Ethan Coen hat seinen ersten Spielfilm als Soloregisseur gedreht: „Drive-Away Dolls“. (Foto: Focus Features)
Gunnar Landsgesell · 11. Apr 2019 · Film

Border

Eine Zollfahnderin in Schweden, die seltsam animalisch aussieht und die Schuld anderer Menschen riechen kann, das klingt nach einer seltsamen Geschichte. Das ist "Borders" auch, aber anders, als man denkt. Ein hintersinniges, verstörendes, komisches Drama, das filmische Genregrenzen spielerisch überschreitet und die moderne menschliche Existenz mit alten Mythen versöhnt. "Wer bin ich?" heißt es einmal. Im Land der Trolle und der dunklen Wälder ist das freilich nicht so einfach zu beantworten.

Wie man sich aus der schwedischen Mythenwelt bedienen kann und dennoch kein Märchen erzählt: „Border“ überschreitet Genregrenzen zwischen Außenseiterdrama und Fantasy so traumwandlerisch, dass man sich nie sicher ist, was man hier sieht – obwohl diese Geschichte weder auf Träume noch auf Aliens zurückgreift. Oder doch? Die Zollfahnderin Tina (Eva Melander) wacht wie ein scharfer Hund am Ausgang des Flughafens und beschnuppert die Luft der vorbeigehenden Passagiere. Wer etwas illegal mitführt, den fischt sie zielsicher heraus. Tina kann Angst, Scham und Schuld bei Menschen riechen, das klingt nicht nur verstörend, sondern ist es auch. Diese Fähigkeit rührt daher, dass sie veränderte Chromosomen hat, wie man erfährt. Der derb animalische Ausdruck dieser Frau ist das geheime Kapital von „Border“, dazu angetan, neben Faszination immer auch Fremdheit und ein bisschen Ekel zu erzeugen. Schauspielerin Eva Melander trägt für den wolfsähnlichen Look ziemlich viel Maske im Gesicht, was sie ganz anders aussehen lässt als alle anderen. Bis ein Passagier (Eero Milonoff) auftaucht, der ebenso wulstig und eigenbrötlerisch wirkt wie sie.

Schwedischer, schimmernder Noir 

In seinem magischen, sanften Ambiente erinnert „Border“ (Originaltitel: „Gräns“) an das feinsinnige Vampirdrama „So finster die Nacht“ (2008), das ähnliche Themen wie Außenseitertum und Sensitivität mit dem Unheimlichen und Gewaltsamen durchsetzte. Beide Stoffe stammen vom schwedischen Autor und Drehbuchautor John Ajvide Lindqvist, der als Stand-Up-Comedian begann und erneut Sinn für Humor beweist – ein Humor, der allerdings von der anhaltenden Verstörung, die der Film hervorruft, ziemlich in Schach gehalten wird. „Border“ ist aber kein brutaler skandinavischer Krimi, in dem ein Mörder gesucht wird, sondern eher das eigene „Selbst“. Irgendwie ein Erweckungserlebnis, das sich völlig unerwartet und erdig vollzieht, den Zuseher als nie vorhersehbarer Ereignisstrom bannt und sich entlang von forensischen, sexuellen und metaphysischen Linien bewegt. Lichtdurchflutete, moosbewachsene Nadelwälder, eine abgelegene Hütte im Nirgendwo, ein kühler Waldsee zum Nacktbaden und der Verdacht, dass Trolle und Wechselbälger noch nicht ganz aus dem Leben in Schweden verschwunden sind, begleiten die Zollfahnderin Tina dabei. Viel mehr sollte man aber nun wirklich nicht schreiben, denn die Verfilmung von Regisseur Ali Abbasi („Shelley“) lebt genau davon, dass man selbst eintaucht in eine Art schimmernden schwedischen Noir, der trotz mythischer Anklänge immer am Boden bleibt.