„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Anita Grüneis · 12. Apr 2019 · Theater

„Nora“ im Schaaner SAL: Wenn das wirkliche Leben zur Türe hereintritt

Das Residenztheater München gastierte auf Einladung des TAK mit Henrik Ibsens Stück „Nora“ im Schaaner SAL. Unter der Regie von Mateja Koležnik wurde ein dichtes und gnadenloses Kammerspiel gezeigt. Erstaunlicherweise ist die Geschichte einer Frau, die Mann und Kinder verlässt, um der Lüge zu entkommen, aktueller denn je.  

Henrik Ibsens „Nora“ erschien im Jahre 1879, der Autor selbst hatte seinem Werk den Titel „Ein Puppenheim“ gegeben.  In diesem Stück stürzt die Welt einer Frau wie ein Kartenhaus zusammen, als sie erkennt, dass sie aus den Händen des Vaters, der sie wie ein Püppchen behandelte, in die Hände des Ehemannes überging, für den sie ein „Vögelchen“ ist, das den Mund immer sauber halten muss, denn „ein Singvogel darf nur mit reinem Schnäbelchen zwitschern“. Nora tut alles, um ihrem Mann zu gefallen und seinen Wünschen zu entsprechen – bis hin zur Selbstverleugnung. Und zur Erkenntnis, dass sie ein Mensch ist genauso gut wie ihr Mann. Als dieser merkt, dass er seine Frau tatsächlich verlieren könnte, meint er, „ich habe die Kraft, ein anderer zu werden“. Darauf Nora: „Vielleicht, - wenn dir die Puppe genommen wird“. 

Spiel zwischen zwei Türen

In der Inszenierung des Residenztheaters München ist die ohnehin hohe Bühne noch einmal erhöht. Zudem beschränkt Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt die Spielfläche auf eine Ecke mit zwei hohen Türen. Alles ist weiß und steril wie in einer Klinik. In diesem Niemandszimmer, einem Durchgangsraum, werden Menschen in die Ecke gedrängt, aber immer steht eine Türe für einen möglichen Ausweg zur Verfügung. Die eine führt offenbar zur Haustüre, die andere in das Büro des zukünftigen Bankdirektors Torvald Helmer. Gemütlich ist hier nichts, alles geschieht dazwischen und draußen vor den Türen, das Drinnen bleibt verborgen und wird doch gnadenlos entblößt.  

Seelenlandschaft in der Enge

Auch Kostümbildner Axel Aust setzt auf Einheitsfarben. Alle sind weiß, schwarz oder grau gekleidet und sogar die Einkaufstüten, mit denen Nora zu Beginn auftritt, sind weiß und schwarz. In diesem Haus wird auch schwarz-weiß gedacht, etwas ist entweder gut, schlecht oder Mittelmaß. Damit ist äußerlich eine starke Einheit gegeben, die den gesamten Raum der Entwicklung des Geschehens zur Verfügung stellte. Regisseurin Mateja Koležnik konzentriert sich auf das Wesentliche, sie interessiert sich für die Seelenlandschaft ihrer Figuren. Dabei stehen ihr starke Schauspieler zur Verfügung, allen voran Genija Rykova als Nora. Eine Frau, die wirklich alles tut, um den Vorstellungen ihres Mannes zu entsprechen. Rasend schnell passt sie sich jeder Gegebenheit an, um nur ja alles richtig zu machen, sei es bei ihrem Mann Torvald (Till Firit), ihrer Freundin Kristine Linde (Hanna Scheibe), dem Erpresser Krogstad (Gunther Ecke), oder dem Hausfreund Dr. Rank (René Dumont), bei dessen sexueller Belästigung sie erstarrt. Diese Nora verliert nie ihre Liebenswürdigkeit, ist immer positiv gestimmtes Kindweib, ob sie einen verzweifelten Tanz hinlegt oder beinahe am Ungesagten erstickt. 

Die hohe Kunst des Spielens

Trotzdem spielt Genija Rykova die anderen Darsteller nicht an die Wand, so liefert sie sich beispielsweise mit Torvald punktgenaue Wort-Duelle, wobei Till Firit eine klare Charakterstudie dieses angeblich aufrechten Mannes liefert, der sich dann doch als Blendwerk entpuppt, dem die Position wichtiger ist als alles andere. Zudem lässt die Regisseurin die ehemalige Liebschaft der etwas verhuschten Kristine und des bedrohlichen Krogstad in einem Schattenspiel wieder auferstehen und macht die beiden damit zu einer Art Negativ von Nora und ihrem Ehemann. Zum stummen Schatten wird auch der todkranke Hausfreund Dr. Rank, der gegen Schluss kostümiert wie Nosferatu aus Murnaus Stummfilm auftaucht. Mit seinem nahenden Tod kommt noch einmal das wirkliche Leben zur Türe herein. Wird Nora das Puppenhaus verlassen? Unsicher steht sie zwischen den beiden Türen, schaut hin und her. Es wird dunkel. Das Publikum ist verunsichert. Es dauert lange, bis der Applaus einsetzt, der sich dann aber mehr und mehr steigert. 

 Weitere Vorstellung: Fr, 12.4., 20 Uhr, SAL Schaan