Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Walter Gasperi · 25. Mär 2011 · Film

Das Schmuckstück

In François Ozons 1977 spielender Verfilmung eines Theaterstücks von Pierre Barillet und Jean-Claude Grédy entwickelt sich Catherine Deneuve von der duldsamen Hausfrau zur Powerfrau, die in Wirtschaft und Politik mitzumischen beginnt. Rasante Dialoge, der souveräne Mix aus Boulevardkomödie und raffiniertem ironischem Spiel mit diesem Genre, sowie aktuelle Anspielungen und ein befreit aufspielendes Ensemble sorgen für ebenso leichte wie hintersinnige Unterhaltung.

Knallorange Vorspanntitel geben den Ton an: In den poppig-bunten Farben der 70er Jahre ist Ozons 13. Film gehalten und grell überzeichnet geht es auch auf der Handlungsebene zu. Da joggt sogleich Catherine Deneuve als Madame Pujol in rotem Trainingsanzug durch den Wald, grüßt Reh und Rabe, sieht amüsiert kopulierenden Hasen zu und notiert beim Anblick eines Eichhörnchens ein kurzes Gedicht in ihren Schreibblock.
Zu Hause hat Madame freilich nicht viel zu melden, denn hier gibt der cholerische Monsieur Pujol (Fabrice Luchini) den Ton an. Die Gattin soll sich doch um den Garten und die erwachsenen Kinder kümmern, soll Fernsehen, aber sonst den Mund halten. Dass sie einst die Regenschirmfirma als Mitgift in die Ehe gebracht hat, ignoriert Monsieur wohlweislich. Er kann seine Frau nur als Potiche, als dekorative Vase ohne Funktion, gut brauchen, vergnügt sich ansonsten aber lieber mit der Sekretärin (Karin Viard) oder mit Geschäftsfreunden im Bordell Badaboum.

Madame ist der bessere Chef

Madame nimmt das alles geduldig hin, kümmert sich auch noch fürsorglich darum, dass Monsieur nicht auf die Einnahme seiner Herztropfen vergisst. Der überspannt in der Firma den Bogen aber zunehmend, provoziert mit seinem harten Führungsstil bald einen Streik der Arbeiter, die den Chef sogar gefangen nehmen. Ein Vermittlungsversuch von Sohn Laurent (Jérémie Renier) scheitert mehr am cholerischen Vater als an den Arbeitern, und so muss Madame eingreifen, die dafür den schwergewichtigen kommunistischen Bürgermeister Babin (Gérard Depardieu) einspannt. Immerhin hatte die Fabrikantentochter in jungen Jahren eine kurze Affäre mit dem damals attraktiven Lastwagenfahrer.
Babin kann den Arbeitskonflikt gegen gewisse Zugeständnisse schlichten, doch Monsieur Pujol erleidet über die dramatischen Ereignisse einen Herzanfall und Madame muss während seiner Rekonvaleszenz die Firma übernehmen. Unterstützt wird sie dabei von ihrer konservativen Tochter Joëlle (Judith Godrèche) und dem liberalen Sohn, gewinnt die Arbeiter mit offenem Führungsstil für sich und bringt die Firma auf Vordermann. Gefallen findet Madame an der neuen Aufgabe, doch als Monsieur von der Kur zurückkehrt, möchte er das Ruder wieder an sich reißen.

70er Jahre Look und aktuelle Anspielungen

„Das Schmuckstück“ ist zunächst einmal eine rasante Boulevardkomödie mit einer lustvoll auf- und auch hemmungslos überspielenden Darstellerriege. Da erzählt Ozon schwungvoll vom Aufbruch der 70er Jahre, von der Befreiung der Frau, und am Rande schließlich auch von einem offeneren Umgang mit Homosexualität, spielt unübersehbar aber auch auf die Gegenwart an. Denn gezielt setzt er Spitzen gegen Neoliberalismus mit Produktionsverlagerung in Billiglohnländer, spielt in wörtlich übernommenen Zitaten von Nicolas Sarkozy auf die aktuellen politischen Verhältnisse in Frankreich und in der letzten Wandlung von Madame auf die Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal an.
Gleichzeitig spielt dieser Eklektiker in der Ausreizung der Muster der Boulevardkomödie auch souverän mit dem Genre. Denn nicht nur bei Figuren und Schauspiel wird hier überzogen, sondern auch bei Ausstattung, Kostümen und Handlung. Lockenwickler, Haarnetz und Frisuren, hellblaue Küchenschürze und Schlaghosen, gelbe Blümchentapeten und Disco-Licht dienen hier kaum dazu um atmosphärisch dicht 70er Jahre Stimmung zu evozieren, sondern vielmehr um ironisch diese Zeit zu zitieren und auszustellen. Wenn hier der rote Trainingsanzug von Madame in der Mitte des Films durch einen blauen und am Ende durch ein strahlend weißes Kleid abgelöst wird, dann ist das eben auch ein dezentes Spiel mit den französischen Nationalfarben.

Bühne für Catherine Deneuve

Und auch die Emanzipations- und die Arbeitskampfgeschichte werden mit Leichtigkeit vorgetragen, haben ernsten Boden, wenn beispielsweise 13. Gehalt, 40-Stunden-Woche und fünfte Urlaubswoche gefordert werden, sind aber aus der zeitlichen Distanz heraus mit einem hohen Maß an Ironie versetzt. Karikaturistisch angelegt sind nicht nur der tyrannische Firmenchef und der zu Sentimentalität neigende Kommunist Babin, der für gefühlig-melodramatische Momente sorgt, sondern auch die erzkonservative Tochter und der liberale Sohn. Nur die von Deneuve gespielte Madame ist eine Strahlefrau, die in der Jugend aber keinesfalls so brav war, wie sie sich nach außen gibt.
Als große Hommage an diese Grande Dame des französischen Kinos hat Ozon „Das Schmückstück“ angelegt, erweist aber auch zahlreichen anderen Vorbildern seine Reverenz. Da kann und soll man in Fabrice Luchinis stets tobendem Chef eine Liebeserklärung an die Rollen von Louis de Funès sehen, die konservative Tochter, die die sich befreiende Mutter einschränken will, erinnert an Ozons großes Vorbild Douglas Sirk und im speziellen an dessen „All That Heaven Allows“ und in der Regenschirmfabrik kann man natürlich einen Verweis auf Jacques Demys „Les parapluies de Cherbourg“, in dem ebenfalls die Deneuve die Hauptrolle spielte, sehen. Und auch sich selbst scheint Ozon zu zitieren, denn wenn sich Monsieur Pujol ans einstige Eheglück an einem romantischen Meeresstrand erinnert, ähneln die Bilder frappant der Schlussszene von „5 x 2“.