Ethan Coen hat seinen ersten Spielfilm als Soloregisseur gedreht: „Drive-Away Dolls“. (Foto: Focus Features)
Peter Niedermair · 08. Feb 2019 · Theater

„Neue Abenteuer von A und B“ in der Reihe Kosmodrom im Theater Kosmos

Eine interessante Frage entlang des im Rahmen von Kosmodrom gestern zur Premiere im Theater Kosmos Foyer aufgeführten Stückes von David Baldessari ist, wie der Theaterautor und gleichzeitig Theaterregisseur mit der Ambivalenz der beiden Rollen umgeht. Diese Frage wird durch die beiden exzellenten jungen Schauspieler, Christopher Zierl und Phillip Beck, denen durchaus eine co-inszenierende Aufgabe zukommt, in ihrer Komplexität auf eine noch höhere Stufe gestellt. Die Emergenz des ereignisreichen Schauspiels, das in diesen Tagen in der Mariahilfstraße in Bregenz noch zweimal aufgeführt wird, ist auf der Bühne voll aufgegangen. Theater vom Feinsten!

Der Abend entlässt das sehr zahlreich gekommene Premierenpublikum nach der 40-minütigen Aufführung – die Sehnsucht nach kurzen stillen oder turbulenten Stücken ist wieder einmal gewachsen – und einer trialogisch, spielerisch-klugen Reflexion mit dem Autor David Baldessari, der ORF-Journalistin Ingrid Bertel und dem Supervisor der jungen Theaterreihe, Stefan Kasimir, mit langem Beifall fröhlich in den regnerisch-kühlen Abend. Es gab von allem etwas, Action auf der Bühne, immerhin kämpfen die beiden Protagonisten bravourös mit Lichtschwertern wie bei Star Wars, es glüht und funkelt, dass es eine wahre Freude ist, die schauspielerischen Auftritte der beiden großen Talente sind grandios und lassen hohe Erwartungen auf weitere Auftritte zu, die Licht- und Tonregie von Mandy Hanke analog und trotzdem souverän. Und man ist um 22 Uhr schon wieder zu Hause … 

Die Fiktionen des Autors und Regisseurs

Ich habe mit der Ambivalenz der beiden Rollen Baldessari begonnen. Was bedeutet dies mit dem Blick darauf, eine Geschichte zu konstruieren, erzählen, in einen valid-kohärenten Aufbau bringen und auf der Bühne darzustellen. Was bedeutet dies für die Rolle und das Selbstverständnis des Autors, Fiktion herzustellen, zu produzieren und diesen Text, wenn man so will, diese Erzählung, als Regisseur umzusetzen, frage ich David Baldessari. Damit, sagt er, müsse er sich durchgehend beschäftigen, er sei immer der Meinung gewesen, dass Menschen mehrere Rollen gleichzeitig einnehmen, egal ob beim Inszenieren oder eigene Texte spielen; es habe sich tatsächlich bestätigt, dass es in der Tat problematisch sein kann, weil man auf eine gewisse Weise betriebsblind werde, und bei noch so gutem Willen, die Sache objektiv anzugehen, gelinge das nicht.
Das an sich verwundert nicht. Baldessari ist kein Wunderwuzzi, vielmehr so wie du und ich, aber er besitzt die Fähigkeit, diese Rollen zu reflektieren. Was passiert dabei? Die Reaktion ist, man kann das als Außenstehender eh nicht beurteilen, also lässt man einmal passieren, was passiert. Mit dieser Haltung des Lean-back-and-wait lässt es sich gut weiter arbeiten, die Lage ist entspannt, der Kopf ist frei, jener des Regisseur und jener des Autors, und dann hat man noch immer die Schauspieler, die ihre Qualität in diesem Widerspruch beweisen. Da hilft ein bisschen Theorie, so Baldessari weiter, und vor allem Fragen, ob die Geschichte schlüssig erzählt ist, hängen die Teile zusammen, ergeben sie einen Sinn, ergeben sie eine Dramaturgie. Auch bei stilistischen Entscheidungen ist man völlig aufgeschmissen, doch genau deshalb haben junge Regisseure im Kosmodrom den laborartigen Raum fürs Experiment und auch für die Möglichkeit des Scheiterns. Die Freiheit innerhalb der Inszenierung, und auch dass die schauspielenden Akteure mit involviert sind und ihren Anteil artikulieren, unterstützen das Stück, die Ausfaltung, die Spielfreude trägt auch noch dazu bei, wenn die Lichtschwerter durch den Abend funkeln …

