Schwarze Messe für die alten Damen! - Zur Uraufführung von Gustav Ernsts "Bridge" im Theater Kosmos
Die gestrige Uraufführung von Gustav Ernsts Komödie „Bridge“ im Theater Kosmos war eine Offenbarung. Selten wurde witziger, böser, tiefgründiger und ehrlicher von den Machtspielen und der verzweifelten, in Lebenslügen gefangenen Egozentrik alter Menschen erzählt. Und selten war es – bei aller Ehrlichkeit – humaner!
Pianistische Salonmusik eröffnet den Abend. Doch schon nach Sekunden wirbelt ein Kreisel über das Saitenbrett des Klaviers und erzeugt ein Geräusch, das unsere Großmütter anstandslos als „hässlich“ bezeichnet hätten. Und hässlich sind sie, trotz ihrer Pelzmäntel und Ohrringe, trotz ihrer high heels und eierschalen-farben glänzenden Kleider. „Ecru“ nennen Designer diese Farbe, Satin den Stoff, und darüber liegt ein Spitzengewand. Ausstatter Werner Schönolt gönnt diesen Damen bürgerlicher Herkunft eine Art Glanz und stellt sie auf einen Laufsteg, der in die untergehende Sonne führt. Dorthin humpeln (mit ihren künstlichen Hüften und ihren Krebs-Arten) wollen sie aber noch lange nicht.
„Ich könnte drei Leben leben! Und auch das wäre nicht genug!“
Vorläufig sitzen sie noch zu zweit auf Samtstühlchen und motzen sich an. Die eine denkt nur an ihre Esterhazy-Schnitten, die andere giftet und beleidigt ihre Freundin, dass es eine politisch aber gar nicht mehr korrekte Art hat und schlägt dabei lustvoll Pfauenräder. Freundinnen, die einander kennen, das muss sein beim Bridge. Da spielt es sich – anders als beim Schach – mit Partnerin und gegen Gegner. Die Frauen müssen also gleich mehrfach auf der Hut sein, während sie da auf ihre „Gegnerinnen“ warten, um für ein Bridge-Turnier zu üben.
Wie fit ist die Partnerin, wie durchschaubar? Wie tickt sie in Eröffnungssituationen? Wie belastbar ist sie in kritischen Phasen? Marie-Claire wird von Juliane Gruber mit sardonischer Miene und bis auf die Knochen abgemagerter Inbrunst gespielt. Ein zerbrechliches Persönchen mit weit geöffneten Augen, das sein bebendes Haupt auf dünnem Hals balanciert. Stets weist diese Marie-Claire mit anklagendem Zeigefinger auf das Unrecht hin, das ihr offenbar angetan wurde. Nichts zählt für diese böse Prinzessin als ihr eigenes – unerreichbares – Wohlbefinden. Mit knochentrockenem Witz fertigt sie ihre Partnerin ab. Gertraud (Susanne Altschul) schickt sich an, in ihrem eigenen Fett zu versinken. Esterhazy-Schnitten und süchtig erwartete Klinikaufenthalte machen ihr Leben aus. Immerhin schlägt sie eine Art Wellness aus der Art, wie Ärzte einen Lebenssaft aus ihren mürben Muskeln schnetzeln.
„Ist das eine neue Leidenschaft von Dir, ständig zu widersprechen?“
Wie sich die beiden an ihrer jeweiligen Rechthaberei abarbeiten – das sorgt zwar für reichlich Gelächter, aber traurig ist es doch. Werden wir alle so? Eingemauert in die eigenen Behauptungen? Restlos desinteressiert am andern? Jede und jeder gefangen im eigenen Kosmos? Regisseur Augustin Jagg lässt uns, betört von der Brillanz der beiden Schauspielerinnen, erst mal zappeln.
Und dann kommt sie. Emma. Johanna Tomek. Sie hat die Löwenfrisur, die sich stilbewusste ältere Frauen niemals mehr machen lassen würden. Sie ist gnadenlos peinlich. Angesäuselt von etlichen Campari-Sodas brettert sie im Auto – und nichts verachtet sie so tief wie Radfahrer – zum Freundinnen-Treffen, um dort umgehend von Männern mit filigranen Händen zu schwärmen, die ihr auf der Autobahnraststätte feurige Blick zugeworfen hätten. Sex mit über 80?
In unserer Gesellschaft genügen oftmals schon Frauen über 30 den von der Werbung und den Medien suggerierten Vorstellungen von Jugend und Schönheit nicht mehr. So spürt man förmlich, wie das Publikum eine unheimliche Welt entdeckt. Denn diese drei Frauen über 80 haben die Freiheit, über ihre vielfach kolportierten Lebenslügen ehrlich zu reden. Schließlich kennen sie sämtliche strategischen Bridge-Tricks der Partnerin wie der Gegnerinnen. Und wenn ihnen doch einmal die Worte fehlen, fallen sie lasch in sich zusammen. Musikalische Filigranarbeit erklingt, in der ihre bösen Sätze nachhallen, Hörspiel im Theater – eines der vielen stimmigen Elemente dieser Inszenierung, die dem Text vertraut, ihn auslotet, in seine Abgründe blickt.
„Kinder gehören überhaupt ausgerottet.“
Es ist naturgemäß (und dieses Bernhard-Wort passt zum Text) eine männliche Sicht auf drei Frauen. Gustav Ernst leiht ihnen seine Worte und sein Empfinden, Augustin Jagg bietet ihnen seine Inszenierung an. Doch in diesem Spiegel erschaffen Johanna Tomek, Susanne Altschul und Juliane Grunde ein Spiel, das eine ganze weibliche Welt anbietet. Drei Frauen - stark und selbstkritisch und neugierig genug, die Brüche, die ihnen das Leben zugemutet hat, in immer neuen Strategien zu umkreisen. Und so keppeln sie sich durch einen wunderbaren Abend – auf einem Laufsteg, für den ihnen Werner Schönolt und Stefan Pfeistlinger die schönsten Bilder in ihren persönlichen Hintergrund gemalt haben.
Weitere Aufführungen:
31.3. und 1./7./8./12./13./14./15./19./20./21.4.
jeweils 20 Uhr
www.theaterkosmos.at