Detail aus dem 250 Meter langen Band „Das Geheimnis unter Dir“ von Lorenz Helfer in der Bregenzer Oberstadt (Foto: Karlheinz Pichler)
Peter Füssl · 30. Jän 2025 · CD-Tipp

Thomas Strønen / Craig Taborn / Chris Potter / Sinikka Langeland / Jorge Rossy: Relations

Den norwegischen Schlagzeuger Thomas Strønen und das renommierte Münchner Label ECM verbindet eine 20-jährige Geschichte und eine Reihe exzellenter Produktionen: etwa die gemeinsam mit dem britischen Saxophonisten Iain Ballamy und der Formation Food, oder jene mit einem aus Ballamy, dem Trompeter Nils Petter Molvaer und dem Gitarristen Christian Fennesz bestehenden Quartett. Auf den beiden Alben „Time Is a Blind Guide“ oder „Lucus“ fungierte Strønen als Bandleader, und auf dem grandiosen Album „Words Unspoken“ komplettierte er John Surmans Trio mit dem Gitarristen Rob Luft. Kein Wunder also, dass ihm ECM-Gründer und Mastermind Manfred Eicher im August 2018 nach dem frühzeitigen Abschluss der Trio-Aufnahmen mit der Pianistin Ayumi Tanaka und der Klarinettistin/Vokalistin Marthe Lea für das Album „Bayou“ (das dann allerdings erst 2021 erscheinen sollte) anbot, die verbliebene Studiozeit im Auditorio Stelio Molo RSI in Lugano für die Einspielung von Solo-Aufnahmen zu nützen.

Strønen kam diesem Vorschlag – von der einzigartigen Akustik des Raumes gleichermaßen beeindruckt wie begeistert – gerne nach und erweiterte sein Drum-Set mit einigen Schlaginstrumenten des an diesem Ort beheimateten Orchestra della Svizzera Italiana. Die Aufnahmen blieben dann allerdings bis zum Höhepunkt der Pandemie-Zeit 2020, als kaum mehr direkte Kooperationen, Proben oder Auftritte möglich waren, in der Schublade. Strønens Idee, die Percussion-Parts samt Dialog-Angebot zu verschicken, präzisierte Eicher dahingehend, dass es sich um Musiker:innen handeln sollte, mit denen der Norweger bislang noch nicht zusammengespielt hatte. Das Album beginnt nun mit dem meditativen Solo-Stück „Confronting Silence“, in dem Strønen eindrücklich die Wirkmacht der Stille und der Pausen zwischen flirrenden Gongs, vibrierenden Becken und tiefem Trommeldonner zu Gehör bringt – auch seine zweite Solo-Performance „Arc of Drums“ liegt auf dieser Schiene. Seinen musikalischen Partnern hatte er jeweils mehrere Sound-Files geschickt, aus denen sie auswählen konnten, wobei sich deren Vorgangsweise sehr unterschiedlich gestaltete. Der vielbeschäftigte Tastenstar Craig Taborn hörte sich die Perkussions-Vorgaben gar nicht erst lange an, sondern nahm quasi beim ersten Anhören die Stimmung spontan auf und schüttelte höchst kreativ seine pianistischen Einwürfe aus dem Ärmel – in „Pentagonal Garden“ vorsichtig tastend, in „The Axiom of Equality“ mit viel Gespür für freifließende Dramatik. Die norwegische Kantele-Virtuosin, Sängerin und Musikwissenschafterin Sinikka Langeland, auf deren exzellentem Quintett-Album „Wind and Sun“ (2023) Strønen mittlerweile zu hören war, hat hingegen die zugesandten Perkussion-Files genauestens studiert, ehe sie der traditionellen nordischen Kastenzither ihre magisch-feinsinnigen Töne entlockte, einen unter die Haut gehenden Klagegesang anstimmte und schließlich mit zeitgenössisch anmutenden, elektrisierenden Klängen auf der Kantele abschloss. Die drei direkt aneinander gereihten Passagen machen als akustisches Triptychon das Zentrum des Albums aus, während die Beiträge der anderen Musiker niemals direkt nacheinander platziert sind. Chris Potter siedelte sein kraftvoll-expressives Tenor-Sax auf „Weaving Loom“ tief in der amerikanischen Jazz-Geschichte an, während er sein Sopran-Sax in „Ephemeral“ in mit östlichem Flair aufgeladener Ekstase schwelgen ließ. Der spanische Multiinstrumentalist Jorge Rossy, der auf seinen bisherigen ECM-Produktionen als Vibraphonist und Drummer in Erscheinung getreten ist, retournierte zuerst seine Einlassungen auf diesen Instrumenten an Strønen. Der fand, es gebe ohnehin schon zu viele Beats, woraufhin Rossy auf dem Piano zaghaft Verträumtes („Nonduality“), durch außergewöhnlich lange Pausen – diese auffallende Vorliebe teilt er mit seinem norwegischen Partner – aufgeladene Dramatik („Ishi“) und eher Besinnliches („KMJ“) lieferte. Thomas Strønen und Manfred Eicher haben die zwölf zwischen knapp zwei und gut vier Minuten langen Stücke schließlich in einer perfekten Reihenfolge angeordnet, was sie wie aus einem Guss wirken lässt und ein höchst abwechslungsreiches Hörvergnügen garantiert.

(ECM/Universal)

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Februar 2025 erschienen.