action creates more satisfaction

Die beiden Schauspieler „haben sich beide eine so schöne kindliche Qualität bewahrt, sie spielen gerne“. Bei den Proben zeigt sich, sehr viel Input kommt von den beiden Protagonisten, der Regisseur kann „sich darauf verlassen, dass es glücken kann und glücken wird“. Christopher, der ein Star-Wars-Fan ist, hat diese Schwerter gekauft und bringt sie zum Schauspiel mit. Der Regisseur muss schließlich akzeptieren, das heißt einsehen, dass diese Lichtschwerter kein privates Spielzeug sind, sondern essentielles Requisit beim Spiel.
Der Titel des Stücks selbst entfaltet eine subtil-suggestive Bedeutung. Im Rahmen der Ankündigung des Stücks heißt es „Von A nach B“ und auf dem Textkonvolut, das mir zur Verfügung stand, stand „Neue Abenteuer von A und B“.  Beim ersten Titel dachte ich noch an die jüngste Andy Warhol Ausstellung im Whitney Museum auf 99 Gansevoort Street in Lower Manhattan, die nämlich heißt „From A to B and Back Again“. Von A nach B suggeriert etwas völlig anderes als Abenteuer von A und B. Von A nach B suggeriert eine gewisse Linearität, die für die Übersetzung der Architektur eines Stücks auf die Bühne eher hinderlich wäre, weil damit die große Spielfreude, alles Slapstick-hafte und ans Dadaistische Heranreichende das Stück platt drücken würde. So sind wir froh, dass die beiden Schauspieler dank eines genialen Lesefehlers von Stefan Kasimir, dem Good Spirit der Kosmodrom Reihe, auf der Bühne den Weg ins Freie nehmen konnten. Weil dem Autor-Regisseur, zum Glück, kein Titel eingefallen ist, wer weiß schon immer, was er tut … zumindest im Theater …, blieb das ein Arbeitstitel und weil die Charaktere A und B heißen. Kasimir veröffentliche das Stück unter dem Titel

„Neue Abenteuer von A nach B“,

also etwas Drittes obendrauf, und genau das nützt dem Stück ungemein, weil es die Rollendiversität in Schwebe hält, einen spielerischen Umgang mit Sprache nahelegt, in gewissem Sinne antilinear. Und davon, unter anderem, lebt das Stück. Das heißt, wir werden in relativ kurzer Zeit in rasender Spielgeschwindigkeit, wobei einem die Schauspieler von der zweiten Minute an ins Spielgeschehen mit hineinziehen, so als säße man im großen, dunklen Kino, es ist gleich von Anfang an so spannend, dass man an der vorderen Kante des Kinostuhls sitzt … und der Film rutscht einem so elegant in den Kopf und überall hin. Bis zum Schlussapplaus. Mir ist dabei wieder einmal deutlich geworden, wie Überschriften zu Texten zustande kommen und vor allem, wann man sie setzt. Am Ende nämlich, wo dann alles neu beginnt. Das Stück ist offen, ganz wie Theater sein soll, es erzeugt Lust an der Sprache, am Verführt-Werden von einem tollen Team, das gestern Abend die BesucherInnen bestens unterhalten hat. Theater Kosmos und Kosmodrom sei Dank!
Am Ende ist die Frage, „wie wir uns Geschichten erzählen und was überhaupt eine Geschichte ist, und was ist, wenn plötzlich eine Geschichte fehlt, oder nicht abgeschlossen wird, sondern tatsächlich fehlt“ (Regiezettel) wie durch eine zentrifugale Energie verstreut worden. In der Ausstattung von Yvette Puff und der beiden Schauspieler Phillip Beck und Christopher Zierl, werden wir Theater-Augen-Ohren-Zeugen, wie intensiv sich in einem solchen Fall der Regisseur und alle ins Geschehen Verwickelten auf die Suche nach einer Geschichte machen, „und das Suchen würde zu einer neuen Geschichte … und wenn ich’s mir aussuchen kann, wird’s eine mit Magie“. Und so war es bei der Premiere. A magic theatre evening!

Weitere Vorstellungen:
8./9. 2., jeweils 20 Uhr, Theater KOSMOS, Mariahilfstr. 29, in Bregenz
Es ist empfehlenswert, sich Karten im Vorverkauf, Tel. 05574-44034, oder über die Kosmos-Homepage zu sichern.
Weitere Infos zur Theaterreihe Kosmosdrom:
https://theaterkosmos.at/kosmodrom/aktuell