„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Gunnar Landsgesell · 16. Okt 2019 · Film

Gelobt sei Gott

Der Missbrauchsskandal von Lyon erschütterte die Kirche dann doch. Welchen leidvollen Weg die Opfer dafür gehen mussten, um die eigene Scham zu überwinden und das Schweigen der Kirchenleute aufzubrechen, zeichnet François Ozon in nüchternem Tonfall ohne moralische Wertung nach.

Wenn der Kardinal in François Ozons jüngstem Drama meint, „Beten wir für die jungen Leute, die am Samstag gefirmt werden“, dann hat das eine geradezu bedrohliche Note. Schnörkellos steigt Ozon in die Handlung ein, in der Alexandre (Melvil Poupaud), ein fünffacher Familienvater, sich an den sexuellen Missbrauch durch einen Kirchenmann erinnert. Der Täter, Pater Preynat (Bernard Verley), der zur Überraschung Alexandres noch lebt, leugnet bei einem Treffen seine Handlungen nicht. Allerdings sieht er das größte Leiden bei sich selbst. Da der Pater zu keiner Entschuldigung bereit ist, macht sich Alexandre, selbst ein Gläubiger, auf die Suche nach anderen Missbrauchsopfern und stößt schließlich bis zu Kardinal Barbarin (François Marthouret) vor, an dessen geschickter Taktik er vorerst scheitert.

Formal nüchterne Erzählung

Mit „Gelobt sei Gott“ nimmt sich das Regie-Chamäleon Ozon (nach dem Erotikthriller „Der andere Liebhaber“ und dem an Lubitsch geschultem „Frantz“) den Missbrauchsskandal der katholischen Kirche von Lyon vor. Ausgesprochen nüchtern, fast im Stil des strengen Formalisten Bresson, folgt Ozon den Dynamiken solcher Fälle, wie sie auch aus den Medien bekannt sind. Scham und Ohnmachtsgefühle treffen auf einen Kirchenapparat, der im Film visuell seine Macht ausdrückt: durch mächtige Kirchenschiffe, durch Ölgemälde mit blutrotgewandeten Kirchenfürsten, durch holzgetäfelte Interieurs, in denen jeder kritische Ton augenblicklich erstickt wird. Dabei erscheint die Kirche zu Beginn kooperativ: Eine Psychologin vermittelt zwischen dem pädophilen Priester und Alexandre ein Treffen. Dass sie am Gesprächsende die Hände beider ergreift, um einen Kreis zu bilden, erscheint bereits dubios. Ihre Bemerkung „Die Wunde wird mit Gottes Hilfe heilen, wenn wir nicht kratzen“ outet sie hingegen endgültig als willfährige Gehilfin der Kirchenfürsten selbst. Ozon spitzt das Geschehen aber nicht zu, verweigert sich (fast) jeder Emotionalisierung und moralischen Bewertung und reicht nach seinem ersten, etwas ratlosen Protagonisten das Staffelholz weiter an einen gewissen François Debord (Denis Menochet), ebenfalls Missbrauchsopfer, zudem Atheist, der mit großer Entschlossenheit die Bemühungen um Aufklärung mithilfe der Polizei vorantreibt. Der Film setzt dabei mehrfach auf eine geniale Montage, die ein perfides Spiel der Schuldumkehr andeutet: So sind Jugendliche zu sehen, die während der Firmung in der Kirche knien. Der Pfarrer erklärt ihnen, sie seien bei ihrer Taufe von der Sünde befreit worden. Es ist just jener Kirchenmann, der die sündhafte Kirche vertritt. Noch, zumindest im Film, hält sie das Monopol darauf zu bestimmen, wer schuldig ist und wer davon befreit wird. Ähnlich wirken auch jene Szenen, denen Ozon mehrmals Raum gibt: Wenn Opfer wie Alexandre oder François den Missbrauch ganz konkret schildern, wirkt das so, als ob die Geschädigten Bekenntnisse abliefern müssen, weil die Täter selbst lieber schweigen. „Gelobt sei Gott“ zeichnet ohne falsche Ressentiments in einem intrinsischem Drama nach, wie schwierig es ist, gegenüber einem mächtigen System wie der Kirche Gerechtigkeit einzufordern.