Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Dagmar Ullmann-Bautz · 25. Mär 2011 · Theater

Wenn Einsamkeit unter die Haut kriecht – Tennessee Williams´ „Vieux Carré“ gespielt vom Projekttheater im Alten Hallenbad in Feldkirch

Wir kennen sie doch schon – die extremen, die skurrilen Figuren der Regisseurin Susanne Lietzow. Und dennoch überrascht sie uns immer wieder - mit ihrem Ideenreichtum, ihrer ganz eigenen Art einen Text umzusetzen, zu interpretieren und mit ihrer ausgeprägten Figurensprache.

Gestern feierte das neueste Stück des Projekttheaters im Feldkircher Hallenbad Premiere. Susanne Lietzow inszenierte die österreichische Erstaufführung von Tennessee Williams` „Vieux Carré“. Ein Stück des schon älteren Tennessee Williams über seine, über die ersten, die noch unsicheren Schritte des jungen Williams, frisch aus der Provinz gekommen in die Stadt New Orleans. Es erzählt von seinen Begegnungen in der morbiden, desolaten Pension, in der er haust, mit ebenso morbiden und desolaten Menschen, vom Erwachen und Entdecken seiner Homosexualität.

Voyeuristischer Blick in die hintersten Winkel

Vieux Carré bezeichnet das alte französische Viertel von New Orleans, wo Mrs. Wire (hervorragend Martina Spitzer) mit strenger, fast gewalttätiger Hand diese unsägliche Pension führt, in der sie jede Bewegung eines jeden ihrer Bewohner mit Argusaugen verfolgt. Und obwohl hier acht Menschen zusammen unter einem Dach leben, leiden sie alle unter größter Einsamkeit, sind krank vor Einsamkeit, sterben an Einsamkeit.
Die Bühne von Marie Luise Lichtenthal, bestehend aus verschiedenen Ebenen, mit Treppen und Podesten, gleicht einem Abbruchhaus in dem noch ein paar Penner ihre letzten Stunden verbringen – überall Müll und Dreck, Qualm und Rauch. Voyeuristisch blickt der Zuschauer in den hintersten Winkel dieser Behausung, beobachtet die Menschen bei ihrem Kampf ums Überleben, bei ihrer qualvollen Sehnsucht nach ein bisschen Nähe, nach sexueller Erfüllung, oder ganz einfach nur nach Essen.  Und spätestens wenn Mrs. Wire über die Hörbarkeit der Einsamkeit sinniert, wird diese auch für den Zuschauer spürbar, kriecht sie ihm förmlich unter die Haut. Der sehnsüchtige Song „Somewhere“ aus „West Side Story“  verdeutlicht und akzentuiert am Schluss des Stückes nochmals die gesamte Tragweite der Ausweglosigkeit der Situation.

Bermerkenswerte Leistungen aller Schauspieler

Allein der Figur des Autors (authentisch Rafael Schuchter) gelingt, dank seiner Jugendlichkeit und seiner noch  physischen und psychischen Gesundheit, der Absprung aus dieser Hoffnungslosigkeit. Der homosexuelle Maler Nightingale (wunderbar Peter Badstübner) leidet schwer an Tuberkulose und ständiger Geilheit. Die alten Mädchen Mary Maude und Miss Carrie (herrlich Maria Hofstätter und Sybil Urban) kurz vor dem Verhungern, kratzen den Dreck von Wänden und flüchten  in kulinarische Träume. Die unheilbar kranke New Yorkerin Jane Sparks (eindrucksvoll Sandra Bra) hängt sich an den drogensüchtigen und gewalttätigen Stripper Tye MC Cool (sehr gut Markus Heinicke), der ihr nichts zu geben vermag außer ein bisschen Sex.  Und dann ist da noch die beeindruckende Mammy, die dicke schwarze Frau, die den Hungernden die Brust gibt, sich der einsamen Mrs. Wire  zur Seite legt, aber ansonsten der Tristesse hilflos ausgeliefert ist.

Eindrucksvolle Studie

„Vieux Carré“ ist im Gegensatz zu anderen Texten von Tennessee Williams kein großer literarischer Wurf. Dem Projekttheater aber ist es gelungen eine wirklich eindrucksvolle Studie über sexuelles Verlangen und Einsamkeit, über Armut und Abhängigkeit zu entwickeln, angereichert mit der richtigen Dosis Humor und der atmosphärisch verdichtenden Musik von und mit Martin Zrost.
Das interessierte Publikum bedankte sich mit großer Begeisterung.