnstraße reinbewegen. Wir haben über alle unsere Einflüsse, Projekte, Vergangenheit und künstlerische Gegenwart derart viele unterschiedliche Ansätze und Einflüsse, die nur bereichern können. Ich finde, es wäre schade, all diese Dinge bewusst auszuklammern. Wenn Martin für das Jazzorchester schreibt, mit vergangenen Kompost 3-Ansätzen, parallel dazu mit Soap&Skin an tollen Pop-Produktionen arbeitet und bei den Strottern aktiv ist, wenn Štepán seinen Jazzwurzeln nachgeht, solistisch über Grooves seiner Band Purple is the Color oder des Ralf Mothwurf Orchesters reitet, ein Konzert für ein Symphonieorchester schreibt und gleichzeitig Keith Jarrett analysiert, und wenn ich für ein gemischtes onQ-Ensemble komponiere, gleichzeitig mit Peter Herbert J.S. Bachs Cello-Suiten beackere und jazzy Hip-Hop für Yasmo schreibe, dann kann sich das alles ja gegenseitig nur gut tun.
Projekt HAEZZ genießt Priorität
Füßl: Ihr seid alle drei in zahlreichen Musikprojekten aktiv, welche Bedeutung räumt ihr diesem neuen Trio innerhalb eurer Aktivitäten ein?
Vedovelli: Als freischaffender Künstler im großen Spektrum des Jazz – was auch immer das sein mag – ist man mehr oder weniger gezwungen, in vielen verschiedenen Projekten aktiv zu sein. Das kann Fluch und Segen zugleich sein - ich will das nicht zu negativ darstellen. HAEZZ bedeutet uns allen aber enorm viel. Künstlerisch und organisatorisch steckt da einfach sehr, sehr viel von uns allen drinnen, und wir haben enorm viel Zeit, Ideen und Mühe dafür aufgebracht. Deswegen hat das Projekt für uns alle einen enorm hohen, priorisierten Stellenwert – wenn ich das aus meiner Perspektive so sagen kann.
Eberle: So ist es, und es macht einfach auch großen Spaß, in so einem unkomplizierten Setting von drei akustischen Instrumenten Musik zu machen und neue Sachen auszuprobieren. Das kann man jederzeit und fast überall hinstellen.
Füßl: Wie groß ist das Interesse an HAEZZ?
Vedovelli: Dafür, dass wir das Projekt erst gegründet haben und gerade unser Debüt-Album präsentieren, geht schon enorm viel. Wir haben schon sehr schöne Konzerte gespielt, etwa bei der Winterausgabe des Jazzfestival Saalfelden oder beim Kunst- und Kulturverein Raab in Oberösterreich. Die nächsten Highlights sind der „International Jazzday“ beim Jazzit Salzburg am 30.4. samt Live-Ausstrahlung auf Ö1 und unser Album-Release im Radiokulturhaus Wien am 25.5. Dann spielen wir in der Villa For Forest in Klagenfurt (7.6.) und auf einer ganzen Reihe von internationalen Festivals: Südtirol Jazzfestival Alto Adige (6.7.), Jazz im Hof St. Pölten (23.8.), Jazzfestival Spania Dolina in der Slowakei (24.8.), Jazzfestival Lissone in Italien (14.-21.11.), ČRO Festival in Prag (29.11.) und Kick Jazz im Porgy & Bess in Wien (3./4.12.). Auch beim FAQ Bregenzerwald werden wir dabei sein.
Füßl: Und was steht sonst noch so an?
Vedovelli: Der übliche Wahnsinn: Konzerte mit dem Ensemble Kuhle Wampe, onQ-Projekte – unter anderem mit einem Auftragswerk von Peter Herbert, Stage-Band im Wiener Porgy&Bess mit dem Ralph Mothwurf Orchestra, Album Release des Quartetts um den Saxophonisten Nik Holler, ein spannendes Trio um den Jazzgeiger Paul Dangl, Yasmo und, und, und … Und natürlich nicht zu vergessen: es kommt ein spezielles Jubiläumsjahr für das Jazzorchester Vorarlberg mit unglaublich spannenden und großen Kooperationen und Vorhaben – sowohl als Stage-Band im Porgy&Bess, als auch in Vorarlberg.
Eberle: Derzeit bin ich gerade mit dem András Dés Quartet und dem wunderbaren Debüt-Album „Unimportant Things“ unterwegs. Das Theaterstück „Das Große Heft“ im Odeon Theater in Wien – eine Inszenierung von Jacqueline Kornmüller, für die ich gemeinsam mit Peter Rom und András Dés die Musik geschrieben habe – wird bis Ende des Jahres gespielt. Mit Die Strottern&JazzWerksatt Wien ist gerade ein neues Album am Entstehen, und mit Alex Kranabetter und Andreas Trobollowitsch kommt Anfang Mai ebenfalls eine Platte heraus.
Füßl: Na dann: Toi toi toi!
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Mai 2024 erschienen.