Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Peter Niedermair · 06. Mai 2017 · Theater

„Münchhausen“ von Armin Petras im Theater Kosmos

Mit „Münchhausen“ schaffen die KOSMOS Gründer Dragaschnig und Jagg Theater vom Feinsten. Theater als Geschenk ans Publikum, für das man die Idee, die Lüge, die Blicke ins Innenleben, die Verzweiflungen inszeniert: Theater als große Illusion. Theater als Referenzsystem. Als Dialog mit dem Publikum. Theater als Selbstvergewisserung mit klugem Humor. Theater im Theater. In diesem 80-minütigen Monolog, Dragaschnigs Soliloquy, spricht der Protagonist zu sich selbst und entfaltet ein vielschichtiges Netz an Gedanken und Gefühlen, die er mit dem Publikum teilt, und wir als Zusehende miterleben dürfen, wie der Schauspieler vor dem Vorhang, ganz nahe am Publikum in einem intimen Zwischenraum die Illusion aufgibt, dieses quasi als einem Inneren Monolog nahestehendes Geflecht an Überlegungen aufgibt und wir ein Universum-haftes Spektrum an Ideen hören, von den surrealen Brechungen, vom Wundersamen der Wirklichkeit, vom Spiel des Menschen an sich. Im KOSMOS-„Münchhausen“ ist Theater in seinem Spielcharakter ganz nahe am Mensch-Sein, an dessen Ungewissheiten und Verzweiflungen, an der Selbstironisierung, am Spiel im Spiel, mit einem Einblick in die Welt hinter den Kulissen des versuchsweise organisierten Mensch-, Schauspieler- und Regisseur-Seins. Die Inszenierung Jaggs in der dramaturgischen Bewegung von Ausweiten und Zurücknehmen, von elaborierter Reduktion, verlangt dem Schauspieler alles ab. In gewissem Sinne ist dieses Stück, in dem die beiden mit der Theatertextvorlage von Armin Petras frei umgeben, streichen und hinzufügen, ganz nach dem Untertitel des Stücks

„münchhausen. nach genet/nietzsche/handke/jandl/ranicki/wayne/beckett/bernhard/shakespeare/einstein/ dragaschnig/jagg“

In dieser erzählerischen Intimität kann man sich im übertragenen Sinn auch einen schauspielenden Illusionisten auf der Couch beim Psychoanalytiker vorstellen, einen wie der, der bei der Premiere zufällig neben mir zu sitzen kam. Eine Couch ist nicht Teil der Bühnenausstattung, sehr wohl jedoch der Text, der in vielfältiger Art und Weise auf die Welt hinter dem Vorhang, hinter dem Schleier, dem Verborgenen, das, was uns zum Sprechen bringt, verweist. In diesem unter anderem auf Shakespeare und dessen Illusionstheater, gerade in den Komödien oder in The Tempest, 4. Akt, verweisende Welt - „Wir sind vom gleichen Stoff, aus dem die Träume sind und unser kleines Leben ist von einem großen Schlaf umringt“ - sind Positionen, fast so etwas wie Stimmen, verwoben, die in Summe ein urbanes Relief für den Petras Text abgeben, vergleichbar mit der jener Werkgruppe von Hubert Lampert, von dem im Theater KOSMOS Foyer derzeit Bilder ausgestellt sind, mit dem Titel „Revolution der Rahmen“, in der er das Sich-Loslösen aus gegebenen Umständen, aus gesetzten Rahmen und der Bestimmung durch andere thematisiert. In der „weißen Stadt“ ist es der Bilder-Rahmen, der für gewöhnlich die Fläche umschließt, den er zersägt und mit Winkelschnitten versehen neu zusammenfügt. Die versetzten Ecken und Kanten machen es möglich, den Rahmen in den dreidimensionalen Raum zu bringen, wodurch er selbst zum Hauptakteur, zum autonomen Kunstwerk wird (vgl. Hubert Lampert). Parallel so verhält es sich mit dem Referenzsystem des Petras-Textes. Petras: „Also inhaltlich geht’s da um mich, weil ich stamm ja von Münchhausen ab. Ja, von dem Baron. Vom Lügenbaron. Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, geboren 1720 in Bodenwerder, gestorben 1797 ebendort. Dann: Ernst von Münchhausen in Bielefeld, August Karl Wilhelm aus Bremen, Ferdinand Wilhelm, Brunsbüttel, Friedemann der Ältere, Berlin, Rembert Hilmar, Bayreuth und Bamberg, Friedemann der Jüngere, Burghausen, Buchloe, Biberach, Anna Amalia, Bad Schussenried, Luisa, die Tochter am Bodensee, … et voilá – ecce homo – c’est moi!!! Na, das klingt jetzt ein bisschen wie von Münchhausen… okay, aber das ist wirklich wahr.“

