Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Anita Grüneis · 06. Dez 2020 · Theater

TAK Theater Liechtenstein: Camus «Der Fremde» - ein Influencer in der Medienwelt

Mit der Aufführung von Albert Camus’ «Der Fremde» ist die Trilogie des TAK-Ensembles der diesjährigen Saison beendet. Nach «Tage des Verrats» und «Tod eines Handlungsreisenden» setzte Regisseur Oliver Vorwerk mit seiner dritten Inszenierung einen markanten Schlusspunkt. Nicht nur das Sein stand in diesem Stück zur Debatte, sondern auch das Nicht-Sein. Und die Frage, ob das Dasein des Menschen auf der Erde überhaupt einen Sinn macht.

Der in Algier aufgewachsene Albert Camus war noch nicht mal 30 Jahre alt, als er das Stück «Der Fremde» schrieb. Der Roman erschien 1942, also in einer Zeit, in der das kriegsbedingte Sterben zum Alltag in Europa gehörte. Der berühmte erste Satz daraus, «Heute ist Mama gestorben.», konfrontiert den Leser sofort mit dem Tod. Vom Tod, resp. vom Leben und dessen Sinn handelt der ganze Roman. Regisseur Oliver Vorwerk dramatisierte den Roman für die Bühne und inszenierte es im TAK mit fünf Schauspielern. Es wurde zu einem Spiegelbild unserer Gesellschaft, die ununterbrochen den Medien ausgesetzt ist – zu Corona-Zeiten sogar mehr denn je. So übernimmt denn auch jeder Darsteller abwechselnd die Funktion des Filmers, die Videokamera wird dabei zum Beobachter und Akteur zugleich. Sie zoomt heran oder vervielfacht und lässt auch schon mal den Bühnenboden zum Bühnenbild werden. 

Wir leben in einer Medienwelt

Auf der Bühne stehen drei Sitzreihen aus dem Zuschauerraum. Natürlich mit Abständen und Zwischenräumen. Wartezimmer oder Flughafen? Theater oder Kino? Egal – der Raum symbolisiert eine Durchgangsstation – denn Bleiben ist nirgends, das wusste schon R.M.Rilke. Zwischen den Sitzgelegenheiten entblättert sich das Schicksal des jungen Mannes Meursault. Das Publikum erlebt die Beerdigung seiner Mutter, das Alltagsleben in Algier, den «zufälligen» Mord an einem Araber, das Gefängnis und die Gerichtsverhandlung. Alles wird mit der Kamera festgehalten und auf eine große Leinwand im Hintergrund projiziert. Wir leben in einer Medienwelt, in der sich jeder selbst inszenieren kann. Vielleicht wäre Camus' Hauptfigur Meursault heute ein Influencer und hätte viele Follower, gerade weil er so ist, wie er ist. Anders als andere und doch gleich. 
«Ich bin wie alle, genau wie alle», behauptet er selbst. Dabei wirkt er unbeteiligt an der Welt und steht doch mittendrin. Mit einer traumwandlerischen Sicherheit gibt ihm Julian Härtner eine Fremd- und Verlorenheit, die alles abperlen lässt. «Du bist so seltsam, so merkwürdig», sagt denn auch seine Freundin Marie zu ihm, die ihm immerzu ihre Zuneigung zeigen will, sie streicht ihm übers Haar, möchte ihm in den Mantel helfen – doch er schüttelt alles ab. Christiani Wetter ist als Marie ein stabiler Gegenpol zu diesem Eigenbrötler, eine moderne junge Frau, die weiß, was sie will, und auch mit einem wortkargen Freund klarkommt. «Nothing compares to you», singt im Hintergrund dazu die Musikerin Karin Ospelt. Später wird sie in verschiedenen kleinen Rollen zu sehen sein und immer bildet ihre Musik den stimmigen Sound zum Stück. Da ist viel Französisches – «Non, je ne regrette rien» oder «Ne Me Quitte Pas», «La mer», aber auch «I am just a poor boy» zu hören. 

Stabil uninteressiert am Leben

Die Inszenierung von Oliver Vorwerk basiert darauf, dass jeder Schauspieler mehrere Figuren spielt. So sind Andy Konrad und Nico Ehrenteit in vier verschiedenen Rollen zu sehen und erschaffen immer wieder kleine Monodramen. Andy Konrad gibt der Figur des Salamano, dem Herrn mit dem räudigen Hund, dank seines Liechtensteiner Dialekt viel Heimisches, brilliert dann aber als Anwalt mit einem wortgewaltigen Plädoyer. Nico Ehrenteit mimt den verschlagenen und schlagenden Raymond und ist ein brillanter Staatsanwalt, dessen Plädoyer ein Paradebeispiel für Demagogie aller Arten ist. Sie alle sind aber nur Figuren um den Meursault von Julian Härtner, der vor allem während der Gerichtsverhandlung – bei der die Plädoyers direkt an das Publikum gerichtet wurden – eine stupende Gleichgültigkeit zur Schau stellt. Er hält die Kamera ununterbrochen auf sich selbst gerichtet, sein Ausdruck bleibt stabil uninteressiert diese Person ist in einer anderen Welt zuhause, einer Welt, die eine «zärtliche Gleichgültigkeit» kennt. Oliver Vorwerk lässt seine Inszenierung mit den Worten «Bloß das Sein und nichts anders als das» enden – ein Hochruf auf den Existenzialismus. Das Publikum im gut gefüllten TAK war begeistert. 

Weitere Vorstellungen:
11.12. und 12.1., jeweils 20:09 Uhr 
www.tak.li