Beeindruckende Gesamtleistung
Unter der Leitung von William Maxfield präsentierten das Chorseminar Liechtenstein, das Sinfonieorchester Liechtenstein und fünf Solisten Werke von Edvard Grieg und Felix Mendelssohn Bartholdy in Götzis und Schaan
Liebhaber:innen klassischer Konzerte hatten es am letzten April-Wochenende nicht leicht. Neben der Eröffnung der diesjährigen Schubertiade in Hohenems mit vier Konzerten gab es noch Carl Orffs „Carmina Burana“ in Dornbirn, den Abschluss der Zyklen Bregenzer Meisterkonzerte und Dornbirn Klassik sowie die Konzerte des Chorseminars Liechtenstein.
Seit über dreissig Jahren kann sich das Publikum auf die jährliche Aufführung eines großen Chorwerkes durch das Chorseminar Liechtenstein freuen. Vom Verdi-Requiem über Haydns Schöpfung bis zu den „Chichester Psalms“ von Leonard Bernstein war schon fast alles dabei. 2024 hat man die interessante Kombination „Peer Gynt“ von Edvard Grieg und Felix Mendelssohn Bartholdys „Die erste Walpurgisnacht“ gewählt. Eine kluge Entscheidung, denn beide Werke sind nicht häufig zu hören und haben für Ausführende und Zuhörer musikalisch viel zu bieten. Das ausverkaufte SAL in Schaan mit seiner ausgezeichneten Akustik bot dazu einen perfekten Rahmen für dieses Programm am späten Sonntagnachmittag.
Norwegisches Nationalepos
Edward Griegs Schauspielmusik zu Henrik Ibsens dramatischem Gedicht „Peer Gynt“ kennt man vor allem durch die beiden von Grieg selbst zusammengestellten Orchestersuiten. In diesen acht Musiknummern sind alle Hits seiner wohl populärsten Komposition enthalten, allerdings in geänderter Chronologie. Es wäre durchaus interessant, einmal Griegs vollständige Musik im Konzert zu hören, die Fassung des Chorseminars Liechtenstein für Sprecher:innen, Solist:innen, Chor und Orchester umfasste aber immerhin fast die Hälfte der insgesamt dreissig Musiknummern. Christian Havel führte als Erzähler wortdeutlich und fesselnd durch die Handlung, nach der Pause übernahm Havel dann die Tenorpartie in Mendelssohns „Walpurgisnacht“. „Peer Gynt“ gilt ja als norwegisches Nationalepos, allerdings erkennt man die Genialität und Bedeutung von Henrik Ibsens Dichtung nicht auf Anhieb. Wahrscheinlich lohnt sich eine intensivere Beschäftigung mit dieser Geschichte, denn viele große Regisseure wie Peter Stein, Peter Zadek oder Simon Stone und Schauspieler wie Helmuth Lohner, Ulrich Mühe und Lars Eidinger haben sich mit diesem Stoff auseinandergesetzt. Gefordert waren im ersten Konzertteil vor allem das Orchester und die Solist:innen, der Chor konnte Kräfte sparen für das chorintensive Werk von Felix Mendelssohn.
Historischer Halloween
In eine gänzlich andere Welt wurde das Publikum nach der Pause versetzt. Johann Wolfgang von Goethes Ballade „Die erste Walpurgisnacht" beschreibt ein mittelalterliches heidnisches Frühlingsritual, das allerdings von den „dumpfen Pfaffenchristen“ strengstens verboten und unter Androhung von drakonischen Strafen verfolgt wurde. Felix Mendelssohn Bartholdy war für die Vertonung dieses Hexensabbats genau der richtige, der Komponist des „Sommernachtstraums“ hatte ein besonderes Faible für derartige Stoffe. Goethe hat die Aufführung von Mendelssohns Meisterwerk nicht mehr erlebt, da der Komponist vom ersten Entwurf bis zur endgültigen Fassung insgesamt 14 Jahre daran gearbeitet hat.