 „Ja jetzt geht’s los ...

ja ein bisschen zu spät, aber... aber... also... guten Abend meine Damen und Herren. Auch wenn es eigentlich nicht so gedacht war. Nein, nein, das Kostüm schon, das ist echt... ich meine, echt Kostüm, ist echt. Ich spiel ja mich.“ Und eh man sich’s versieht, läuft der Text in die nächste Schleife des Monologischen, als gäbe es, wie im letzten Kapitel des Joyce’schen Ulysses, Penelope, vernetzt literarisch und ausladend üppig zugleich die key words der Weltliteratur: „Als ich bin, war ich. Als ich war, bin ich. Wenn ich bin, werde ich sein. Wenn ich sein werde, war ich. Obwohl ich war, werde ich sein. Obwohl ich sein werde, bin ich. Ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist.“ (Handke) In diese textierenden, das Narrativ des Münchhausen vorantreibenden Reflexionen, die, wie man anmerken muss, auch einem großen Scheitern ausgesetzt sein können - „Wie der Tabori gesagt hat: Abende, an denen was schiefgeht, sind immer die besten. An die wirst du dich immer erinnern.“ – streut der Protagonistin, intendiert auch Aufforderungen in Richtung Publikum ein, dass man ihm auch etwas von der Bar draußen im Foyer bringen könne, was denn ein Zuschauer tatsächlich macht, seelenruhig aufsteht, hinausgeht, eine Schale mit Erdnüssen holt und sie dem Antihelden des Abends bietet, woraufhin dieser, gar nicht verlegen, die aktuelle Situation blitzschnell, theatralisch souverän und klug einbaut. Denn, und das gilt für die gesamte Dauer des Illusionsraums auf der Bühne, die bis auf den ob seiner leichten Mächtigkeit beeindruckenden Raum, in mehrere Illusionsräume auflöst, davor und dahinter, und sonst mit gering wenigen Requisiten auskommt, der Protagonist kann von sich sagen: „Ich fühl mich stark hier, Ist ein geschützter Raum. Wie ein Boxer im Boxring, da gibt es Regeln auch wenn‘s gefährlich aussieht… ist auch gefährlich, aber nicht so gefährlich wie draußen. Hab ja schon trainiert, ein paar Jahre. Hier kann ich den Punk ausleben, muss ich mir nicht wachsen lassen, macht die Maske… geht flott wenn die Maske gut ist. Wenn!?“ Im nächsten Moment schon wird dieser geschützte Raum, in dem der Schauspieler, sich und seiner Fragilität bewusst, wiederum in Selbstzweifel gerät und mit Beckett sagen lässt: „All of Old. Nothing else ever. Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better. Samuel…“

„Ohne Eitelkeit kein Ausdruck“

Im „Münchhausen“ geht es auch um Eitelkeit, weniger im Sinne von William Makepeace Thackeray in „Vanity Fairs“, dem Jahrmarkt der Eitelkeit, sondern vielmehr als in einem intimen Spiegelkabinett des Theaters als Welt der magischen Illusion, als Welt der Versuchung, als Welt der Sehnsucht und der Lüge, als Spiel vor und hinter dem Vorhang. „Man ist nicht Künstler, wenn da nicht irgendwas war. Es gibt nur zwei Sorten Künstler. Die, die was zu viel haben, unendlich viel, also ich sag mal Leonardo… oder die, die eben was zu wenig haben, also eine Fehlstelle, Kindheit, Sex, Armut, Psycho… irgendsowas.“ (Petras) Es geht nicht um „die Bühne als moralische Anstalt“ wie bei Friedrich Schiller, oder um das Thematisieren einer Katharsis wie im antiken Theater, „Antigone“ zum Beispiel, der Tragödie des griechischen Dichters Sophokles. Es geht um die Gegenwart, eine weite und intensive Gegenwart, es geht um das Theater KOSMOS, es geht um Hubert Dragaschnig, um Augustin Jagg und deren Leidenschaft für das Theater an sich und das KOSMOS Theater im Besonderen, „weil, es ja ein Stück über mich (ist)! Also nicht nur, aber eben auch doch zum großen Teil schon. Also nicht ich, sondern ich als Figur, wenn ich das richtig verstehe.“ Doch dieses wollen sie am Abend der Premiere nicht in den Shakespeare’schen „kleinen Schlaf“ lullen, sondern damit das Publikum unterhalten, im besten Sinn. „So komme ich drauf zu sagen, dass man den Zirkus lieben und die Welt verachten muss, es muss sein, damit du dich findest, du trittst ein und du bist allein. Nur scheinbar, denn Gott ist da!!! (der Darsteller des Münchhausen tritt im Kostüm auf) das ist nicht Gott, das ist Münchhausen, ok da bist du also, super, echt super, dass du da bist. jetzt können wir ja anfangen.“

