Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Anita Grüneis · 23. Feb 2022 · Theater

„Onkel Wanja" im SAL, Schaan: „Du hesch eifach ke Fröid gha i dim Läbä"

Das Basler Theater zeigte im Schaaner SAL seine Version von Anton Tschechows „Onkel Wanja" - in Schweizerdeutschen Dialekten, geschrieben von Lucien Haug. Doch nicht nur das war ungewöhnlich – auch die „Text-Ergänzungen" ließen aufhorchen, die das Stück mit Themen wie Umweltschutz und Pandemie im Heute ansiedelten. Regisseur Antú Romero Nunes platzierte seinen Tschechow zudem in die Zürcher Agglomeration, wo man sich „easy" gibt, so richtig „exhausted" dahinlebt, das Leben mehr als einen Existenzkampf betrachtet, sich dabei aber fragt, gegen wen man überhaupt kämpft. Das Wagnis ging auf. Eine intensive und ungewöhnlich authentische Inszenierung.

Anton Tschechows Stück „Onkel Wanja" ist nun über 120 Jahre alt, doch sehen sich die Protagonist:innen auch heute noch mit den gleichen Fragestellungen und Problemen konfrontiert wie damals. Es sind Menschen, die sich in ihrer Gegenwart gefangen fühlen, Verlorene, die sich selbst aufgegeben haben, die zermürbt sind von der Erkenntnis, dass all ihre Träume nur Illusionen waren. Sie leben im engen Raum zusammen und wenn sie reden, reden alle zur gleichen Zeit, also eigentlich „übereinander". Keiner hört dem anderen zu, so sehr ist jeder mit sich selbst beschäftigt. Sie alle leiden an sich, an ihrem Leben und geben sich diesem Leiden hin. „Was war, ist nicht mehr. Was ist, war noch nicht". 

Die bleierne Zeit im Hochzeitszelt

Die Bühne von Matthias Koch zeigt eine barocke Wolkenlandschaft, die mit den hohen gebundenen Vorhängen an ein Hochzeitszelt erinnert und viele Gassen zum Auf- und Abtreten bietet. Rechts lagern zwei grosse Traktorräder und weisen auf die Landwirtschaft hin. Ein hoher Birkenstamm mahnt an das russische Nationalsymbol. Rasch aufgestellte und wieder abgebaute Festtische und -bänke signalisieren Bierzelt-Atmosphäre. Einfach auch die Kostüme von Lena Schön und Helen Stein. Der russische Gutshof nennt sich nun „Rent a Tent", aus Tschechows Figuren wurden einsame und verbitterte Schweizer Provinzler:innen, die vor allem gerne und viel trinken. In ihnen und um sie herrscht eine bleierne Zeit.   

Verloren im Leben

Onkel Wanja (Fabian Krüger) heißt nun „Unggle Beat", so nennt ihn seine Nichte Jasmin (Vera Flück), auf berndeutsch Jase (bei Tschechow heisst sie Sonja). Die junge bodenständige Frau liebt seit Jahren den feinsinnigen Arzt Michi (Sven Schelker), der seinerseits aber lieber über die Umweltzerstörung nachdenkt. Beats Mutter (Suly Röthlisberger) ist eine elegante Dame, die immerzu über ihrem iPad hängt. Die Angestellte Caro (Carina Braunschmidt) schwelgt in ihrer Vergangenheit. Ihrer aller mehr oder weniger beschauliches Leben wird empfindlich gestört, als Professor Alexander (Ueli Jäggi), Vater von Jasmin, mit seiner jungen, hübschen, zweiten Frau Elena (Mala Emde) einzieht, um seinen Lebensabend auf dem Gutshof zu verbringen.
Die beiden bringen Stadtluft in die Enge, die Schönheit Elenas bezaubert Beat und Michi, sie verlieben sich in sie. In der Folge schneiden sich beide ihre verzottelten Haare ab und wechseln die verschmutzten Kleider. 25 Jahre lang bewirtschaftete Unggle Beat den Gutshof, den er nach dem Tod seiner Schwester übernahm. Mit den Einkünften finanzierte er seinem Schwager das Stadtleben und die Karriere. Nun muss er erkennen, dass sein verehrtes Idol den „grossen Heiri" nur vorspielt und rastet angesichts der Sinnlosigkeit seiner langjährigen Aufopferung völlig aus.

Wenn Leben so einfach wäre

Die Inszenierung von Antú Romero Nunes lässt sich am Anfang viel Zeit und dehnt sich mit den vielen neuen Texteinschüben. Sie zeigt damit aber auch die große Trägheit dieser Familie. Dichte und Rasanz gewinnt die Aufführung gegen Ende, nach rund zwei Stunden, mit der Verkündung des Professors, das Gut verkaufen zu wollen. Die Situation beginnt zu eskalieren; Beat versucht Alexander zu erschießen, verfehlt ihn aber. Zum Schluss eine Art Versöhnung, die mehr einer Kapitulation der Beteiligten vor ihren Lebensumständen und geplatzten Träumen gleichkommt. Die zwei knallroten Koffer des Professors und seiner hübschen Gattin stehen dabei wie Feuerlöscher inmitten der Bühne. Zu Onkel Waja, resp. Beat, den Fabian Krüger als schmerzhaft intensiven Junkie darstellt, der immerzu jammert: „Ich ha nöd gläbt! Nöd gläbt!", heißt es: „Armä, armä Unggle Beat ... du hesch eifach ke Fröid gha i dim Läbä. Du bruchsch chly Geduud, Unglää, nümä chly Geduud. Du ruihsch iz us. Mir ruiäh üs iz us. Mir ruoäh iz."

Theater Basel: „Onkel Wanja" von Anton Tschechow
weitere Vorstellung: 23.2., 20 Uhr
SAL, Schaan

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