Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Dagmar Ullmann-Bautz · 18. Aug 2011 · Theater

Wissenschaftliches Experiment oder künstlerische Auseinandersetzung – das Deutsche Theater Berlin im Theater am Kornmarkt Bregenz

Im Rahmen der Bregenzer Festspiele gastierte das Deutsche Theater Berlin nach „Die Kinder Gottes“ mit einer zweiten Produktion im Theater am Kornmarkt, Roland Schimmelpfennigs Stück „Peggy Picket sieht das Gesicht Gottes“. Der österreichische Regiestar Martin Kusej inszenierte ein höchst eindrückliches Spiel.

Liz und Frank haben ihre Freunde und Kollegen Carol und Martin sechs Jahre nicht mehr gesehen. Die besten Jahre ihres Lebens, zwischen 35 und 41, nutzte Frank um sich beruflich als Arzt zu etablieren, ein Haus mit Garage zu bauen und gemeinsam mit Liz eine Familie mit Kind, eine gutbürgerliche, wohlsituierte Existenz aufzubauen. Carol und Martin hingegen stehen mit Nichts da – sie haben die sechs Jahre in Afrika verbracht, haben ihr Können und Wissen eingesetzt, um zu helfen. Wer hat es besser gemacht? Wem geht es besser? Um diese Fragen kreist der Abend, an dem sie sich treffen – und sie werden nicht beantwortet.

Roland Schimmelpfennig hat gleichzeitig ein Stück über das Verhältnis zwischen der westlichen Welt und dem afrikanischen Kontinent, über Sinnhaftigkeit von Entwicklungshilfe und ein Stück über die Lebensfragen von Menschen, Paaren um die 40 geschrieben. Ein Stück, das mit sehr knappen Sätzen, mit Fragmenten, Wiederholungen und Kommentaren auskommt. Schimmelpfennigs Kunst liegt in der Tatsache, dass jedem seiner Sätze eine unsagbare Poesie innewohnt und gleichzeitig eine beklemmende Potenz. Dass er sich mit „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“ auf zwei große Themen einlässt, ist wissenschaftlich gesehen eine Fehlentscheidung, denn zwei Versuchsreihen gleichzeitig mit denselben Probanden im selben Labor laufen zu lassen, ergibt keine auswertbaren Ergebnisse. Künstlerisch gesehen ist es dann eine großartige Sache, wenn die Probanden glänzende Schauspieler sind und die Regie außergewöhnliches Talent beweist.

Hervorragender Regisseur, großartige SchauspielerInnen

Regisseur Martin Kusej hat die Herausforderung des Autors angenommen und gewonnen. Ohne jegliche Möbel oder Requisiten, bis auf zwei Puppen, in einer mit grellem Licht ausgestatteten weißen Box (Bühne: Annette Murschetz) agieren die Schauspieler wie zu beobachtende Versuchspersonen in einem Labor. Jeder Satz, jede Geste, winzig klein oder ausladend groß, ist haargenau gesetzt, auf den Punkt gebracht. Fasziniert beobachtet und verfolgt man die Gefühlsregungen der vier Probanden, begleitet sie auf ihrer Reise durch innere und äußere Welten. Der Zuschauer wird zum Wissenschaftler, der observiert und eigene Theorien entwickeln soll/kann/muss.

Maren Eggert als Liz besticht mit einer unglaublichen Bühnenpräsenz und einer riesigen Ausdruckskraft. Ohne große Gebärden kehrt sie das Innerste nach außen, ihre Blicke schleudern Ungesagtes in den Raum. Carol, die Freundin und auch Konkurrentin, wird von Sophie von Kessel gespielt, mit einer großartig gepflegten Distanz. Es sind die spannendsten Momente des kurzweiligen Theaterabends, wenn sich diese beiden Schauspielerinnen direkt gegenüber stehen. Ohrfeigen, nicht nur verbale, teilen sie aus und stecken sie ein. Neben dieser geballten weiblichen Kraft treten die beiden männlichen Partner trotz glänzender schauspielerischer Leistung etwas in den Hintergrund. Ulrich Matthes (Frank) und Norman Hacker (Martin) geben in diesem Spiel nicht den Ton an, unterstützen es aber auf beeindruckende Art und Weise.

Am Schluss stehen alle vier vor einem riesigen Haufen Müll und keiner hat etwas falsch gemacht!