Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Dagmar Ullmann-Bautz · 12. Mär 2010 · Theater

Unspektakulär schön

So einfach lässt sich der gestrige Abend im Vorarlberger Landestheater beschreiben. Der Abend, an dem die Premiere von Georg Büchners „Franz Woyzeck“ gefeiert wurde.

Es ist die zweite Inszenierung des neuen Intendanten am Landestheater, Alexander Kubelka. Nachdem er Anfang Oktober mit  Luigi Pirandellos Drama „Die Riesen vom Berge“ mit Pomp und Glorie die Spielsaison eröffnete, offeriert er nun mit Büchners Schauspiel eine ganz andere Art der Präsentation – leise, einfach, minimalistisch, schnörkellos.
Genauso schnörkellos  wie Bünchners Sprache und Stück selbst, stellt Kubelka den Woyzeck auf die Bregenzer Bühne. Mit traumhaft schönen, an Einfachheit nicht zu überbietenden Bildern zieht  er den Zuschauer in den Bann dieser Geschichte um den Franz und um die Marie, um Andres, den Doktor, den Hauptmann und um den Major, die allesamt vom Narren und der Großmutter distanziert umkreist werden.

Studie der Einsamkeit - minuziös und präzise gearbeitet

Kubelka, der sich gerne mit interessanten Menschen umgibt, der immer wieder neue Kompositionen der Zusammenarbeit mit Nichttheaterleuten (Architekten, Künstlern …) entwickelt, hat auch diesmal ein ungewöhnliches Team zusammengestellt, und es ist ihnen gelungen, einen anderen, einen modernen Blick auf Büchners Menschen zu werfen.
Jede Figur, genauestens, minuziös und präzise gearbeitet, kredenzt eine Studie der Einsamkeit, in den verschiedensten Facetten. Mit mutig langen Pausen, die jeden Satz wie ein großes Zitat im Raum stehen lassen, unterstreicht die Inszenierung die Vereinzelung, die Isolation des Menschen, das Fehlen der Möglichkeit von gemeinschaftlicher Kommunikation.
Georg Büchner, 1813 geboren, hat in seinem kurzen Leben, er wurde nur 24 Jahre alt, Unglaubliches geleistet. Neben der Schriftstellerei studierte er Medizin und erforschte das Nervensystem der Fische. Seine Texte und Worte formulierte und wählte er mit derselben Präzision wie er vermutlich seine Forschungsobjekte sezierte. Seine revolutionären Gedanken schlugen sich nicht nur in seinen Schriften nieder, sondern auch in politischer Aktivität. Er gründete die „Gesellschaft für Menschenrechte“ - eine Geheimorganisation nach französischem Vorbild. Ziel der Organisation war die Veränderung der politischen Verhältnisse.
Sein Stück „Woyzeck“, das ein halbes Jahr vor seinem Tod an Typhus entstand, blieb ein Fragment, das erst Jahre später in überarbeiteter Form erschienen ist und erst 1913 uraufgeführt wurde. Das Schauspiel gilt als wichtiger Vorläufer der naturalistischen Dramen, in denen Themen wie Armut und soziale Unterdrückung im Zentrum standen.

Den Elementen ausgesetzt

Die Kuratorin und Dozentin für Kunstgeschichte und deutsche Literaturwissenschaft Dorothée Bauerle-Willert stand dem Regisseur als Dramaturgin zur Seite, und Fotograf Thomas Wörgötter lancierte mit seiner Ausstattung die Arbeit Kubelkas. Ein großflächiges Stück grauen Stoffes wurde an immer wieder anderen Enden nach oben gezogen bzw. heruntergelassen und schuf so Räume, die einfach nur schön waren, auch mal funktionell, aber diesen verwundeten Kreaturen niemals Schutz boten. Wörgötter setzte die Figuren den Elementen aus, ließ es schneien und regnen, aber mit einer grandiosen Zurückhaltung, die keinen Moment als spektakulär oder aufgesetzt erscheinen lies. Das Licht von Arndt Rössler assistierte präzise Wörgötters Bühnenbild. 
Oliver Welter, Gründer und Frontmann der österreichischen Band „Naked Lunch", komponierte eine höchst anregende, bewegende Musik, die die Szenen umschloss, begleitete und durchdrang.

Herausragende Ensembleleistung

Dieses Team schuf gemeinsam ein ungeheuer harmonisches, konsequentes Bild als optimale Rahmenbedingung für das Schauspielerensemble. Heinz Weixelbraun, vermochte als verwirrter, einsamer, ständig hinterfragender, suchender Woyzeck durchgängig zu überzeugen, genauso wie die bestechende Katrin Hauptmann als Marie, die Woyzeck liebt, aber leider den Anträgen und Heimsuchungen des so verkrampft lässigen Majors (Jens Ole Schmieder) nicht Stand halten kann. Kai Ahnung (Künstlername von Chefdramaturg Dirk Diekmann) spielt einen auf sein eigenes Leid zurückgeworfenen Hauptmann mit demselben ironischen Humor, der vermutlich auch zu diesem Künstlernamen führte. Und auch die Frau Doktor (Tamara Stern) sitzt in ihrem Käfig aus Worten. Andres, der Freund, Kollege, der den Woyzeck mag, ihn aber einfach nicht versteht, wird von Alexander Julian Meile mit unaufdringlicher Dringlichkeit dargestellt. Mario Plaz als gegenständliche Großmutter und das Nachwuchstalent Sebastian Riem als Narr geben dem Ensemble Rahmen, Verknüpfung  und Bekräftigung.
Es ist die herausragende Leistung und Konzentration aller Schauspieler, die das Publikum zwei Stunden ohne Pause, in dieser reduzierten und stillen Form in ihren Bann zu ziehen vermag!