Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Annette Raschner · 23. Mär 2019 · Theater

Vom Verlust innerer Farben

Die freie Kompanie walktanztheater.com ist bekannt dafür, anspruchsvolle Themen aufzugreifen und dafür vielschichtige Umsetzungen zu finden. In Koproduktion mit dem westbahntheater Innsbruck, der tanzschmiede/fucinadanza meran und dem panorama dance theater wurde ein interdisziplinäres Theaterprojekt zum Thema Depression entwickelt. Es basiert auf dem Sprechtheaterstück "Schatten" von Brigitte Knapp. Die Uraufführung im Alten Hallenbad in Feldkirch mit vier SchauspielerInnen und zwei TänzerInnen bot ein berührendes Erlebnis!

Das Unsagbare in Worten 

Kaum eine hat Depression so punktgenau beschreiben können, wie die amerikanische Schriftstellerin Sylvia Plath. "It stops, feels demonic, dulling, possessive, a gray that takes you over, until you become stagnant and stilled, until you lose your colors, and all you can see and feel is its quiet heaviness, its storm-cloud hue."
Doch auch die Südtiroler Autorin Brigitte Knapp hat sich der Herausforderung gestellt, das eigentlich Unsagbare in Sprache zu gießen. Ihre Sätze sind bruchstückhaft und elliptisch, und sie sind keinen klar konturierten Figuren zugeordnet.
Eine SIE ist auf der Suche nach dem Licht, das sie verloren hat; ihr Bruder - verzweifelt und in höchster Sorge - hat zwar vielerlei Tipps parat, doch sie zielen ins Leere. Tu etwas! Irgendetwas. Was denn? Was? Na, etwas arbeiten, etwas tun. Geh zum Beispiel einkaufen. Geh ins Einkaufszentrum. Sieh dir Geschäfte an, beschäftige dich. Geschäfte machen, arbeiten. Irgendetwas tun eben! 

Der Schatten folgt überallhin 

Brigitte Walk spricht, spielt und tanzt diese SIE, die nicht mehr funktioniert, die einfach nicht mehr kann, die den Boden unter den Füßen verloren hat, mit großer Ausdruckskraft. In ihrem weißen, schlichten Kleid wirkt sie schmerzlich fragil und verletzlich. Der Schatten, er folgt ihr auf allen Wegen.
Dieser Schatten erhält eine Körperlichkeit, die das Ausmaß von Depression, an der im Laufe eines Lebens laut einer Studie jeder Fünfte erkrankt, erfahrbar, ja: spürbar macht. Denn es sind die beiden Tänzer Anastasia Kostner (großartig!) und Tobias Spori (ebenso großartig!), die die Schatten symbolisieren; teilweise fungieren sie auch als Alter Ego der Figuren. 

Das Ringen um Licht 

In der Welt depressiver Menschen haben bekanntlich die Farben an Kraft verloren. Sie erleben ihre Umgebung häufig verzerrt oder verschwommen. Diesem Umstand trägt das Bühnenbild Rechnung. Caro Stark hat neuerlich mit einfachen Mitteln viel erreicht. Die DarstellerInnen bewegen sich vor und hinter Vorhängen aus Kunststoff; Licht und Schatten verstärken das Silhouettenhafte, Maskenhafte, von dem schon Virginia Woolf geschrieben hat.
Denn alle haben sie ihr Licht verloren; ER, der Bruder (Konrad Hochgruber) genauso wie SIE 2, seine Frau (Luka Oberhammer). Und sogar ER 2, der Therapeut (Martin Carnevali) zappelt im Netz der Krankheit. Sie alle ringen um ein wenig Licht, und sie ringen um Worte, die ihren unerträglichen, inneren Zuständen Ausdruck verleihen. Ich muss jetzt. Ich muss wirklich los. Ich arbeite und ich kümmere mich und versuche zu helfen und nichts hilft. Ich muss jetzt. Ich bin stark, ich halte das aus.  

Überforderte Leistungsgesellschaft  

In einem spannenden Vexierspiel von Licht und Schatten, sowie von Bewegung und Erstarrung stehen Repräsentanten einer Leistungsgesellschaft auf der Bühne, die müde geworden sind, weil sie das richtige Maß schon lange verloren haben. "Schatten" ist eine spannende Auseinandersetzung mit einem Thema, das uns alle betrifft. Der umsichtigen Regie (Katja Langenbach) ist es zu verdanken, dass die BesucherInnen nicht im Schatten bleiben, sondern auch einen kleinen Eindruck möglichen Lichts erhalten.
Einziger Wermutstropfen: Das plakative Ende, das so gar nicht zum Großteil der Aufführung passt.
Dennoch: Unbedingt anschauen! 

Weitere Aufführungstermine:
23./26./27.3, jeweils um 20 Uhr im Alten Hallenbad in Feldkirch
Im Herbst ist die Produktion in St. Gallen, Innsbruck, Bozen und Bruneck zu sehen.