Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Walter Gasperi · 14. Apr 2019 · Film

Ly-Ling und Herr Urgesi

Unaufgeregt und kommentarlos, aber mit Feingefühl und Witz dokumentiert der Zürcher Dokumentarfilmer und Photograph Giancarlo Moos die Zusammenarbeit der 39-jährigen Designerin Ly-Ling Vilaysane und des 1967 aus Apulien in die Schweiz eingewanderten Feinmaß-Schneider Cosimo Urgesi.

Gegensätze prallen bei der Zusammenarbeit des 73-jährigen Feinmaß-Schneiders Cosimo Urgesi und der Modedesignerin Ly-Ling Vilaysane in ihrem Atelier in der St. Galler Bahnhofsstraße aufeinander. Nicht nur zwei Generationen und ein Mann und eine Frau, sondern mit dem gebürtigen Italiener und der 1980 im Appenzell als Tochter von Flüchtlingen aus Laos geborenen Asiatin auch unterschiedliche Kulturen und unterschiedliche Vorstellungen von Mode stehen sich hier gegenüber.

Spannung und Witz durch Gegensätze

Während Herr Urgesi wieselflink mit Garn und Nadel ist, gerne auch die Zähne als Schere benutzt, um den Faden durchzutrennen, ist Ly-Ling, die von 1996 bis 2001 die HTL in Dornbirn besuchte und 2006 in Paris das Modelabel aétherée gründete, für das Entwerfen von Anzügen und die Kommunikation mit den Kunden zuständig. Weil dabei seiner Erfahrung ihre Lust an Neuem gegenübersteht, ändert Herr Urgesi auch gerne einmal beim Schneidern die Entwürfe ab. Denn während sie mit der Zeit gehen will – oder auch ihr voraus sein will – lehnt er Neuerungen ab und hält am alten Stil fest.
Während für Ly-Ling die Zeichnung die Grundlage fürs Schneidern ist, muss er immer den Kunden vor sich haben, denn je nach Körperhaltung und Gang wird der Anzug anders gestaltet. So treffen hier auch industrielle Fertigung und Maßschneiderei aufeinander. Und während sie immer in Eile ist und mehrere Dinge gleichzeitig machen und lernen will, sagt er, dass man sich fürs Erlernen des Schneiderns Zeit nehmen muss.
Witz entwickelt Giancarlo Moos´ Dokumentarfilm aus dem Zusammenstoß dieser Gegensätze und bleibt trotz der daraus resultierenden Konflikte immer leicht. Die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe spielen dabei keine Rolle, dennoch bietet „Ly-Ling und Herr Urgesi“ auch Einblick in die Sozialisation der beiden Protagonisten.

Beispiele geglückter Integration

So begleitet Moos Urgesi bei einem Urlaub in seine apulische Heimat, die einst eine Hochburg der Maßschneiderei war und wo auch der 1945 geborene Urgesi sein Handwerk oder seine Kunst lernte, ehe er 1967 in die Schweiz emigrierte. Mit Ly-Ling besucht der Dokumentarfilmer dagegen Steinegg im Appenzell, wo die Modedesignerin geboren wurde und aufwuchs. Ein Gemeindepolitiker erzählt ihr hier, wie man sich 1979 bemühte, eine Flüchtlingsfamilie aus Laos zu finden, um sie aufnehmen zu können, da ja Kinder mit fremder Kultur das Leben der einheimischen Kinder bereichern könnten. Auch ihren ehemaligen Sekundarlehrer sucht Ly-Ling auf und spricht mit ihm darüber, wie er ihr Verständnis für Design entdeckte und ihre Entwicklung in diese Richtung förderte.
Ganz unterschiedlich haben sie sich aber in die Schweizer Gesellschaft integriert. Während Herr Urgesi, wohl auch weil er erst als Erwachsener immigrierte, fast nur italienisch spricht, weist bei Ly-Ling nur das Äußere auf die asiatischen Wurzeln hin. Sie spricht nämlich im breiten Appenzeller Dialekt und erklärt, dass sie als Kind zu 300% in die Schule integriert war, beim Drei-König-Spiel immer den Asiaten spielen durfte und bei ihrem Schulbesuch in Vorarlberg entdeckte, dass sie mehr über das Christentum weiß als die meisten Vorarlberger Schüler.

Liebevoller Porträtfilm

Im Zentrum steht aber die Zusammenarbeit im Atelier, der berufliche Werdegang wird ausgespart, auf das Hier und Jetzt konzentriert sich der Film. Immer wieder kommt es aufgrund der verschiedenen Charaktere und Ansichten zu Diskussionen, die aber immer liebevoll bleiben und nie in wirklichen Streit ausarten. Dennoch spürt man, dass so eine Zusammenarbeit auf lange Sicht wohl nicht halten kann und tatsächlich arbeiten Herr Urgesi und Ly-Ling inzwischen nicht mehr zusammen.
Indem Moos, der seine Protagonisten eineinhalb Jahre lang mit der Kamera begleitete, kommentarlos und unaufgeregt, aber immer mit spürbarer Empathie bei den Diskussionen zuschaut, ist ein liebevoller Porträtfilm entstanden, der treffenden Einblick in zwei unterschiedliche Charaktere und die Schwierigkeiten einer solchen Zusammenarbeit vermittelt. Zu verdanken ist das freilich auch Cosimo Urgesi und Ly-Ling, die völlig natürlich vor der Kamera agieren und mit sichtlichem Vergnügen ihre unterschiedlichen Ansichten darlegen.

Wird am Spielboden Dornbirn am Mittwoch, den 8. Mai und am Dienstag, den 14. Mai jeweils um 19.30 Uhr gezeigt.