„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Anita Grüneis · 18. Mär 2019 · Theater

Theater Karussell Liechtenstein: Die nackte Wahrheit – und nichts als die Wahrheit?

Das Liechtensteiner Theater Karussell hat mit dem Stück „Die Wahrheit“ von Florian Zeller einen guten Griff getan. Der junge Regisseur Andreas Jähnert hat das Stück um Liebe, Betrug, Wahrheit und Männer-Freundschaft inszeniert, gespielt haben Hanno Dreher, Thomas Hassler, Ula Lazauskaite und Heidi Salmhofer. Die vier ließen den Abend zu einer rasanten Fahrt werden zwischen Lüge, Schummelei, Verschwiegenheit, Heuchelei und gebremster Aufrichtigkeit. Viel wurde auf der Bühne über die Wahrheit geredet und niemand schien wirklich zu wissen, was das eigentlich ist, „Die Wahrheit“. Denn im Zeitalter von Fake News fragt es sich: Wie wahr ist schon Wahrheit? Und wer lügt, wenn er die Wahrheit sagt? Und wie setzt sich die „reine Wahrheit“, die vor Gericht verlangt wird, in Wahrheit zusammen?

Das sind einige der Fragen, die sich das Publikum nach der Aufführung stellte, denn das Stück von Thomas Zeller fordert zu Diskussionen heraus. Und es schien, als ob Andreas Jähnert mit seiner Regie genau darauf abgezielt hätte. Er hatte die Dialoge gründlich hinterfragt und die Ebenen verwischt, dazu führte er zusätzliche Levels/Abstraktionsebenen ein, verzichtete auf reale Requisiten und ließ einmal mit dem Handy eines Besuchers ein vermeintlich fiktives Telefonat führen, das im Stück aber durchaus real war. Zwingend waren solche Regie-Ideen allerdings nicht, auch führten sie teilweise zu Irritationen, die den Fluss des Abends störten und ihn in die Länge zogen.

Fake und Trash-TV

Grundsätzlich interessierte sich Andreas Jähnert aber für die nackte Wahrheit, so zeigte er gleich zu Beginn den „Sündenfall“: Vor den Augen aller liebten sich Marcel und Alice, als wären sie Darsteller in einer „Temptation Island“ Trash-TV-Serie. Auf der Takino-Bühne waren sie dabei natürlich nicht nackt, sondern in Badebekleidung. Und so wanden sich Hanno Dreher und Heidi Salmhofer zu romantischer Musik in tänzerischer Leichtigkeit zwischen einer stilisierten Bank, einem Tisch und einer (echten!?) Dusche und simulierten dabei Kopulations-Stellungen. Aber eben: alles nur Fake! Nichts passierte wirklich. Und doch war damit schon alles geschehen und gesagt: Denn in Wahrheit – oder besser: in der Stück-Realität  ist Marcel der beste Freund von Paul, und der ist der Ehemann von Alice. Auch Marcel hat eine Ehefrau, sie heißt Susann und trägt Perücke – also ebenfalls ein Stück Fake.

Moral und Ethik – aber wozu?

Ihr Mann Marcel ist ein gestresster Geschäftsmann, der sein Herzrasen als Beweis dafür hernimmt, dass er überhaupt ein Herz resp. Gefühle hat. Schuldgefühle hält er jedoch für völlig überflüssig und so kann er seiner Geliebten Alice schon mal zurufen: Vergiss nicht, dass wir zwei verheiratet sind, besonders du.“ Und er kann sich maßlos darüber aufregen, dass die Firma seinen Freund Paul entlassen hat: „Die Leute haben keine Moral mehr. Es gibt keine Ethik.“ Alles leeres Geschwätz, denn handkehrum betrügt er ja selbst seinen Freund Paul. Moral? Wozu? Marcel ist der Prototyp eines Narzissten, der sein aufgeblähtes Ego immer als Maske braucht. Hanno Dreher gibt ihm viel Drive, ist meistens hochtourig unterwegs, manchmal wäre weniger mehr, dann würden auch die kleinen Risse in der Maske besser sichtbar, die bei Dreher ab und zu aufblitzen und erahnen lassen, dass dieser Typ Marcel doch eigentlich sehr verletzbar ist.

Das liebe Liebemachen

Sein bester Freund Paul ist bei Thomas Hassler ein aufrechter Kerl, der sich echt oder nicht echt  wundert, dass seine Frau seit seiner Entlassung so aufmerksam zu ihm ist. Dieser Paul ist kein Schwätzer, und doch weiß er mehr, als er zugibt. Bei ihm ist das Publikum aber nie sicher, was denn nun stimmt, von dem Wenigen, das er mitteilt und was er aus reiner Freundlichkeit sagt, um niemanden zu verletzen.
Heidi Salmhofer zeigt als seine Gattin Alice eine undefinierbare Frau in dauerndem Zwiespalt – zum einen „liebt sie das Liebemachen mit Marcel“, zum andern ist sie es leid, ihren Mann immerzu anzulügen. Aber stimmt das wirklich? Oder ist das auch nur Kalkül, um ein Wochenende mit dem Geliebten zu verbringen. Viel Ruhe bringt Ula Lazauskaite als Susann, Ehefrau von Marcel, in das Spiel. Die Schauspielerin und Regieassistentin ist kurzfristig für Ute Hoffmann eingesprungen und zeigt ihre Susann als Yoga-gestählte Person, die aber ebenfalls nicht wirklich durchschaubar ist. Hatte sie ein Verhältnis mit Paul oder nicht? Spielt sie nur mit ihrem Mann, den sie längst durchschaut hat? Sie lässt sich nicht in die Karten schauen. Ein Stück und eine Inszenierung, die Fragen aufwerfen, zu Diskussionen anregen. Denn wer weiß schon, was die Wahrheit ist. Und wenn ja, wie viele? 

Weitere Vorstellungen:
Mi, 20./27.3. und 3./10.4., jeweils 20 Uhr
Sonntagsvorstellungen am 31.3., 18 Uhr und am 7.4., 17 Uhr
Takino, Schaan