Anna Hints‘ preisgekrönter Dokumentarfilm „Smoke Sauna Sisterhood“ ist derzeit in den Vorarlberger Kinos zu sehen.
Peter Niedermair · 16. Okt 2019 · Theater

Was für eine Aufführung! Phönix Theater Linz mit „Else (ohne Fräulein)“ von Thomas Arzt nach Arthur Schnitzler – Gastspiel im Theater KOSMOS

Im Rahmen der Theaterallianz sechs freier österreichischer Theaterhäuser gastiert nach der gestrigen Premiere und noch heute Abend, 16. Oktober 2019, das Theater Phönix Linz mit „Else (ohne Fräulein)“ des Dramatikers Thomas Arzt. In Schnitzlers innerem Monolog von 1924 begehrt die 15-jährige Protagonistin Else gegen die Autoritätsverhältnisse. Thomas Arzt modernisiert die Novelle über Macht und Verführung, Entblößung und Scham nach bald 100 Jahren und bricht mit der klassischen Version. Er teilt den Charakter der jungen Else, die in einem permanenten Dilemma steckt, auf drei Frauen auf, die in der modernen Version in ihrer Entscheidung hin und her gerissen ist und entscheiden muss, ob sie auf das unmoralische Angebot eines alten Mannes eingeht, um ihrem in finanziellen Nöten steckenden Vater zu helfen. Wir erleben drei Else-Schauspielerinnen, die ständig aneinander verzweifeln und in einem Textteppich miteinander und gegeneinander anrennen. Henriette Heine gibt die frühreife, zornige und couragierte Else, Maria Lisa Huber repräsentiert Elses nach Anerkennung strebende, schüchterne, angepasste Seite, und Soffi Schweighofer zeigt die Ängste und Zweifel in diesem jungen Mädchen.

Die Macht der Männer

Gleich zu Beginn, auf den ersten Blick, sehen wir drei einzelne, beengte, an der Vorderseite verglaste Kuben, spartanische Zimmer, die Michaela Mandel für die dreifach aufgeteilte Else und das von Florian Pilz inszenierte Kammerspiel aufgebaut hat. Dort drinnen und auf den Stufen davor wickeln die drei großartig agierenden Schauspielerinnen in knappen 75 Minuten ein fulminantes, überraschend humorvolles und mit situativer Komik gewürztes Schauspiel ab. Da gibt es keine Verschnaufpause und keinen Gedanken, auf dem man sich ausruhen könnte. Das Tempo ist enorm, der Staub auf Schnitzlers kunstvollem Monolog wird weggeblasen und lässt in unterschiedlichen Anspielungen auf heute relevante und aktuelle Diskursthemen im Panorama gesellschaftlicher Debatten wie an einer Kette aufgefädelt durch die Finger perlen. Im Hier und Heute zeichnet der Autor das wie vor 100 Jahren existierende Sittenbild der Gesellschaft nach. Verstärkt um die Allmacht der angeblich sozialen Medien werden Herrschaftsverhältnisse und Autoritätspositionen, der Mann definiert, nimmt und bedient sich, auf der Bühne ausgebreitet. Die 15-jährige Else ist an italienischen Gestaden allein auf Urlaub und begegnet dort einem Mann – in ihrer fantasievollen Vorstellung der Richter im Prozess gegen ihren Vater, der eine Stange Geld verspekuliert hat. Dieser Richter verlangt von Else, sie einmal nackt zu sehen. Sie begeht den verhängnisvollen Fehler und tut es. Das Mädchen zwischen Selbstzweifel und Naivität, Selbstsicherheit und Scham steuert am Ende auf jene Oberflächenspannung zu, die nachlässt, bis sie untergeht. So zumindest ist ihr Handeln als Verzweiflungstat angedeutet.

Fulminante Auferstehung des „Fräulein Else“ von Arthur Schnitzler

Wir Zuschauer wissen nie ganz genau, wie wir dran sind, ist es ein Spiel der Gedanken, ein innerer Monolog, pubertäre Phantasie, Begehren zwischen Angezogen- und Abgestoßen-Sein … wer schon vermöchte im Geäst des Textes Linien zu ziehen, abzugrenzen, zu begreifen, was wohin gehört und wie und woran Else letzten Endes zerbricht. Dieses Ins-Andere-Fallen bleibt offen, Elses individuelle Fröhlichkeit, ihre persönliche Tiefe, der Zwiespalt zwischen Scham und angedeuteten exhibitionistischen Fantasien zerreiben sich am imaginierten Erwin, Gregor und dem Mann mit dem nackten Oberkörper. Der Vater, indirekt ebenfalls Repräsentant männlicher Macht, bleibt in seiner Väterlichkeit schwach. Der Richter lädt Else endlich zu einer Bootsfahrt ein, wo auch sein Begehren verortet ist. Er will Else nackt sehen. Deren Nacktheit, so der anspielende Einblick in dem Text von Thomas Arzt, wird folglich über das Internet vermillionenfacht. Wie in den allermeisten Missbrauchsereignissen geht es auch hier nicht um sexuelle Lust, sondern um Macht. Der ursprünglich angelegte Gefallen an einem kleinen Sommerflirt ist Else vergangen. Das kindhafte Mädchen zwischen Cafeteria und Swimmingpool beim Hotel verstrickt sich in diese verhängnisvolle Bekanntschaft. Autor und Regisseur verlegen den – wie ich finde – nach wie vor faszinierenden – Schnitzler-Text von „Fräulein Else“ in die Gegenwart und verwandeln ihn in eine „Else (ohne Fräulein)“. Diese Auferstehung gelingt fulminant. Das Publikum genoss am ersten Abend des Gastspiels Schauspielkunst vom Allerfeinsten. Wunderbares Theater, das man nicht versäumen sollte.

Phönix Theater Linz zur Theaterallianz

Interessant und erwähnenswert finde ich das Mission-Statement des Linzer Phönix Theaters zur österreichischen Theaterallianz: „Das Theater Phönix möchte betonen, dass die Theaterallianz auch aus einer kulturpolitischen Notwendigkeit gegründet wurde. In Zeiten der allgemeinen ,Sparkultur‘ in Sachen Kulturförderung steht die Theaterallianz für eine Verbesserung der künstlerischen Möglichkeiten und Ressourcen. Eine vielfältige Kulturlandschaft prägt die Bildung, die Umgangs- und Verhaltensformen, die Sozialintelligenz und die Geisteshaltung einer ganzen Gesellschaft.”

Weitere Vorstellung:
Phönix Theater Linz: „Fräulein (ohne Else)“ von Thomas Arzt nach Arthur Schnitzler
Mi, 16.10., 20 Uhr
Theater KOSMOS, Bregenz

Für weitere Gastspiele im Rahmen der Theaterallianz siehe www.theaterkosmos.at