Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Annette Raschner · 07. Mai 2017 · Tanz

Der Sehnsucht entgegen - „Tanzaku“ in der Kulturwerkstatt Kammgarn

Tägliche Pflichten in Form von gelben Post-its belagern Claudia Grava wie ein wild gewordener Bienenschwarm. Mit kräftig-kreisenden Bewegungen versucht die Tänzerin, sie wieder loszuwerden. Doch ohne Erfolg. Wie gelingt es im Leben, die richtige Balance zwischen Realitäts- und Lustprinzip zu finden? Verantwortung zu übernehmen, aber auch der eigenen Berufung zu folgen? Diesen Fragen spürt Claudia Grava in „Tanzaku“ nach; Einem berührenden Solo mit drei Musikerinnen, das in der Kulturwerkstatt Kammgarn in Hard uraufgeführt und vom Publikum begeistert aufgenommen wurde.

Claudia Grava hat eine zehnjährige Tanzausbildung im Teatro Colon in Buenos Aires absolviert. Der Liebe wegen kam sie nach Vorarlberg. Seit zwanzig Jahren leitet die zweifache Mutter gemeinsam mit ihrem Mann Martin Birnbaumer die Tangoschule „tangissimo“ in Hard. An Tanzprojekten im Bereich des zeitgenössischen Tanzes beteiligte sich Claudia Grava, Gründungsmitglied von netzwerkTanz, immer mal wieder, für die Realisierung einer eigenen Produktion mangelte es ihr vor allem an einem: An Zeit. Eine Research-Woche mit einer bekannten Choreografin - einer Pina Bausch-Schülerin - brachte sie in Kontakt mit ihrer ureigenen Sehnsucht: Dem Tanzen. Die japanische Tradition, am 7. Juli Papierfetzen mit Wünschen an Bambusbäume zu hängen, inspirierte sie zu ihrem Solo „Tanzaku“.

Neun unterschiedliche Stühle in Weiß …


… sind im Raum verteilt, der mit dem Publikum an drei Seiten an eine Arena erinnert. Hier wird der Kampf zwischen Pflicht und Lust, Verantwortung und dem Drang nach persönlichem Freiraum ausgetragen. Die Stühle, die im Verlauf des Solos gestapelt, umgeworfen, umgestellt, zu einem Hindernisparcours und zu einer Brücke zusammengebaut werden, symbolisieren die neun Frauen, deren Sehnsüchte je nach Profession umgesetzt werden: Als Tanz-, als Musik- und als Gesangsequenz. Getanzt werden insgesamt sechs Sehnsuchtssequenzen: Die von Claudia Grava selbst und jene von fünf argentinischen Tänzerinnen, die ihrer Freundin das von ihnen entwickelte Bewegungsmaterial für das Solo „ausgeliehen“ haben. Die drei Musikerinnen Rachel Robin Bowman (Gesang, Cajon, Kastagnetten), Penelope Gunter-Talhammer (Cello) und Lakshmi Witzemann (Gitarre) spielen live, vor allem die Sängerin ist so etwas wie die liebevoll-mahnende Stimme, die die Tänzerin immer wieder an ihre Aufgaben erinnert, die den tänzerischen Fluss unterbrechen und stören. Doch sie tröstet sie auch, wenn sie vor Erschöpfung zusammenzubrechen droht, singt ihr ein argentinisches Wiegenlied vor, trägt sie, stützt sie und tanzt mit ihr einen schwungvollen Cha-Cha-Cha.

Mehrere Wäscheleinen sind kreuz und quer über den Raum gespannt. An ihnen hängen bunte Tanzakus, sowie Wäschestücke einer vierköpfigen Familie. „Chien Sera“ singt Claudia zu Beginn mit betont müder Stimme und nimmt gelangweilt die Wäschestücke ab. Doch da klopft sie wieder an, die Sehnsucht, die sich nicht so leicht abwimmeln lässt. Sie meldet sich zu Wort, sie animiert die Tänzerin dazu, ihrer Leidenschaft, dem Tanzen zu folgen.

Persönlich, aber nicht privat


Das von Claudia Grava erarbeitete Konzept ist schlüssig, die Choreografie mit äußerst vielfältigem Bewegungsmaterial berührt und begeistert gleichermaßen. Die dramaturgische Struktur gibt Marin Marais' Komposition „Les Folie d´Espagne“ vor; Eine Variantenfolge über die berühmte Follia. Die Sehnsuchtsmotive erfahren Erweiterungen, Abwandlungen und Umkehrungen.

Dem gesamten Team, dem auch Theaterregisseurin Barbara Herold als Dramaturgin angehörte, ist eine Produktion gelungen, bei der man nur hoffen kann, dass sie möglichst oft aufgeführt wird. Sie ist persönlich, aber nicht privat, zutiefst weiblich und doch allgemein gültig, da wir alle im Leben die Herausforderung zu bewältigen haben, Pflichten und Freuden in eine gute Balance zu bringen. Absolut empfehlenswert!!

 

Weitere Aufführungen: 20. Mai Tik Dornbirn, 30. November: Remise Bludenz.