Die Musik erinnert stark an Mendelssohns Zweite Symphonie „Lobgesang“ aber auch an sein Oratorium „Paulus“ und enthält ebenso wie diese beiden Werke reizvolle Aufgaben für Orchester, Chor und Solist:innen. Die Wiedergabe durch die Liechtensteiner Ensembles bewegte sich auf sehr hohem Niveau. Die einleitende Ouvertüre hätte vielleicht etwas mehr Schwung und Tempo vertragen, dann aber liefen alle Mitwirkenden zu grosßer Form auf und boten eine spannende und klangschöne Interpretation von Mendelssohns genialer Musik.
Jugendlicher Chorklang
Die Mitglieder des Chorseminars Liechtenstein sind – wie bei allen derartigen Ensembles - zum Großteil der zweiten Lebenshälfte zuzurechnen. Umso überraschender wirkt daher der erfrischend junge Sound dieses Chores und seine klangliche Durchschlagskraft. Vor allem im Werk Mendelssohns überzeugen die Sängerinnen und Sänger durch ihr jugendliches Timbre, ihre Klangbalance und einen wunderbar runden Chorklang. Auch die kleinen Sprechrollen in Griegs „Peer Gynt“ wurden durch mehrere Chormitglieder tadellos gemeistert. Ein Sonderlob gebührt dem Sinfonieorchester Liechtenstein, das die beiden anspruchsvollen Partituren brillant umsetzte und in allen Instrumentengruppen hervorragend besetzt war. Der homogene Orchesterklang trug einen großen Teil zum Erfolg dieses Konzertes bei. Unter den fünf Solisten besonders hervorzuheben sind die Sopranistin Jardena Flückiger als hochmusikalische und berührende Solveig in „Peer Gynt“, Christian Havel in seiner Doppelrolle als souveräner Erzähler im ersten Teil und als Tenor bei Mendelssohn und der stimmlich und schauspielerisch herausragende holländische Bass Huub Claessens in der Rolle als Peer Gynt in seinen verschiedenen Altersstufen. Aber auch Martina Gmeinder (Alt) und Clemens Morgenthaler (Bariton) boten durchaus überzeugende Leistungen.
Eine grundsätzliche Anmerkung zu Musikerbiographien: Anstatt kurz und knapp darüber zu informieren, wann und wo die Künstler:innen geboren sind, wo sie studiert haben, wie die Lehrer:innen heißen, dazu eine Auflistung der wichtigsten Eckpunkte ihrer Karriere, wird von Veranstalter:innen immer öfter eine Art Selbstbeweihräucherung, meist verfasst von Künstleragenturen, unredigiert abgedruckt. Im aktuellen Programmheft wird zwar Christian Havel als Erzähler in „Peer Gynt“ mit keinem Wort erwähnt, über die Altistin Martina Gmeinder lesen wir aber folgendes: „Die Mezzosopranistin Martina Gmeinder berührt mit ihrem warmen, klangvollen, in allen Lagen ausgeglichenen Timbre Menschen im Tiefsten. Ihre Interpretationen sind geprägt von großer Musikalität und Ausstrahlung.“ Hallo? Sollten das die Zuhörer:innen nicht selbst entscheiden, ob sie tatsächlich „im Tiefsten“ berührt werden? Dringend notwendig wäre hingegen eine Aktualisierung dieser Bio, denn der Leiter des BR-Chores in München ist bereits seit zwei Jahren nicht mehr Howard Arman sondern Peter Dijkstra.
Alles im Griff
Einer hatte den Überblick über die zahlreichen Musiker:innen auf der Bühne des SAL: William Maxfield, der Dirigent dieses Abends und Leiter des Chorseminars Liechtenstein hat den musikalischen Riesenapparat gut im Griff. Der gebürtige Kalifornier, der seit über 25 Jahren in Liechtenstein lebt, navigierte die Mitwirkenden souverän durch die beiden anspruchsvollen Partituren, auch ein kleiner Texthänger des Peer Gynt konnte ihn nicht aus der Ruhe bringen. In guter alter Kapellmeistertradition hält er Chor, Orchester und Solisten zusammen, seine klare Schlagtechnik vermittelt rhythmische Präzision, gibt musikalische Impulse und führt den Chor zu Höchstleistungen. Am Schluss gab es zurecht viel Applaus für eine beeindruckende Leistung aller Beteiligten.