„Ich will keine Metapher, ich will eine Kugel, verdammt nochmal, eine Kugel!“

Das Premierenpublikum dankt es den beiden Haupt-Protagonisten (seit über 20 Jahren), „also zwei in einem“, in diesem „Zweipersonenstück mit einer Hauptrolle“. „Wer bin ich geworden in dieser Zeit?“, fragt sich der Protagonist des Stücks, für das man „schon sechs Wochen probiert“ hat, „ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist“. Der Schauspieler Hubert Dragaschnig will auch „etwas Persönliches sagen“, will „dem Zweifel freudig entgegen gehen“ und sagt dialogisch-selbstironisierend „Catch me if you can!“. Sie inszenieren mit diesem Münchhausen die visuelle und textliche Grammatik des Theaters an sich, sie lassen uns über die Schulter schauen, mit Blick auf die Perspektive, die der Darsteller repräsentiert, es sind in gewissem Sinne Aufnahmen wie mit einer Handkamera in Aki Kaurismäkis Filmen „Die andere Seite der Hoffnung“ (2016) oder „Schatten im Paradies (1986), über die Aufs und Abs, über die schlingernden Hoffnungen und Abgründe, um die Intimität oder das Unbehagen zu umschreiben, um sie einzukreisen im spektralen Theaterlicht der Persönlichkeit des Hauptdarstellers, der in seiner Garderobe, aus einem renommierten Modehaus in Bregenz by the way, ein gutes Bild macht.

Ein anderes, wie ich denke, sehr bedeutendes Theaterutensil, das weit mehr als nur Stoff ist, ist der Vorhang, der, so habe ich es in Erinnerung, hellweiß-seiden, die Bühne in zwei Räume teilt, vorne vor dem Vorhang, wo das Theater inszeniert stattfindet, und die Welt hinter dem Vorhang, jener Welt, aus der das Gebrüll des Löwen kommt, woher die Zigarre und die Sektflöte, nebst Stuhl und kleinem runden Tisch herübergereicht werden, so etwas wie ein Halb-Kommentar, halb dramaturgisches Ersatzteillager, nicht Requisitenkammer, sondern ein Depot für das Leben auf dem Theater, dem Raum der Illusion. Bei David Hockney in der Tate Britain in London kann man derzeit eine ganze Reihe von Bildern sehen, die diesen Vorhang thematisieren und darauf hinweisen, wie mehrstufig dieses eine menschliche Leben tatsächlich ist, gerade in seiner Selbsterfindung, bis „dir das Ganze zu einem Fest wird. Wenn du es erreicht hast, dieses dein Bild, dann ist das Fest aller Feste gekommen (Jean Genet). Wir als Zuschauer werden an diesem Theaterabend mit hineingenommen in die Szenerie, man sitzt „at the edge of the chair“ – das Stück hat gerade begonnen, und man ist im Nu mittendrin, weil das so gut gemacht ist, dass man das Stück gut und gerne noch ein zweites und drittes Mal sehen will, denn „nirgendwo sonst in dieser Menschheit ist die Verlogenheit größer und faszinierender als auf dem Theater (Thomas Bernhard). „Münchhausen“ (2014) von Armin Petras, mit Hubert Dragaschnig und, ebenfalls in einem tollen Kostüm, Augustin Jagg, ist das Highlight dieses vorarlbergischen Theaterjahres, auch wenn es gerade erst einmal Mai geworden ist. „Es ist ein irres Gefühl, der werden zu können, den man sich träumt.“

 

„Münchhausen“ von Armin Petras, ÖE
Mit Hubert Dragaschnig, Regie Augustin Jagg, Bühnenbild und Lichtgestaltung Stefan Pfeistlinger, Kostüm Monika Loser, Musik Herwig Hammerl
Weitere Aufführungen 6. 12. 13. 14. 18. 19. 20.24. und 25. Mai 2017, 20 Uhr
Theater KOSMOS, schoeller 2welten, Mariahilfstraße 29, Bregenz, office@theaterkosmos.at – Tel. 05574-44034